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Lieber Reichenbach!
Wir sind alle sehr erfreut über Ihre günstigen Nachrichten über die Zeitschrift. Nach Besprechung mit Schlick, Hahn (wegen seines ski-gebrochenen Fußes nur telephonisch) und Neurath teile ich Ihnen jetzt unsere Meinung zu den verschiedenen Fragen mit. Neurath wird in der letzten Febr.-Woche in Berlin sein und könnte dann, wenn es Ihnen recht ist, mit Ihnen über die verschiedenen Punkte sprechen, da ja die Einzelheiten leichter mündlich zu klären sind. Vielleicht wäre es auch möglich, daß dann Meiner zu der Be sprechung nach Berlin käme?
Herausgeber. Wir sind sehr froh, daß Sie die ganze Redaktionsarbeit übernehmen wollen. Sie sind ja, abgesehen von Ihrer Bereitwilligkeit dazu, auch zweifellos der Geeignetste dafür. Wir möchten aber dabei doch an der in Prag besprochenen Form eines Redaktionskollegiums festhalten, das aber nicht so schwerfällig zu fungieren braucht, wie wir es damals in Aussicht genommen hatten, um Schmidt nicht zu viel Rechte zu übertragen. Wir würden es etwa in folgender Form vorschlagen: Schlick und Sie als Vorsitzende des Red.-Koll., und zwar Schlick als 1. Vors., Sie als geschäftsführender Vorsitzender. Dazu Fachreferenten: Frank (Physik), Hahn (Math.), Neurath (Sozialwissenschaften), Carnap (Logik); ferner noch je einer für Psychologie (mit wissensch.-exakter, behavioristischer Auffassung) und Biologie (mit antivitalistischer Auffassung); diese beiden würden Sie vielleicht finden (Schlick ist gegen Bertalanffy); falls augenblickl. nicht gut zu finden, lieber die Stelle einstweilen frei lassen.
Jedes Ms. würde von Ihnen und von dem betr. Fachreferenten geprüft. Bei 1 ja und 1 nein würden Sie beide sich zunächst zu einigen versuchen; falls keine Einigung stattfindet, würde das Ms. in der Regel abzulehnen sein; wer für ja gestimmt hat, soll aber, wenn er es für wichtig genug hält, das Recht haben, an das gesamte Kollegium zu appellieren, das mit Majorität entscheidet. Dieser Fall dürfte wohl praktisch kaum vorkommen, so daß bei dem vorgeschlagenen Modus keine Erschwerungen und Verschleppungen zu befürchten sind.
Auf dem Titelblatt würden nicht alle Namen stehen, sondern nur: „Im Auf- trage der Vereine …und …herausgeg[eben] von Schlick und Reichenbach“. Oder auch nur die Vereine, ohne Ihre Namen; wie es für die Außenwirkung am besten erscheint.
Wir würden auch dafür sein, daß die beiden Vereine zusammen mit Meiner den Verlagsvertrag schließen; darin würde festgesetzt, daß jeder der Vereine einen Vorsitzenden des Red.-Koll. zu bestimmen hat.
Über das Stoffgebiet sind wir mit Ihnen ganz einig. Ja, wir legen gerade Wert darauf, daß es nicht zu eng umgrenzt wird. Wir sehen es ja als Aufgabe der philos. Arbeit an, eine logische Analyse der Begriffe und eine erkenntnistheoret. Analyse der Methoden jedes fachwissenschaftlichen Gebietes vorzunehmen. Daß sich bisher fast alle Untersuchungen auf Math. und Physik bezogen haben, ist ja historisch erklärlich. Wir halten es aber, ebenso wie Sie, für wünschenswert, daß dieses bisher allzu starke Übergewicht allmählich ins Gleichgewicht gebracht wird.
Die Frage des Titels ist tatsächlich schwierig. „Naturphilos.“ scheint uns nicht geeignet; 1) tritt hierbei die Philosophie scheinbar wieder als gleich- berechtigte Wissensch. neben oder über den andern Wissenschaften auf‚1 2) s. o. Gleichgewicht; sehr viele der Untersuchungen, die wir bisher angestellt haben, beziehen sich ja nicht nur auf Naturwiss. (wenn wir auch meist nur oder vorwiegend daran gedacht haben), sondern ebenso auf die Sozialwiss., wie auf Realwiss. überhaupt; z.B. Wahrscheinlichkeitsbegriff, Methode der Induktion, statist[ische] Begriffsbildung, Naturgesetz, Substanz- oder Funktionsbegriff, usw.
Wir müssen zugeben, einen uns restlos gefallenden Titel nicht gefunden zu haben. Wir möchten nun aber, trotz einiger Bedenken, den folgenden Titel zum Vorschlag bringen:
Einheitswissenschaft
Zeitschrift für logische Grundlagenforschung. (oder ähnlich)
(Zugleich Bd. X der Ann[alen] d. Phil.)
Gründe: 1) die log[ische] und erkenntnistheor. Analyse auf den verschiedenen Gebieten hat als letztes Ziel die Einordnung dieser Teilgebiete in die Einheitswissensch. als das Gesamtsystem der wiss. Aussagen; 2) der Titel bringt zum Ausdruck, daß bei uns das Streben der Schulphilos. nach einem philos. System ersetzt wird durch das Streben nach der Einheitswiss., außerhalb deren es nicht noch so etwas wie philos. Aussagen gibt.
Es ist fraglich, ob sich ein geeigneterer Titel finden läßt. Wir werden aber noch überlegen und Sie in Ihrem Kreise vielleicht auch. Wenn Sie starke Bedenken gegen den vorgeschlagenen haben, müßte man schlimmstenfalls in Erwägung ziehen, den alten Titel beizubehalten.
Es wäre zu erwägen, ob man nicht im Rahmen der Vereinsmitteilungen auch die wichtigeren Vorträge, die in den Vereinen gehalten sind, in gekürzter Form zum Abdruck bringen sollte. Vielleicht könnte es für den Absatz sogar nützlich sein, wenn dadurch die Zeitschrift auch einen leichter verständlichen Teil bekäme. Wenn später hinreichendes Material an Abhandlungen vorliegt, könnte dieser Teil ja reduziert werden oder fortfallen.
Wir möchte vorschlagen, daß der Prager Bericht (die Mss. werden demnächst an Meiner geschickt) nicht gesondert erscheint, sondern als erstes reguläres Heft2. Er gibt doch ein gutes Bild von Inhalt, Methode und Ziel unsrer Arbeit und scheint daher als programmatisches Heft sehr tauglich zur Einführung und zur Werbung. In diesem Falle könnte man auch wirklich im Mai beginnen. Andernfalls aber wäre es doch gewagt, so schnell schon anzufangen, ohne wenigstens für einige Hefte schon das Material beisammen zu haben. Zum Material eine persönliche Bemerkung. Meine „Untersuchungen zur allg. Axiomatik“ (deren wichtigste Ergebnisse ich in Prag referiert habe) wollte ich jetzt gerade durch Hahns Vermittlung in den Wiener Akademie-Abh[andlungen] veröffentlichen. Und zwar fortlaufend in 4 Aufsätzen („Unters[uchungen] I, II, III, IV“). Wenn jetzt die Zeitschrift wirklich zustandekommt, würde ich es natürlich vorziehen, die Untersuchungen in unserm eigenen Organ zu veröffentlichen. Bisher sind erst 2 der Aufsätze fertig (etwa 27 und 31 Druckseiten). Wenn im Mai der Prager Bericht kommt, könnte vielleicht „Ax[iomatik] I“ in das Juliheft?
Was für Material haben Sie sonst schon, vorliegend oder in Aussicht?
Es wäre gut, die Ausstattung der Annalen (Typographie, Umschlag) moderner zu gestalten. Wir würden uns freuen, wenn Meiner selbst Vorschläge machen würde. Sonst wäre auch Neurath gern bereit, Anregungen zu geben.
[…]
Ich muß jetzt noch manchmal an unsre Erlanger Tagung3 denken, diesen Embryo, den Sie durch Ihre Anregung zur Prager Tagung als richtiges Lebewesen auf die Beine gestellt haben. Und daß Sie nun unsern alten Zeitschriftenplan verwirklichen, ist tatsächlich überaus erfreulich. Wir wollendem noch namenlosen Kind und Ihrer Arbeit daran viel Glück wünschen! Mit herzlichen Grüßen
Ihr
R. Carnap
Brief, msl., ??? Seiten, HR 025-02-42; Briefkopf: msl. Wien, den 7. Febr. 1930.