\brief{Rudolf Carnap an Marcel Natkin, 16. April 1928}{April 1928} %R.Carnap. %Seefeld (Tirol), den 16.April 1928. %Rantnerhof 138 \anrede{Lieber Herr Natkin!} \haupttext{Soeben habe ich Ihnen Ihr MS\IW{} wieder zugeschickt. Ich habe es mit großem Interesse gelesen. Ferner danke ich Ihnen herzlich für Ihren ausführlichen Brief vom 30.\,März. Ich habe mich sehr gefreut, Näheres über die Diskussionen zu hören, die zwischen Ihnen und Ihren Bekannten und Gegnern stattgefunden haben. Da ich Mitte oder Ende nächster Woche nach Wien komme, und hoffe, dann bald mit Ihnen und den Andern über diese Dinge sprechen zu können, und auch mit Ihnen ausführlicher über Ihr MS\IW{}, so möchte ich mich jetzt mit einigen Andeutungen begnügen. Ich bin geneigt, Ihrer These zuzustimmen, daß man eine Aussage darüber machen kann, ob in einem bestimmten Gebiete eine Gesetzmäßigkeit von der und der Form und dem und dem Einfachheitsgrad besteht (vorausgesetzt, daß diese Form und dieser Grad gut definiert sind); und spezieller: daß es möglich ist, so vorzugehen, wie Sie vorschlagen, nämlich eine bestimmte allgemeine Beschreibungsmethode auf irgendein bestimmtes Gebiet anzuwenden, und dann der Einfachheitsgrad der sich ergebenden Beschreibung des Gebietes als Beschaffenheit des Gebietes selbst auszusagen. Allerdings kommt dann dem Gebiet diese Beschaffenheit nur zu in bezug auf die gewählte Beschreibungsmethode \blockade{hsl. was?} (wie Sie selbst auch zugeben). Trotzdem scheint mir das, in Übereinstimmung mit Ihrer Ansicht, eine objektive Beschaffenheit des Gebietes zu betreffen. ,,An dieser Beschreibungsmethode gemessen, hat dieses Gebiet den und den Einfachheitsgrad`` scheint mir in Analogie zu stehen zu: ,,an diesem Stab gemessen (das ist ja genau genommen auch nicht ein Ding, sondern eine Methode), hat dieser Zaun die Länge 5``. Doch möchte ich Ihre Ablehnung der Unterscheidung von Theorie u. Handlung (Brief, u. MS\IW{} S.\,128) nicht mitmachen. Natürlich kann ich in Ihrer Kontroverse mit Herrn Waismann\IN{\waismann} nicht Stellung nehmen, bevor ich auch den Gegner gehört habe. Der Wittg[enstein]'schen\IN{\wittgenstein} Logik stimme ich ja in vielen Punkten zu; sein Rigorismus in bezug auf das Nichtsagbare erscheint mir aber in manchem doch problematisch. Zu Ihrem MS\IW{} nur ganz kurze Andeutungen: Zunächst zähle ich einige Punkte auf, die ich mit Freude und Zustimmung gelesen habe: \textsection{}\,1, Humes\IN{\hume} Kausalitätsauffassung; \textsection{}\,2 populäre Kaus[alitäts]-Auff[assung] \textsection{}\,4: Einwand gegen Telekinese nicht erkenntnisth[eoretisch], sondern experimentell. S.\,31 f.: ,,sinnvolle Formulierung des Finalismus; der metaphys[ische] Fin[alismus] unterscheidet sich nur durch Begleitvorstellungen. \textsection{}\,8. Homogeneität von Raum u. Zeit sind nicht notw[endig] Bedingungen f. d[ie] Anwendung des Kausalgesetzes. Vorausberechenbarkeit hängt nur davon ab, ob extrapolierbare Funktion besteht. S.\,75: Begriffsbildungen ,,Bestimmungspunkte``, ,,best. P.``, ,,Grad d. Gesetzmäß.`` 2 Gesetzesarten: Farbenreihe-Kurve; Implikation, Relation. S.\,119: daß meist die einfachere Theorie erfolgreicher, ist eine Beschaffenheit der Welt, nicht unsrer Intelligenz. S.\,125: \neueseite{} Gültigkeit des Kausalpr[inzips] fällt nicht zus[ammen] mit d[er] Gült[igkeit] des Induktions-pr[inzips]. Einschneidende Gegenbemerkungen wüßte ich nicht zu machen. Bei mündlicher Besprechung möchte ich Sie auf einige Stellen hinweisen, bei denen ich Bedenken habe, oder wo mir die Formulierung nicht einwandfrei erscheint. (Z.\,B. S.\,26 unten, 29 u., 34 o., 35 M., u., 90, 111 f., 129). Ich habe heute neue Zettel fürs Schwarze Brett abgeschickt; ich will als Thema f. die Übungen nicht Sprachlogik, sondern allg. Theorie der Axiomatik nehmen. Ich denke mir als Teilnehmer nicht Anfänger, sondern logisch schon Vorgebildete. Falls Sie nicht mit Examenvorbereitungen oder sonstwie allzusehr in Anspruch genommen sind, würde ich mich über Ihre Mitarbeit bei den Übungen freuen Mit bestem Gruß} \grussformel{Ihr\\ \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, Dsl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870434}{RC 029-06-03}; Briefkopf: msl. \original{R. Carnap \,/\, Seefeld (Tirol), den 16.\,April 1928 \,/\, Rantnerhof 138}.}