vielen Dank für Deinen Brief. Er hat sich offenbar mit meiner letzten Karte an Dich gekreuzt. Es freut mich, von Dir bestätigt zu hören, daß Dein Befinden so gut ist und erfreuliche Fortschritte macht. Wenn man wohl ist und skilaufen darf, ist ja Davos im Winter ein wahrhaft herrlicher Aufenthalt, und Dein Dasein dort beneidenswert. Wir sind mit Kitzbühel auch sehr zufrieden, obwohl die Südhänge fast ganz schneefrei sind und es während der ganzen Zeit nicht geschneit hat. Auf Touren mußten wir unter diesen Umständen verzichten, aber wir verbringen täglich eine Reihe von Stunden auf den Übungswiesen, und da wir je noch viel zu lernen hatten, ist das ganz gut für uns. Außerdem gesündeste Bewegung und in reiner Luft und strahlendem Sonnenschein. Mein SohnPSchlick, Albert, 1909–1999, Elektroingenieur, Sohn von Moritz Schlick ist heute bereits abgereist, wegen der Schule; ich bleibe mit der TochterPSchlick, Barbara, 1914–1988, verh. van de Velde, Tochter von Moritz Schlick bis zum 8ten. Da der Himmel heute bezogen ist, haben wir immerhin noch Hoffnung auf richtige Schneetage.
Zum Arbeiten komme ich hier fast gar nicht, da man in den Ruhepausen ziemlich müde ist. Trotzdem habe ich einige Kleinigkeiten erledigt.
Daß der Verlagsvertrag Deines BuchesB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 endgültig abgeschlossen ist, war mir eine sehr willkommene Nachricht. Über den Titel des Werkes möchte ich folgendes sagen: Ein Buchtitel hat nicht bloß die Aufgabe, den Inhalt des Werkes richtig zu 🕮 bezeichnen, sondern auf das wichtigste des Inhaltes oder der Absicht mit suggestiver Kraft hinzudeuten – ja dies letztere ist sogar die Hauptsache. Ich würde daher von den Titeln, die Du am Schlusse Deines Zettels vorschlägst, entschieden abraten; sie sind in der Tat zu blaß. Aber auch wenn man nur auf die sachliche Angemessenheit des Titels achtet, scheint mir der Titel „der log[ische] Aufbau der Welt“ für das später geplante (materialistische) Konstitutionssystem weniger gut zu passen, weil es nur ein mögliches Weltbild darstellt, wenn auch das allein zu durchgehender Gesetzmäßigkeit führende. Das Grundlegende an Deinem BucheB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928, wie es jetzt ist, sind doch die allgemeinen Ausführungen über die Prinzipien der Konstitution, und daran schließt sich erst der Aufbau des Erkenntnissystems. Für diese prinzipielle Grundlegung, und damit auch für das ganze BuchB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928, scheint mir nun „Der logische Aufbau der Welt“ doch der geeignete Titel zu sein, wobei diese Worte allerdings so zu verstehen sind, daß in es sich in erster Linie um die Prinzipien eines solchen Aufbaus überhaupt, weniger um seine wirkliche und spezielle Durchführung handelt. Diesen Unterschied aber im Titel selbst schon hervorzuheben, scheint mir nicht nötig, es würde ihn pedantisch verlängern und sicher nicht verschönern. Es ließe sich noch manches sagen, aber alles in allem genommen scheint mir das Resultat zu sein: Entweder könntest Du den Titel „Der log[ische] Aufbau der Welt“ für ein aus mehreren Teilen be 🕮 stehendes Gesamtwerk nehmen, wovon dann der vorliegende erste Teil den Untertitel „Erkenntnislogik“ oder einen ähnlichen erhalten könnte, während der spätere etwa „Logik der Natur“ heißen würde. „Wirklichkeitslogik“ wäre m. E. zu weit und würde auch auf den I. Teil passen. Oder, und dies würde ich für das bessere halten, Du läßt ruhig dem vorliegenden Buche den geplanten Titel und würdest das spätere, vom Physischen ausgehende System dann den „logischen Aufbau der Natur“ nennen. „Natur“ scheint mir überhaupt treffender als das von Dir vorgeschlagene „Wirklichkeit“. Aber vielleicht fällt Dir irgendwie etwas noch besseres ein.
Bei dem Plan der Gesellschaft f. exakte Phil[osophie]I ging ich eigentlich von der Annahme aus, daß das SymposionISymposion, Philosophische Zeitschrift endgültig eingegangen sei. Da dies nach Deinem Bericht noch nicht sicher ist, so muß bei dem Modus procedendi darauf Rücksicht genommen werden. Die Ges[ellschaft]I könnte das Symp[osion]ISymposion, Philosophische Zeitschrift z. B. zu ihrem Organ machen. Ich werde jedenfalls erst mit allen möglichen Seiten Fühlung nehmen, bevor Entscheidendes geschieht.
Über eine Internat[ionale] Universität DavosI entsinne ich mich vor langer Zeit gehört zu haben, weiß aber im einzelnen schlechterdings nichts darüber.
Bei der Korrektur des Vorlesungsverzeichnisses, 🕮 die mir leider noch nicht vorgelegen hat, will ich selbstverständlich mich auch um Deine Ankündigung kümmern.
In meiner Logikvorlesung habe ich vor Weihnachten einen kritischen Überblick über die Traditionelle Lehre gegeben, jetzt beginnt nun der positive Aufbau, bei dem ich von FregePFrege, Gottlob, 1848–1925, dt. Mathematiker und Philosoph ausgehen werde. Ende November hielt ich einen ethischen VortragB in der Kulturwissenschaftl[ichen] Ges[ellschaft]I, in diesem Monat werde ich einen andern (über „Ethik d[er] Pflicht und Ethik der Güte“B) in der eth[ischen] GemeindeIGesellschaft für ethische Kultur halten.
Du erwähnst in Deinem Literaturverzeichnis die “Mathematical philosophy“B von C[assius] J[ackson] KeyserPKeyser, Cassius Jackson, 1862–1947, am. Mathematiker– könntest Du mir einige Worte über Autor und Buch sagen? Lohnt Anschaffung fürs Institut? Habe ich Dir schon erzählt, daß am 10. Dez. im Kl[einen] Festsaal d[er] Universität ein wirklich herrliches Konzert zugunsten des Phil[osophie] Inst[ituts]IPhilosophisches Institut der Universität Wien stattfand, das einen Reinertrag von über 1200 S ergab? Herr LinksPLinks, Rudolf, 1883-1938, öst. Offizier und Mediziner, stud. bei Moritz Schlick hatte die Mitwirkenden (allererste Kräfte Wiens) gewonnen und sich um das Ganze sehr verdient gemacht. – MajaPRosenberg, Maja, 1904–1969, russ.-israel. Pädagogin, Schülerin von Moritz Schlick, verh. mit Moro Bernstein ist seit Ende Nov. wieder in Wien – auf 2 Monate, wie sie sagte – aber dabei wird es gewiß nicht bleiben. – Herr WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann hat in einer sehr hübschen Abhandlung Wittgensteins GrundideenB auseinandergesetzt1Es handelt sich hier offenbar um F. Waismann: Thesen. – In: Wittgenstein und der Wiener Kreis. – Frankfurt a.M., 1984. – S. 233-261 (hier auf „um 1930“ datiert).– das wäre etwas für unsere ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift. Hoffentlich höre ich bald mal wieder von Dir. Lebewohl, weitere gute Besserung! Allerherzlichste Grüße von