Th. Eklund an Rudolf Carnap, 14. Juni 1929 Juni 1929

Sehr geehrter Herr Doktor!

Vor einiger Zeit bekam ich von meinem Freunde Prof. Eino KailaPKaila, Eino, 1890–1958, finn. Philosoph eine Karte worin er mich bat Ihnen meine Schriften über Russells ParadoxienB zu schicken. Tue es sehr gerne.

Obwohl ich weiß, daß vielleicht die meisten Forscher sich der Typentheorie in ihrer absoluten Form angeschlossen haben, habe ich mich mit besten [sic] Willen nicht von der Richtigkeit dieser Theorie überzeugen können. Ich finde es nicht sinnlos zu fragen, ob eine Menge sich selbst als Element enthält oder ob ein Prädikat (propos. Funktion) sich selbst verifiziert. Es ist z. B. für mich nicht sinnlos zu sagen, daß die Apostelmenge (resp. das Apostelsein) ein Apostel ist: es ist einfach falsch. Diese Frage hat einen Sinn, ob einen „guten“, mag Geschmacksache sein.

Die Bemerkungen, die ich gegen RussellsPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell Argumentation für die absolut disparaten Typen getan habe, finden sich auf den Seiten 67-71 meiner Schrift „Russells antinomi“B

Ich möchte noch folgendem Gedankengange Ausdruck geben. Nach RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell darf man streng genommen ja nicht 🕮 allgemein von der Satzfunktion

\(x \epsilon y\)

sprechen, weil es ja immer sinnlos ist, wenn nicht

[Formel]

ist. Aber wenn wir diese Prämisse zu einem, wenn sinnvollen, so wahren Satze hinzuschreiben, so haben wir z. B.

[Formel]

Gilt das nun unabhängig von den Typen?

1) Wenn „nein“, dann scheint es, daß man in dieser Theorie nicht einmal von der Satzfunktion

[Formel] ( = der Typus der Individuen)

sprechen kann. Denn dieser Ausdruck ist ja sinnlos, wenn er kein Individuum bezeichnet, sonst wahr, nie falsch. Und kann man es mal Fragen [sic], ob [Formel] Ist ja doch diese Frage in den meisten Fällen sinnlos. Nach der ganzen Typentheorie muß man aber immerfort solche Fragen stellen und beantworten. Und kann man in der Typentheorie überhaupt sinnvoll und wahr sagen: „a ist kein Individuum“, d. h. [Formel]?

2) Wenn man aber bejaht, daß die obige Proposition unabhängig von den Typen gilt, dann sind ja ganz generelle, d. h. über bestimmte Typen oder Typenfunktionen sich streckende Propositionen auch in der Typentheorie möglich. Dann hat man aber anstatt einer Typentheorie mit in der Theorie meist nicht explizit erscheinenden Typenvoraussetzungen und beschränkter Gültigkeit der Sätze, eine Theorie mit expliziten Typenvoraussetzungen, aber absolut genereller 🕮 Gültigkeit der Sätze.

Habe mit großer Freude von Ihrem Buche „Der logische Aufbau…“B1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 Kund genommen. Ich habe schon manche Jahre, etwa von 1916-17, intuitiv erkannt, daß die Weiterführung vieler Fragen der Philosophie eben solche Struktur- aber Konstitutionstheorien voraussetzt, also HusserlschePHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph Wesenswissenschaften, im besten Sinne dieses Wortes, und daß dabei von den Mitteln der Logistik Gebrauch gemacht werden muß. Von der Richtigkeit Ihrer Methode bin ich überzeugt und glaube, daß die zukünftige Philosophie solche Wege einschlagen muß, wenn aus der Philosophie einmal Wissenschaft werden soll.

In einigen Punkten, die mit meiner Stellungnahme zur absoluten Typentheorie zusammenhängen, kann ich aber nicht mit Ihnen übereinstimmen. Ich nehme Ihre Beispiele der verschiedenen Gegenstandssphären und der Sphärenvermengungen. Im Beispiel „das Aluminium“ u. A. (§ 31) finde ich eher eine Äquivokation à la HusserlPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph (also eine sprachliche Mehrdeutigkeit) als eine Sphärenvermengung als Ursache der Unmöglichkeit eine bestimmte Antwort auf den [sic] Fragen zu geben. Die sprachliche bestimmte Einzahlform „das Aluminium“ – diese sprachliche Form gibt meiner Meinung nach zu viel ärgeren Äquivokationen anlass [sic] als die ärgsten von HusserlPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph behandelten Äquivokationen es sind. Der Ausdruck „das Aluminium“ kann u. a. folgendes bedeuten:

A)das einzige Aluminiumstück [absolut oder relativ, wie z. B. die „Sonne“]

B) das oben besprochene–“- [mit Varianten]

C) dies (jenes)–“–

D) alles Aluminium (kollektiv)

E) jedes Aluminiumstück 🕮

F) das Aluminiumsein

G) die Menge aller Aluminiumstücke

Differenzieren wir also den vieldeutigen Ausdruck „das Aluminium“ in obige eindeutige Ausdrücke und fragen dann, ob „das Aluminium A (resp. B, C, D, E, F, G)“ rot ist

-„- 5 kg wiegt

-„- in der Schweiz liegt

-„- hart ist

So bekommt man in den Fällen D, E, F, G die bestimmte Antwort „nein“. In B und C bekommt man „ja“ oder „nein“ je nach dem Aluminiumstück, das die pronominellen Ausdrücke „das Al. B resp. C“ jedes mal bezeichnen. Nur „das Al. A“ scheint eine sinnlose Frage zu geben, wahrscheinlich weil „das einzige Aluminiumstück“ ja gar nicht existiert. (ein wohl unmöglicher Gegenstand ist).

In anderen Fällen, wie z. B. für das Paar Mond-Deutschland (§ 28) liegt die Sache meinerachtens viel einfacher, weil der Ausdruck „der Mond“ (= unser einziger irdischer Mond) einen ganz bestimmten Gegenstand bezeichnet: meiner Meinung nach ist die Frage, ob der Mond eine Stadt in Deutschland ist, schlichtweg mit „nein“ zu beantworten und nicht als sinnlos zu verwerfen.

Ich habe nichts gegen die Gegenstandssphären (relativ). Ebensowenig wie gegen die Typen, sondern nur gegen die in der Typentheorie ?Sinnlosichkeit, worin Gegenstände nicht normaler Typen eingesetzt werden. —

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener
Th. Eklund

Adr. Aningais? 5 Åbo Finnland

Brief, hsl., 4 Seiten, RC 028-15-01; Briefkopf. HSL: Åbo, Finnland 14/6 1929  /  Herrn Doktor Rudolf Carnap  /  Ameisbach  /  Wien XIII/5.


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