gerne hätte ich schon vor ein paar Tagen geschrieben, denn Deine Anfragen erheischen wohl baldige Antwort. Aber ich bin wieder einmal recht gehetzt in meinen verschiedenen Tätigkeiten, und so bitte ich um Entschuldigung, daß dieser Dank für Deinen Brief nicht sofort kommt. Hoffentlich aber noch zeitig genug.
In der Frage des Randstriches bei Deinem BucheB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 muß ich gestehen, daß ich mich ganz BenarysPBenary, Wilhelm, 1888-1955, dt. Psychologe und Verleger Meinung anschließe. Nach sorgfältigster Überlegung der Sache erscheint mir die Wirkung des Randstriches psychologisch durchaus ungünstig. Abgesehen von der ästhetischen Seite der Angelegenheit (die man aber nicht für unwichtig halten darf, denn manches andere ist eng damit assoziiert) halte ich es für unrichtig, daß solch ein Buch ruhig einem Kursbuch ähnlich sehen dürfe. Es darf nicht absichtlich trocken gemacht werden, sondern muß lebendig bleiben. Gewiß darf und soll man denen entgegen kommen, die „diagonal“ lesen, und ihnen das Heraussuchen der Hauptsachen erleichtern, aber es ist nicht gut, sie förmlich dazu herauszufordern und zu ermuntern und diejenigen förmlich abzuschrecken, die das Ganze in fortlaufender Lektüre auf sich wirken lassen und es genießen wollen. Ich glaube, daß das BuchB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 in erster Linie dazu da ist, das System aufzubauen; die Behelfe für den weiter arbeitenden, hin und her Lesenden soll es zwar auch geben, aber dieser Zweck darf nicht zu sehr in den Vordergrund treten. Der schöpferische Leser muß ohnehin doch auch alles so verarbeiten, daß er sich den Randstrich ohne Mühe selber machen kann, wie BenaryPBenary, Wilhelm, 1888-1955, dt. Psychologe und Verleger ganz richtig meint. Vielleicht könnte er auch, wie Du fürchtest, in der zu deutlichen Unterscheidung von mehr oder weniger Wichtigem eine Bevormundung sehen. Auf denjenigen aber, der sich infolge einer willkürlichen Auslese von Sätzen ein schiefes Bild macht, soll man überhaupt keine Rücksicht nehmen – eigentlich kann man das gar nicht. Ich bin also entschieden der Meinung, daß der Zweck des Randstriches besser erfüllt wird, wenn, wie Du selbst erwogen hast, am Schluß ein kurzer Überblick über den Inhalt der einzelnen Kapitel hinzugefügt wird, oder wenn dort die §§ oder Stellen, die den Kern des Buches bilden, besonders aufgezählt werden.
Ich bin sogar der Meinung, daß wir auch für den Abriß der LogistikB1929@Abriß der Logistik. Mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, Wien, 1929 von den Randstrichen absehen und dafür Hinweise am Schlusse einführen sollen. Darüber müssen wir uns noch später verständigen. Übrigens hat WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann noch immer Dein MSB1929@Abriß der Logistik. Mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, Wien, 1929, ich habe ihn aber gemahnt und werde es sicher in den nächsten Tagen zurück bekommen; ich möchte es jetzt doch endlich dem Verleger 🕮 vorlegen, zusammen mit dem MSB von MisesPMises, Richard von, 1883–1953, öst.-am. Mathematiker, dessen Ankunft auch unmittelbar bevorsteht. WaismannsPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann Schrift (kurze Gesamtdarstellung der Wittgensteinschen PhilosophieB) ist leider noch nicht abgeschlossen. Es ist schade, daß es WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann fast unmöglich zu sein scheint, die Hemmungen zu überwinden, die sich ihm bei jeder Niederschrift entgegenstellen; sein klarer Verstand könnte sonst wirklich außerordentlich viel leisten.
Es freut mich, daß es Dir gesundheitlich so gut geht. Auch ich fühle mich recht wohl, obgleich ich fast immer erst gegen eins ins Bett komme. Mein LogikkollegI macht mir wirklich Freude, beschäftigt allerdings meine Gedanken so sehr, daß ich oft darüber wach liege. Ich suche es ganz auf der Grundlage von WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph aufzubauen. Es erweckt bei den Hörern viel mehr Interesse und Verständnis, als ich erwartet habe. Auch das Seminar (über Ethik) ist diesmal wirklich sehr hübsch und lebendig, sehr nette Teilnehmer. Mit WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph haben WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann und FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl bei mir kürzlich einen sehr gemütlichen Abend verbracht; er soll in dieser Woche wiederholt werden. Übermorgen halte ich in der Ethischen GemeindeIGesellschaft für ethische Kultur einen Vortrag über „Ethik der Pflicht und Ethik der Güte“B; vor Weihnachten habe ich in der Kulturwissenschaftlichen GesellschaftI über moderne MoralphilosophieB gesprochen. FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl hält nächstens in der Philosophischen GesellschaftIPhilosophische Gesellschaft, Universität Wien einen VortragB über das Thema seiner Dissertation}BFeigl, Herbert!1927@Zufall und Gesetz. Versuch einer naturerkenntnistheoretischen Klärung des Wahrscheinlichkeits- und Induktionsproblems, Diss., Universität Wien, 1927.1H. Feigl: Zufall und Gesetz. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung von Induktion und Wahrscheinlichkeit in den Naturwissenschaften. – Wien, 1927.
Sonst ist in Wien alles in Ordnung. Von den Faschingsveranstaltungen haben wir bisher noch nichts mitgemacht, Konzerte und Theater habe ich wegen Zeitmangels nur wenig besucht, aber doch einiges sehr Schöne gehört. MajaPRosenberg, Maja, 1904–1969, russ.-israel. Pädagogin, Schülerin von Moritz Schlick, verh. mit Moro Bernstein sagt, daß sie Dir einen Brief geschrieben und Chalet WieserI adressiert hat. Hoffentlich hast Du ihn erhalten. Sie sollte jetzt nach Deutschland und von da nach Amerika reisen, um einen Fonds für ihr Kinderheim zu sammeln, aber immer und immer wieder sucht sie die Abreise hinauszuschieben; jetzt will sie in drei Wochen fahren. Hoffentlich bringt sie die Kraft auf, sich endlich von Wien loszureißen; es wäre wirklich gut für sie.
Ich wünsche Dir von ganzem Herzen das beste für Deine Gesundheit und Arbeit und hoffe bald wieder Gutes von Dir zu hören. Mit vielen schönen Grüßen