\brief{Felix Kaufmann an Rudolf Carnap, 22. Juli 1929}{Juli 1929} %Wien, am 22.Juli 1929. \anrede{Lieber Herr Carnap!} \haupttext{Inliegend finden Sie sowohl die ,,interne`` Kritik als auch die ,,externe`` Anzeige für das Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie\II{}. Bevor ich diese einschicke, möchte ich gerne wissen, ob Sie in der - notwendigerweise sehr abrupten - Inhaltsangabe noch irgendwelche Punkte, die ich nicht erwähnt habe, hervorgehoben wünschen. Was die ,,interne`` Kritik betrifft, so wäre sie wahrscheinlich ausführlicher und auch klarer ausgefallen, wenn ich nicht schon recht müde wäre, aber immerhin glaube ich, daß sie eine brauchbare Grundlage für unsere mündliche Diskussion bilden wird. Auch der selbstsichere Ton ist zum Teile durch die gebotene Kürze des Ausdrucks zu erklären. Ich möchte nur noch einige persönliche Bemerkungen an Ihr Vorwort\IC{} knüpfen, das auf mich den stärksten Eindruck gemacht hat. Auch mir erscheint, sobald ich meine methodenkritischen Bemühungen von einem der Theorie transzendenten Gesichtspunkte her zu rechtfertigen suche, das Moment, welches ich kurz als ,,Immunisierung gegen Phrasen`` bezeichnen möchte, als das ausschlaggebende. Diese Einstellung ist für mich auch nicht bloß Ergebnis einer beschaulichen Reflexion in Feierstunden, sondern sie ist mir so wichtig, daß ich schon lange entschlossen bin, nach Aufarbeitung des theoretischen Pensums, das ich mir gesetzt habe und das mich wohl noch etwa 5-6 Jahre in Anspruch \neueseite{} nehmen wird, überwiegend pädagogisch zu arbeiten. Aber diese Gesinnung führt leicht dazu Richtungen in der Philosophie, die aus anderen, vielleicht sogar gegensätzlichen Ursprüngen herfließen, Arbeiten, die (motivationsmäßig) aus mystischen Wurzeln erwachsen sind, von vornherein instinktmäßig abzulehnen, obwohl sich gerade in ihnen häufig wichtigste Gedanken in einer nicht allzu schwer abzustreifenden Umkleidung verbergen. Überhaupt muß eine Einfachheit der Erkenntnis als Hauptziel erstrebende Lehre besonders sorgsam darauf bedacht sein, die Vielfalt der Probleme nicht zu übersehen. \sout{Eine solche} Diese Gefahr liegt besonders dann vor, wenn die Legitimität eines Problems dadurch gewährleistet werden soll, daß es sich in einer bestimmten ,,Sprache`` formulieren läßt, soferne nicht eine ganz sorgfältige Analyse dieser ,,Sprache`` gezeigt hat, daß sie theoretisch allumfassend ist. Anderenfalls entsteht ein ,,semiotischer Dogmatismus``, der prinzipiell nicht weniger abzulehnen ist, als derjenige, gegen den Kant\IN{\kant} zu Feld gezogen ist. Ich habe bei den Diskussionen unseres Kreises\II{\schlickzirkel}, soviel wesentliche Anregung und Förderung ich ihnen auch verdanke, oftmals den Eindruck gewonnen, daß die ständige Bezugnahme auf die logistische Symbolik das geradlinige sachliche Denken behindert; vor allem natürlich dort, wo der m.\,E. grundlegende Mangel der Russell'schen\IN{\russell} Symbolik, nämlich seine Auffassung des Klassenbegriffes, in Frage kam. Als wirksamste Abwehr gegen diese Gefahr erschiene mir eine gründliche Beschäftigung und kritische Auseinandersetzung mit dem m.\,E. bedeutendsten Philosophen der Gegenwart, Edmund Husserl\IN{\husserl}. Ich freue mich herzlich darauf, Sie wahrscheinlich \sout{heute in einer Woche} am 28.\,Juli bei uns zu sehen und bin mit den besten Grüßen} \grussformel{Ihr\\ Felix Kaufmann} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870176}{RC 028-25-01 (Dsl. FK 008089-008094)}; Briefkopf: gestempelt \original{Privatdozent \,/\, Dr. Felix Kaufmann \,/\, Wien, XIX., Döblinger Hauptstraße 90}, msl. \original{Wien, am 22.\,Juli 1920}.}