\brief{Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 5. Juli 1929}{Juli 1929} %Wien, den 5. Juli 1929. \anrede{Lieber Schlick,} \haupttext{herzlichen Dank für Deine Grüße vom Dampfer und aus New York. Hoffentlich hast Du nun auch noch die elend langen Bahnfahrten bis Californien gut überstanden. Hier geht jetzt das Semester so allmählich zu Ende, bei arger Hitze. Der Zirkel\II{\schlickzirkel} aber ist immer noch fleißig. Fast jede Woche haben wir getagt, und nächste Woche will uns noch Kaufmann\IN{\kaufmannfelix} referieren über neue Untersuchungen zur Entscheidungsdefinitheit. Waismann\IN{\waismann} hat mehrere Referate über Wahrsch[einlichkeit]\IW{} gehalten. Gestern haben wir Reichenbachs\IN{\reichenbach} neue Ausführungen über Realismus contra Positivismus\IW{} vorgelesen. Man ließ kein gutes Haar an ihm. Morgen kommt Maue\IN{\maue}. Aber wieder nur für 10 Tage. Gut, daß sie überhaupt kommt; aber je öfter man sich sieht, um so unbescheidener wird man, das ist ja klar. Am 14.\,Juni war im Machverein\II{\machverein} mein Vortrag: Scheinprobleme der Philosophie, Über Gott und Seele.\IC{\scheinproblememachverein} Einige Tage vorher warnte die Reichspost\II{} vor dem Vortrag, und machte einige Anpöbeleien gegen Hahn\IN{\hahnhans}, wegen seines früheren Vortrages, in dem er die Siebenzahl der Sakramente verspottet habe. Die Philos[ophische] Ges[ellschaft] Zürich\II{\philgeszuerich} hat mir soeben geschrieben. Vielleicht halte ich Ende Juli dort einen Vortrag. Feigl\IN{\feigl} ist jetzt für eine Woche zu Vorträgen\IW{} ans Bauhaus Dessau\II{\bauhaus} gefahren, stolz und glücklich. Das hatte Neurath\IN{\neurath} vermittelt, der den neuen Direktor vom B[auhaus]\II{\bauhaus}, Hannes Meyer\IN{\meyerhannes}, den Nachfolger von Gropius\IN{\gropius}, in Berlin kennenlernte. Die Verhandlungen wegen der Prager Tagung\II{\pragertagung} sind lebhaft weitergegangen, mit Prag und Berlin (Reichenbachs Kreis\II{\gesellschaft}). Ich glaube, es wird ganz schön werden. Kürzlich las ich, daß nach München\II{\universitaetmuenchen} Hönigswald\IN{\hoenigswald} berufen worden sei. Ich schicke Dir ein Bild zur Erinnerung an die Kaila\IN{\kaila}-Zeit; es ist von dem Tage, an dem uns Deine Schreckensnachricht erreichte. Waismann\IN{\waismann} hat ganz plötzlich geheiratet. Er ist dann am 30.\,Juni in den Böhmerwald (Hotel Reif\II{}, Kuschwarda, Tschechosl[owakei]) abgereist. Dort bleibt er 2 \textonehalf{} Monate, bis zur Prager Tagung\II{\pragertagung}, und will dort in der Stille sein Buch\IW{} fertig machen. Nun besteht ja wirklich Hoffnung, daß es fertig wird. Ich habe ihm sehr zugeredet, daß er die in den letzten Monaten hier diskutierten Probleme nicht etwa noch vor der Fertigstellung des MS\IW{} endgültig lösen will. Mit den besten Wünschen für gute Gesundheit, heitere Stimmung, verständige Zuhörer, schönes Wetter und nicht zu viel Hetze, und mit herzlichen Grüßen} \grussformel{Dein\\ Carnap} \briefanhang{\uline{Adresse} ab Ende Juli: Buchenbach bei Freiburg i.\,B. (über Wien erreicht mich die Post auch immer)} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/870916}{RC 029-30-15}\blockade{Im Schlick Nachlass Dokument MS 95/Carn-24 eine Abschrift von diesem Durchschlag?} Briefkopf: msl. \original{Wien, den 5.\,Juli 1929}.}