Rudolf Carnap an Hans Reichenbach, 29. April 1930 April 1930

Lieber Reichenbach!

Gestern erhielt ich Ihren Entwurf des EröffnungsaufsatzesB. Da SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick wieder eingetroffen war, konnte ich den Aufsatz gleich mit ihm besprechen. Dabei stellten sich schwerwiegende Bedenken heraus. Es handelt sich nicht um den Ausdruck „Philosophie“, der mir zwar nicht sehr sympathisch ist, den SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick aber selbst noch zu verwenden pflegt, sondern um den Inhalt des Aufsatzes. Wir könnten ihn so auf keinen Fall unterzeichnen. Und SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick sagte sogar, daß er nicht als Herausgeber zeichnen könne, wenn dies als programmatischer Aufsatz, und sei es auch von Ihnen allein unterschrieben, erscheinen würde.

Die inhaltlichen Differenzen sind vor allem die folgenden. Sie machen der traditionellen Philosophie hier in einem Grade Zugeständnisse, der mich nach Ihren bisherigen Stellungnahmen sehr verwundert hat. Wir, und auch Sie, sind doch in Wirklichkeit nicht der Meinung, daß die Ansichten der verschiedenen philos[ophischen] Systeme untereinander und gegen uns nur darauf beruhten, daß sie sagen, was man noch nicht weiß. Es müßte doch gesagt werden, daß jene Systeme zum großen Teil Metaphysik enthalten, die wir für sinnlos halten. Und wenn Sie von der Philosophie als einer Wissenschaft sprechen, so widerspricht das beinahe wörtlich dem, was wir in der Broschüre „Wiss[enschaftliche] Weltauff[assung]“BVerein Ernst Mach!1929@Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis, Wien, 1929 und SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick in seiner VorredeB zu WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann gesagt haben. Da SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick nicht mehr genau wußte, ob er Ihnen schon ein Ex. dieser (noch nicht veröffentlichten) VorredeB zugeschickt hat, lege ich Ihnen eines bei, mit der Bitte um Rücksendung.

SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick will nun einen neuen Vorschlag eines EröffnungsaufsatzesB schreiben. Da er jetzt wieder bis Ende der Woche verreisen muß, wird er ihn Ihnen erst nächste Woche schicken können. Wir möchten Sie dann bitten, sich zu Annahme des neuen Entwurfs zu entschließen und ihn mit uns gemeinsam zu unterschreiben.

An meinem versprochenen Aufsatz über alte und neue LogikB schreibe ich gerade. Ich hoffe, ihn Ihnen auch nächste Woche schicken zu können.

Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollten Sie noch an SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick wegen eines Aufsatzes für das erste HeftB schreiben? Ich sprach mit ihm darüber, er hatte aber noch keinen Brief von Ihnen erhalten.

Mit den besten Grüßen

Ihr
R. Carnap

Brief, msl., 1 Seite, HR 013-41-66; Briefkopf: gestempelt Dr. Rudolf Carnap  /  Wien, XIII/5  / Stauffergasse 4, msl. Wien, den 29. April 1930.


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