Hans Reichenbach an Rudolf Carnap, 17. Februar 1930 Februar 1930

Transkription von Kamlah, kein Original vorhanden!!!

Noch nicht im Register erfasst!!!

Lieber Carnap‚

besten Dank für Ihren Brief. Ich freue mich, daß der Zeitschriftplan bei Ihnen allen so viel Zustimmung findet. Es handelt sich ja hier auch um eine Sache, die wir nur alle gemeinsam machen können; es ist wohl der wichtigste Schritt zur Organisation unserer Richtung, den wir bisher gemacht haben und den wir überhaupt machen können. Die eigentliche Arbeit, nämlich die Ausfüllung der Zeitschrift durch gute Beiträge, müssen wir alle gemeinsam machen, und gerade von der Sammlung aller unserer Arbeiten unter einer gemeinsamen Fahne verspreche ich mir die größte Außenwirkung. Das ist es ja, was uns bisher gefehlt hat, weil wir alle unsere Arbeiten zersplittert in viele andere Zeitschriften inmitten fremder Arbeiten bringen mußten. Um so schwieriger scheint dagegen, bei aller sachlichen Einigkeit, die Frage der geschäftlichen Organisation zu sein. Mit den organisatorischen Vorschlägen Ihres Briefes kann ich leider in wesentlichen Punkten gar nicht zusammen gehen; da ich andererseits sehe, daß mein erster Vorschlag (m. Brief v. 4. Februar) für Sie wohl auch nicht annehmbar ist, weil er geschäftliche Organisation zu sehr durch persönliches Vertrauen ersetzen will, habe ich mir die ganze Angelegenheit noch einmal durchgedacht, mit den hiesigen Herren besprochen und einen ganz neuen Vorschlag ausgearbeitet. Ich hielte es für sehr gut, wenn Sie diesem neuen Vorschlag zustimmen könnten; die Sache eilt ja auch, man darf in einer derart wichtigen Entscheidung nicht den günstigen Augenblick verpassen.

1.) Erfreulicherweise kann ich mit der Feststellung eines gemeinsamen Punktes beginnen. Ihr Vorschlag nämlich, daß neben mir Herr Schlick als Herausgeber auf dem Titel stehen soll, ist mir überaus sympathisch. Ich hatte das neulich schon selbst erwogen, habe aber diesen Vorschlag damals nicht gemacht, weil ich die Möglichkeit einer organisatorischen Auswirkung dieses Planes nicht sah und ich Herrn Schlicks Namen nicht nur als bloßes Symbol mitführen wollte. Inzwischen aber sehe ich die Möglichkeit, auf diese Zweiheit gerade einen neuen Organisationsplan zu basieren und das möchte ich Ihnen im Folgenden entwickeln.

2.) Zuvor aber kommt nun der negative Teil. Ihr Vorschlag eines Redaktionskollegiums ist für mich ganz unannehmbar. Ich glaube, Sie können sich von der Arbeit an einer solchen Zeitschrift kein Bild machen. Sie denken, daß die guten Manuskripte nur so in Strömen zusammenfließen und die Redaktionskommission weiter nichts zu tun hat, als mit scharfem Siebe die zahlreichen Perlen auszusondern. In Wirklichkeit dürfte es gerade umgekehrt sein, die Aufgabe der Redaktion wird vor allen Dingen darin bestehen, gute Manuskripte zu bestellen und einzutreiben. Dabei soll aber alle zwei Monate ein Heft erscheinen. Ich halte das häufige Erscheinen für unbedingt notwendig, da man nur so einen festen Leserkreis erfassen kann. Die Hefte müssen auch interessant sein. Es geht nicht, daß unsere Zeitschrift ständig auf der negativen Kassenseite des Verlages läuft; ich halte vielmehr den geschäftlichen Erfolg für ein nicht zu vernachlässigendes Nebenziel, denn nur so können wir auf die Dauer Einfluß behalten.

Die von Ihnen vorgeschlagene Geschäftsführung ist aber viel zu schleppend. Die Redaktionsarbeit, so wie ich sie sehe, kann nur von einem geführt werden, der auch wirklich das Recht zur Entscheidung hat. Wenn ich diese große Arbeit übernehme und mich mit meiner ganzen Person für die Zeitschrift einsetze, kann ich mich unmöglich dem Mehrheitsbeschluß einer Kommission unterwerfen, die so heterogen zusammen gesetzt ist und den Geschäftsgang vielfach gar nicht zu durchschauen vermag. Das demokratische Prinzip versagt immer, wenn es sich um die Erzielung von Leistungen handelt; es ist besser, unsere Zeitschrift hat Haltung und Farbe, als daß sie zu einem fortwährenden Kompromiß wird.

3.) Um diesen Gedanken festhalten zu können, ohne daß er doch für Sie eine zu schwere Zumutung bedeutet, mache ich Ihnen den folgenden neuen Vorschlag. Ihr Redaktionsplan war auf dem Prinzip aufgebaut, daß die eine Seite zur Ablehnung eines Manuskriptes genügt; ich schlage das umgekehrte vor, daß die eine Seite zur Annahme genügt. Also Prinzip der Vereinigungsmenge und nicht der Durchschnittsmenge. Ich gehe dabei von folgendem Gedanken aus: es gibt nicht sehr vieles, über was wir uns einig sind, aber jeder von uns gibt zu, daß das, was der andere will, Niveau hat und der Veröffentlichung wert ist. Die Zeitschrift kann Raum für beide Richtungen haben, und jeder kann zufrieden sein, wenn wenigstens das, was er will, erscheinen kann. Es ist ja nicht zu verlangen, daß jeder sich mit dem ganzen Inhalt identifiziert. Organisatorisch heißt das folgendes: die beiden Herausgeber, also Herr Schlick und ich, haben jeder das Recht, Manuskripte anzunehmen. Ich glaube, daß ich diesen Vorschlag gerade im Hinblick darauf, daß Herr Schlick der andere Herausgeber sein soll, dem Verleger gegenüber durchsetzen kann. Ihnen allen aber ist durch die Person Herrn Schlicks die Garantie gegeben, daß Ihre Arbeiten erscheinen können. Für die genauere Regelung lege ich Ihnen einen Entwurf „interne Abmachungen“ (I.A.) bei. Die dort in § 4 genannten Einschränkungen waren aus redaktionellen Gründen unvermeidlich und sind ja wohl nicht so wesentlich.

4.) Ihren Plan einer Kommission kann ich in abgeschwächter Form dahin aufnehmen, daß der Kommission nur beratende Stimme zustehen soll. Da ist es denn wohl das einfachste, als solche Kommission direkt die Vorstände der beiden Vereine zu nehmen. Für Sie in Wien ist das ja wohl identisch. Ich denke mir also, daß die Vereinsvorstände Anregungen für die Gestaltung der Zeitschrift aussprechen, andrerseits aber auch über die Annahme von Manuskripten entscheiden, über die Herr Schlick oder ich allein nicht entscheiden mo¨chten. Es handelt sich da um das „Zwischengebiet“, denn bei ganz guten und bei ganz schlechten Manuskripten gibt es nichts zu fragen. Der einzige der von Ihnen vorgeschlagenen Herren, der dabei zunächst nicht in dieser Kommission wäre, ist Philipp Frank; ich hoffe aber, daß wir den bald auf dem Umweg über eine Ortsgruppe unserer Gesellschaften in Prag in der Kommission haben. Daß er außerdem als Berater höchst willkommen ist, auch schon jetzt, brauche ich ja nicht erst zu sagen.

Übrigens will der Verleger sich nicht auf einen Vertrag mit den Vereinen selbst bzw. ihren Vorständen einlassen; er will es aus juristischen Gründen nur mit Einzelpersonen zu tun haben, auch nicht mit einer Kommission. Die na¨here Formulierung in § 5 d. I[nternen] A[bmachungen].

5.) Nun der Titel. Sie wollen „Naturphilosophie“ nicht, daß „Einheitswissenschaft“ nicht geht, fühlen Sie ja wohl selbst schon. Hier erscheint dieser Vorschlag ganz unmo¨glich. Es bleibt also nichts als den bisherigen Titel „Annalen der Philosophie“ beizubehalten. Hier sehen Sie bereits ein Beispiel für das unglückliche Prinzip der Durchschnittsmenge; wir müssen uns die Gelegenheit aus der Hand gehen lassen, mit einem zugkräftigen Titel die neue Zeitschrift zu beginnen.

6.) In bezug auf Änderungen der Typographie wird wohl nichts zu machen sein, besonders wenn der Titel bleibt. Übrigens finde ich die Annalen darin relativ ansta¨ndig. Es ist auch schwer, einem Verleger da hinein zu reden. Ich fände eine Bauhaus-Aufmachung sehr hübsch, aber dafür kriegt man Herrn Meiner wohl kaum.

7.) Der Prager Bericht soll selbstverständlich als reguläres Heft erscheinen (Doppelheft); ob gerade als erstes Heft, bedarf noch einiger redaktioneller und geschäftlicher Überlegungen. Carnaps Aufsätze zur Axiomatik sind, glaube ich, für die Zeitschrift zuna¨chst eine zu schwere Belastung mit Mathematik; wir müssen gerade im Anfang auf leichte Versta¨ndlichkeit und Geeignetheit für einen großen Leserkreis Gewicht legen. Ich würde deshalb vorschlagen, daß die Aufsa¨tze ausführlich in den Wiener Berichten erscheinen, dagegen ein la¨ngeres Referat von Carnap selbst (ein bis zwei Bogen) in der Zeitschrift: als Einleitung dazu wa¨re eine Darstellung für weitere Kreise über Sinn und Zweck solcher Untersuchungen sehr erwünscht.

8.) Vortragsberichte der Vereine dürfen gern ausführlich sein und gemeinverständlich. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meinen neuen Vorschlägen zustimmen ko¨nnten. Die Hauptsache ist, daß wir anfangen, daß etwas geschieht. Ich mo¨chte deshalb Herrn Neuraths Besuch nicht erst abwarten, sondern Sie um baldige Antwort bitten; wenn Herr Neurath kommt, so gibt es ja außerdem noch genug über die inhaltlichen Pläne zu besprechen. Ich wollte, daß Neurath ein ganzes Bündel Manuskripte mitbringt! Denn schließlich ist das, was drin steht, bei der ganzen Zeitschrift doch die Hauptsache.

Herzliche Grüße Ihnen allen
[Hans Reichenbach]

Brief, msl. Dsl. ???, ??? Seiten, HR 025-02-40; Briefkopf: msl. [Rundbrief] [Berlin-Zehlendorf], 17. Februar 1930.


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