Hans Reichenbach an Rudolf Carnap, 18. März 1929 März 1929

Lieber Carnap‚

besten Dank für Ihren Brief. Wegen der BesprechungB Ihres BuchesB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 in den KantstudienIKant-Studien, Zeitschrift haben Sie ganz recht, ich denke die Besprechung in diesen Ferien fertigmachen zu können, und will dann LiebertPLiebert, Arthur, 1878–1946, dt.-brit. Philosoph bitten, die Sache nicht so lange liegen zu lassen.

Über Ihre Lösung des Realismusproblems denke ich immer noch so wie damals als wir in Stuttgart darüber diskutierten. Sie werden in meinem Handbuchartikel „Ziele und Wege der physikalischen Erkenntnis“BReichenbach, Hans!1929@„Ziele und Wege der physikalischen Erkenntnis“, Geiger, Hans und Karl Scheel (Hrsg.), Handbuch der Physik. Band IV. Allgemeine Grundlagen der Physik, Berlin, 1929, 1-80 eine Darstellung meines Standpunkts finden; leider ist dieses nun schon drei Jahre alte Manuskript, das ich im August letzten Jahres ein wenig mit Rücksicht auf den neuesten Stand der Physik überarbeitet habe, immer noch nicht erschienen, aber Sie bekommen dann später sofort einen Sonderdruck, vielleicht schon in einigen Wochen. In meiner BesprechungB Ihres BuchesB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 will ich natürlich diesen Gegensatz unserer Auffassungen möglichst zurückstellen.

Es hat mich sehr gefreut, daß Sie mein Raum-Zeit-Buch mit Erfolg in Ihrem Seminar verwenden konnten. Auf den hohen 🕮 Preis habe ich leider gar keinen Einfluß; übrigens wäre das Buch bei anderen Verlegern, z. B. SpringerISpringer Verlag, noch teurer geworden, da es ja sehr umfangreich ist. Die hiesigen Studenten bekommen derartige Bücher durch ihre studentischen Organisationen zu einem Vorzugpreis, meine Hörer bekommen es als sog. „Hörerexemplare“ noch besonders ermäßigt. Ev[entuell] kann ich versuchen, wenn Sie mal wieder ein derartiges Seminar abhalten, für Sie eine Sammelbestellung zu einem Vorzugspreis beim Verlag durchzusetzen.

Inzwischen sandte ich Ihnen eine neue Arbeit von mir über „Stetige Wahrscheinlichkeitsfolgen“B.

Es ist schön, daß Sie nach Davos fahren; ich kann das leider in eigener Regie nicht machen. Ich würde aber sehr gern bei diesen Kursen gelegentlich mal einen Kurs übernehmen und habe übrigens auch schon mit SalomonPSalomon, Gottfried, 1892-1964, dt.-am. Soziologe, Organisator der Davoser Hochschulkurse darüber gesprochen. Wenn Sie mit Ihrer Anregung, die Naturphilosophie einmal in den Mittelpunkt der Kurse zu stellen, etwas erreichen, so würde ich das sehr begrüßen – was haben Sie übrigens von HeideggerPHeidegger, Martin, 1889–1976, dt. Philosoph für einen Eindruck? Offen gesagt, mir graut etwas.

Wegen der Diskussion im Philosophischen AnzeigerI werden Sie wohl am besten mal bei PlessnerPPlessner, Helmuth, 1892-1985, dt. Philosoph nachfragen.

Ich bin mit herzlichen Grüßen und Wünschen für eine gute Erholung

Ihr
[Hans Reichenbach]

Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, HR 014-03-19; Briefkopf: msl. 18. März [192]9  /  Herrn Dr. Rudolf Carnap  /  Wien XIII/5  / Ameisbachzeile.


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