endlich kann ich Ihnen über die ZeitschriftangelegenheitIErkenntnis, Zeitschrift genauere Mitteilung machen; ich darf wohl einfach an Sie schreiben und Sie bitten, meinen Brief den andern Herren in Wien zu zeigen und die Angelegenheit mit ihnen zu besprechen.
Raymund SchmidtPSchmidt, Raymund, *1890, dt. Philosoph ist aus Amerika zurückgekommen; Dr. MeinerPMeiner, Felix, 1883–1965, dt. Verleger hat mich nun dieser Tage in Berlin aufgesucht und die ganze Angelegenheit mit mir besprochen. Danach steht die Sache für uns jetzt außerordentlich günstig, noch viel günstiger als wir erwartet hatten. SchmidtPSchmidt, Raymund, *1890, dt. Philosoph, der in Amerika viel Geld zusammen bekommen hat, will nämlich damit eine eigene ZeitschriftI aufmachen, von internationalem Charakter, der es nicht so sehr um Erkenntnistheorie, als vielmehr um Weltanschauung zu tun ist; die erste Nummer dieser neuen Zeitschrift wird z. B. einen Beitrag von Owen YoungPYoung, Owen D., 1874-1962, am. Industrieller, dem Mann vom Young Plan, bringen. Da gehören wir nicht hinein und bleiben gerne draußen. Dafür ist SchmidtPSchmidt, Raymund, *1890, dt. Philosoph bereit, aus der Redaktion der AnnalenIAnnalen der Philosophie, Zeitschrift ganz auszutreten und Meiner hat mich gebeten, an SchmidtsPSchmidt, Raymund, *1890, dt. Philosoph Stelle die Herausgabe der ZeitschriftIAnnalen der Philosophie, ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift in der neuen Form zu übernehmen.
Damit ist die Situation gegenüber der Sachlage, wie wir 🕮 sie damals in PragITagung für Erkenntnislehre@1. Tagung für Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften, Prag, 15.-17.IX.1929 besprachen, wesentlich und in erfreulicher Hinsicht verändert, wir hatten ja damals immer mit der Schwierigkeit gerechnet, daß man eventuell SchmidtPSchmidt, Raymund, *1890, dt. Philosoph in der Leitung der ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift majorisieren müsse, und deswegen hatten wir unseren Plan eines Redaktionskollegiums entworfen. Diese Befürchtung wird aber jetzt gegenstandslos. Unter diesen Umständen aber dürfte es zweckmäßig sein, auf die Idee eines Redaktionskollegiums ganz zu verzichten. Ein derartiges Kollegium ist ja doch immer eine sehr schleppende Einrichtung; in Wahrheit wird die Arbeit nur von einem gemacht und es liegt organisatorisch viel günstiger, wenn die Mitwirkung der anderen nicht in eine Rechtsform gegossen wird, sondern sich von selbst in praktischer Betätigung vollzieht. Das ist auch MeinersPMeiner, Felix, 1883–1965, dt. Verleger Wunsch; Er hat mich gebeten, die Redaktion als alleiniger Herausgeber zu übernehmen, da er die Erschwerungen fürchtet, die durch ein Redaktionskollegium entstehen.
Ich möchte nun die Angelegenheit vor allen Dingen mit Ihnen und den Herren Ihres KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis besprechen, dessen Mitwirkung ja für die ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift wesentlich ist. Es würde mich sehr freuen, wenn Ihnen der Vorschlag annehmbar ist, daß wir auf ein Redaktionskollegium verzichten und wir unter uns die Mitwirkung Ihres KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis als eine selbstverständliche Vertrauensangelegenheit behandeln. Es ist ja selbstverständlich, daß ich Manuskripte aus Ihrem KreiseISchlick-Zirkel, Wiener Kreis nehmen würde und andererseits fremde Manuskripte, die in Ihr Sachgebiet fallen, Ihnen vorher zur Begutachtung schicken würde. Um die Mitwirkung Ihres Kreises auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen, möchte ich vorschlagen, daß das Titelblatt die Form erhält: „… unter Mitwirkung der Gesellschaft für empirische PhilosophieIGesellschaft für wiss. Philosophie, Berlin, Berlin, und des Vereins Ernst MachIVerein Ernst Mach, Wien, herausgegeben von H[ans] R[eichenbach]PReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Berlin.“ 🕮
Damit würde auch die Namensversammlung auf dem Titelblatt wegfallen. Die bisher auf den AnnalenIAnnalen der Philosophie, Zeitschrift stehenden Namen kommen ja überhaupt nicht in betracht. Andrerseits aber würden Schwierigkeiten entstehen, wenn wir jetzt ein neues Namenskollegium suchen würden. Nehmen wir nämlich die Namen derjenigen, die wirklich an der ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift in erster Linie mitarbeiten, so bekommen wir einen Kreis von Namen, der für die Außenwirkung ungeeignet ist. Wir müßten nämlich mit Rücksicht auf die Außenwirkung dafür sorgen, daß neben uns ein Vertreter anderer Fächer z. B. der Biologie und Psychologie, genannt wird, andererseits müßten wir Mehrfach-Besetzungen derselben Fachrichtung vermeiden. Ein unter solchen Gesichtspunkten zusammengesetztes Namenskollegium bezw. Redaktionskollegium würde also einige Leerstellen und zugleich Überbesetzungen enthalten, und das hat doch keinen Sinn. Wenn ich das noch einmal kurz zusammenfassen darf: Entweder das Redaktionskollegium enthält die Leute, die wirklich mitarbeiten, dann hat es Lücken nach der biologisch-psychologischen Seite und Überbesetzungen in Bezug auf Logistik und Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften; oder das Redaktionskollegium enthält eine mit Rücksicht auf Außenwirkung gemachte Zusammenstellung von Leuten, dann enthält es uns fernstehende Leute, die als bloße Namenschilder mitgeführt werden und es fehlen dafür eine Reihe von Leuten unseres Kreises, die in Wirklichkeit mitarbeiten.
Was nun das Stoffgebiet angeht, so denken wir uns im wesentlichen das Gebiet der philosophischen Probleme, die aus den gesamten Naturwissenschaften (Mathematik, Physik, Biologie, Psychologie, Medizin) hervorgehen, als Schwerpunkt der Beiträge. (Logistik rechne 🕮 ich hier als aus der Mathematik hervorgegangen). Eine Beschränkung auf Mathematik und Physik ist für den Verleger ganz unannehmbar, da er ja schließlich auch an die finanzielle Seite denken muß und wir dann im Interessentengebiet zu beschränkt sind. Dagegen ist eine gewisse Überschreitung der Grenze jederzeit erlaubt; z. B. könnte ein Manuskript aus dem soziologischen Problemkreis oder auch über Grenzfragen nach der Ethik hin immer aufgenommen werden.
Nun der Titel. Als Untertitel muß der alte Titel geführt werden in der Form „… zugleich Band X. der Annalen der Philosophie“. Grund: der Verleger behält a) die bisherigen Abonnenten, vor allen Dingen die Bibliotheken, b) die Unterstützung der Notgemeinschaft. Schwer ist der Obertitel, der dick gedruckt darüber steht. Wir sind nach reiflicher Überlegung dahin gekommen, daß am besten das Wort „Naturphilosophie“ ist. Gründe: a) das Wort Natur als Charakteristik unseres wissenschaftlichen Schwerpunkts, b) das Wort Philosophie als Anspruch auf ein Sachgebiet, welches bisher mit diesem Namen bezeichnet, nur leider sehr unerfreulich verwaltet wurde, c) die Tatsache, daß wir unter dem Namen Naturphilosophie in der gesamten deutschen Öffentlichkeit bekannt sind.
Unmöglich erscheint uns der Titel, „Wissenschaftliche Weltauffassung“ da er für deutsche Begriffe zu sehr an MonistenbundI erinnert und darum für deutsche Leser eine ganz falsche Vorstellung hervorruft über das, was wir meinen. Der von NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath gelegentlich vorgeschlagene Titel „die Wissenschaft“ ist zu farblos, übrigens auch schon durch eine Büchersammlung von ViewegIVieweg Verlag vergriffen. Da ich weiß, daß Ihnen das Wort Naturphilosophie nicht so sympathisch ist, habe ich an den Titel „Erkenntnis“IErkenntnis, Zeitschrift gedacht. Er wirkt aber doch wohl etwas farblos und meine Berliner Freunde möchten ihn nicht. Es wäre ja auch sehr 🕮 schade, wenn wir deshalb, weil wir uns über ausdrucksvolle Worte nicht einigen können, einen farblosen Titel nehmen müßten, und ich möchte sie bitten, unter diesem Gesichtspunkt Ihrem Herzen einen Stoß zu geben und mir die Naturphilosophie durchgehen zu lassen. Schließlich bin ich selbst erst durch SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick auf diesen Namen gekommen, habe ihn nun seit Jahren durch Zeitungsartikel und Rundfunkvorträge populär gemacht, und es wäre doch sinnlos, auf diese ganze öffentliche Auswirkung, die schon als Energievorrat da ist, zu verzichten.
Endlich möchte ich noch sagen, daß die ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift zugleich das Blatt der beiden mitherausgebenden VereineIGesellschaft für wiss. Philosophie, BerlinIVerein Ernst Mach sein soll. Es sollen also Berichte über die Vereinsveranstaltungen, sowohl die zukünftigen als auch über die stattgefundenen in Form von Referaten, in die ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift aufgenommen werden. Diese Rubrik wäre jeweils von einem Vorstandsmitglied der beiden VereineIGesellschaft für wiss. Philosophie, BerlinIVerein Ernst Mach zu redigieren. Sodann soll auch eine Rundschau hinein, die wichtige Ereignisse des In-und Auslandes mitteilt (Kongresse, Vorträge, Lehrstuhlbesetzungen etc.)
Als Umfang der ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift sind jährlich 6 Hefte zu je 5 Bogen vorgesehen. Es erscheint demnächst noch ein Heft der alten Annalen als abschließende Nummer des laufenden Bandes, dann kommen wir. Das erste Heft vielleicht am 1. Mai.
Der bisherige Literaturbericht soll ganz fortfallen, dagegen sollen einzelne Buchbesprechungen, ausführlich und nur über wichtige Bücher erscheinen.
Preis des Jahrgangs 20.– Mk., für Mitglieder der beiden Vereine 15.– Mk.
Das ist in großen Zügen die Sachlage. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir bald Ihre Stellungname mitteilen würden. 🕮
Ich halte die ganze Sache für sehr aussichtsreich, eine eigene Zeitschrift wäre für unsere Sache ein ganz großer Erfolg. Daß ich jetzt einen Verleger wie MeinerPMeiner, Felix, 1883–1965, dt. Verleger dafür gewonnen habe, scheint mir ein so wesentlicher Schritt zu sein, daß man unbedingt ja sagen sollte. Übrigens darf ich mitteilen, daß der Vorstand der hiesigen Gesellschaft für empirische PhilosophieIGesellschaft für wiss. Philosophie, Berlin mit meinen Vorschlägen einverstanden ist.
MeinerPMeiner, Felix, 1883–1965, dt. Verleger bat mich noch, Sie an die Übersendung der ManuskripteB der Prager TagungITagung für Erkenntnislehre@1. Tagung für Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften, Prag, 15.-17.IX.1929 zu erinnern, die er bisher nicht erhalten hat.
Mit herzlichen Grüßen an Sie alle
bin ich