\brief{Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 30. September 1929}{September 1929} %Wien, den 30. Sept. 1929. \anrede{Lieber Schlick,} \haupttext{herzlichen Dank für Deine Karten \blockade{ksl. Einfügung}. Eben erfahre ich von Deinem Sohn\IN{\schlickalbert}, daß Du am Gardasee bist. So haben wir Dich also wieder einigermaßen in der Nähe. Wir alle freuen uns sehr, Dich bald wieder unter uns zu haben. Wir sind begierig, Näheres über Amerika zu hören, und wollen Dir dann ausführlich von Prag und andern Dingen erzählen. Die Prager Tagung\II{\pragertagung} war wirklich sehr erfreulich und ein großer Erfolg. 2 - 300 Zuhörer bei unsern Vorträgen, und lebhaftes Interesse der Mathematiker und Physiker. Lange, lebhafte Diskussionen mit sehr erfreulichem Niveau, wie es sicher sonst auf philos[ophischen] Tagungen nicht üblich. Verleger Meiner\IN{\meinerfelix} war dort, wurde beeindruckt von dem Interesse der Leute an unsern Problemen, will uns vielleicht die Annalen d[er] Phil[osophie]\II{\annalenderphilosophie} übergeben! Schwebt aber noch. Die entscheidenden Verhandlungen werden erst sein, wenn Du kommst. Es wäre ja sehr erfreulich. Natürlich machen wirs nur, wenn wir den ausschließlichen Einfluß haben. Für nächstes Jahr ist eine ähnliche Tagung in Königsberg\II{\koenigsbergerkongress} beabsichtigt, bei Gelegenheit der Naturforschertagung dort. Auf Hahns\IN{\hahnhans} Vorschlag Hauptthema: Grundlagen der Math[ematik]; es soll je einer für die 3 Richtungen sprechen (Hahn\IN{\hahnhans} f. Logizismus), Fraenkel\IN{\fraenkelabraham} allg. Übersicht, die er jetzt schon sehr gut gegeben hat. Gestern war Fraenkel\IN{\fraenkelabraham} hier und hat uns nochmal seinen Prager Vortrag\IW{} gründlicher gehalten, mit 3 Stunden lebhafter Diskussion. Leider mußte er sofort wieder abreisen; er war nur zu einem Uraniavortrag (,,über das Unendliche``\IW{}) hergekommen. Das Bauhaus Dessau\II{\bauhaus} hat an Feigls\IN{\feigl} Vorträgen über wiss[enschaftliche] Weltauffassung\IW{} so viel Freude gehabt, daß sie nun mich für eine Woche hingebeten haben, zu ähnlichen Vorträgen. Ich weiß zwar nicht, was ich noch sagen soll, wo Feigl\IN{\feigl} alles Populäre schon schön ausgekramt hat, und mit gutem Erfolg! Ich fahre am 14.\,Okt. Seh ich Dich vorher noch hier? Nach Dessau\II{\bauhaus} werde ich noch einige Tage in Berlin sein, meinen Sohn\IN{\johannes} besuchen, mit Reichenbach\IN{\reichenbach} diskutieren, vielleicht auch einen Vortrag\IC{} halten. Ich werde Dir jetzt Dein Ex. der ,,Wiss[enschaftlichen] Weltauff[assung]``\IW{\wissweltauffassung} übersenden, an dem Du Dein blaues Wunder erleben wirst; hoffentlich nur äußerlich. Den Inhalt betrachte bitte nicht zu kritisch, sondern mit Deinem gewohnten Wohlwollen und Nachsicht. Es ist von Feigl\IN{\feigl}, Neurath\IN{\neurath} und mir mit vereinten Kräften und mehr gutem Willen als Qualität geschaffen worden. Die Broschüre\IW{\wissweltauffassung} (gewöhnl[iches] Ex. in gelb kartonniert) fand in Prag\II{\pragertagung}, wo sie frisch aus der Druckerei hinkam, schon lebhaftes Interesse, es wurden 80 Ex. verkauft. Wenn Du an Leute in Amerika oder Europa Exemplare verschickt haben möchtest, brauchst Du nur dem Verein E[rnst] M[ach]\II{\machverein} oder mir eine Liste von Adressen zu schicken. Wir bekommen beim Ver[ein] E[rnst] M[ach]\II{\machverein} die Broschüre\IW{\wissweltauffassung} zum halben Preis (also 1 S[chilling]). Waismann\IN{\waismann} hat anscheinend fleißig an seinem Buch\IW{} geschrieben. Nach seinem Bericht vermute ich, daß etwa \textthreequarters{} fertig ist. Die bibliogr[aphischen] Angaben in d[er] Brosch[üre]\IW{\wissweltauffassung} hat jeder selbst gemacht; jedoch für Dich und Einstein\IN{\einstein} Feigl\IN{\feigl}, f. Wittg[enstein]\IN{\wittgenstein} Waismann\IN{\waismann}, für Russell\IN{\russell} ich. Ich wünsche Dir am Gardasee noch sehr schöne sonnige Herbsttage, wie wir sie jetzt hier haben, damit Du von Deinem erlebnisreichen Sommer schönen Abschied feiern kannst, und Dich auch von allen Anstrengungen Amerikas gut erholst.} \grussformel{\blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, Dsl., msl., \href{https://doi.org/10.48666/870900}{RC 029-30-10}; Briefkopf: msl. \original{Wien, den 30. Sept. 1929}.}