Sie haben mich vor längerer Zeit mit der Übersendung zweier Ihrer WerkeB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928B1928@Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit, Berlin-Schlachtensee, 1928 erfreut. Mit Arbeit überhäuft, habe ich bisher leider nur die kleinere Arbeit durchlesen können. Ihr Inhalt wäre Grundlage für stundenlange Debatten.
Bestreiten müßte ich unter anderem vor allem, daß Ihr Gegner einen der auf Seite 44 angegebenen Standpunkte einnehmen müsse. Sie scheinen nämlich den Ausdruck „Sachverhalt“ für etwas so leicht Verständliches zu halten, daß dagegen eine Einwendung unmöglich sei und Sie fragen „was soll eine Aussage anderes als einen Sachverhalt ausdrücken?“ Ich antworte darauf: Eine Aussage ist ein Ausdruck eines Urteils und wahr nenne ich ein Urteil, wenn ich es als evident oder mit einem evidenten übereinstimmend oder einem evidenten unmöglich widersprechend oder für nicht unmöglich evident bezeichnen will.
Der Terminus „Sachverhalt“ = Objektiv = Inhalt“wer streicht Anführungszeichen? Beistrich oder \= ? ist aus der österreichischen Schule in die Schriften v. WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph, MeinongPMeinong, Alexius, 1853-1920, öst. Philosoph, MartyPMarty, Anton, 1847–1914, schweiz.-tschech. Philosoph übergegangen und RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell übernimmt ihn unter ausdrücklicher Berufung auf MeinongPMeinong, Alexius, 1853-1920, öst. Philosoph. Nichtsdestoweniger ist er ein Synsemantikon (mitbedeutend) und jener irrt, der glaubt, daß er ein selbstbedeutender Ausdruck sei.
Ich muß Sie bitten, meine EinleitungB zu BrentanoPBrentano, Franz, 1838–1917, dt.-öst. Philosoph, Psychologie IB und den Anhang zu Psychologie IIB daraufhin zu prüfen. Auch schon Ihre ersten Worte auf S. 5 muß ich auf das entschiedenste bestreiten. Die Erkenntnis bedarf keiner Rechtfertigung. Erkenntnis heißt ja gar nichts anderes als in sich gerechtfertigtes Urteil. Ihre diesbezüglichen Ausführungen hätten sehr an Wert gewonnen, wenn Sie z. B. LeonardaOriginal Leonhard NelsonsPNelson, Leonard, 1882–1927, dt. Philosoph Unmöglichkeit einer Erkenntnistheorie und wiederum die von mir kommentierten BrentanoausgabenB studiert hätten. Wollen Sie doch bedenken, daß alle characteristica universalis und alle derartigen Bestrebungen nur einen Erfolg haben können, wenn sie auf Analyse unseres Bewußtseins beruhen. Sie scheinen dies ja in gewisser Weise zuzugestehen, wenn Sie einen Stammbaum der Begriffe anstreben. Allerdings kann ich auch diesen Stammbaum nicht billigen. Wenigstens nicht ganz. Doch hoffentlich ergibt sich bald Gelegenheit, mündlich mit Ihnen über diese Dinge zu sprechen oder ich führe meine Gedanken schriftlich aus. Eines ist sicher: Mich verbindet mit Ihnen das Streben nach größtmöglicher begrifflicher Schärfe, nur scheint es, daß wir über die Wege, zu ihr zu gelangen, nicht ganz einig sind.
Mit bestem Dank und Gruß‚