Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 20. November 1927 November 1927

Lieber Carnap‚

für Deinen Brief und die MS-SendungB1929@Abriß der Logistik. Mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, Wien, 1929 danke ich Dir herzlich. Du schreibst nichts über Dein Befinden; ich hoffe daraus schließen zu dürfen, daß Du nicht zu klagen hast und Dich völlig gesund fühlst. Mir geht es – um Deine diesbezügliche Frage zu beantworten – wirklich recht gut. Jene plötzlichen Koliken rührten nicht vom Magen, sondern von der Niere her. Die Ursache war ein Stein, der sich aber offenbar inzwischen verkrümelt hat, denn die Beschwerden haben vollkommen aufgehört.

Entschuldige bitte, daß ich nicht früher antwortete; ich wollte zuerst die kleine Besprechung abwarten, die ich wegen der zu gründenden ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift anberaumt hatte. Nach reiflichen Überlegungen sind wir zu der Meinung gekommen, daß man nicht direkt an die Gründung einer ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift herantreten kann, sondern erst einen Untergrund schaffen sollte, auf dem sie aufgebaut werden kann. Als solcher erscheint eine Gesellschaft für exakte PhilosophieI geeignet, die einfach dadurch zu gründen wäre, daß wir die in Betracht kommenden führenden Denker (RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell, WhiteheadPWhitehead, Alfred North, 1861–1947, brit.-am. Philosoph, EinsteinPEinstein, Albert, 1879–1955, dt.-am. Physiker, verh. mit Else Einstein, HilbertPHilbert, David, 1862–1943, dt. Mathematiker, KeynesPKeynes, John Maynard, 1883–1946, brit. Ökonom etc. etc.) um eine Zustimmungserklärung zu unsern Zielen bitten und mit ihnen eine zunächst lockere Organisation bilden. Diese internationale GesellschaftI muß dann versuchen, von einer amerikanischen Stiftung oder auch von dieser oder jener Regierung eine Subvention zu bekommen, welche der ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift über die ersten Jahre hinweghilft. Unter andern Umständen wäre, darüber sind wir uns klar, an eine Rentabilität nicht zu denken. Ich gedenke schon in der nächsten Woche einige Briefe abzusenden.

In Dein MS.B1929@Abriß der Logistik. Mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, Wien, 1929aksl. Notiz habe ich schon hineingeschaut. Es erscheint mir glänzend gelungen und verhält sich zu dem Behmannschen Abriß wie ein Obstgarten zu einem dürren Rasenfleckchen. Das Heftchen von BehmannBBehmann, Heinrich!1927@Mathematik und Logik, Leipzig, 1927 lernte ich nämlich gleich nach seinem Erscheinen kennen. Wenn ich mir zunächst aber einen äußerlichen Rat erlauben darf, so möchte ich aus psychologischen Gründen unbedingt vorschlagen, das BuchB1929@Abriß der Logistik. Mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, Wien, 1929 mit § 2 beginnen zu lassen und die im § 1 enthaltene Übersicht in Form einer Tabelle an den Schluß zu stellen. Ich werde das MSB1929@Abriß der Logistik. Mit besonderer Berücksichtigung der Relationstheorie und ihrer Anwendungen, Wien, 1929 an WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann, der übermorgen zu mir kommt, weitergeben. Ich hoffe, daß auch WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph kommen wird, den ich seit meiner Rückkehr noch nicht gesehen habe. – Ich habe einen dringenden Brief an Ph[ilipp] FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank geschrieben wegen seines BeitragesB; das MSB von MisesPMises, Richard von, 1883–1953, öst.-am. Mathematiker, das auch bereits fertig sein soll, ist gleichfalls noch nicht eingelangt. Ich möchte nach Möglichkeit die drei MSSBBB zusammen dem VerlegerI übergeben, der ja vertragsgemäß mit dem Druck 🕮 beginnen sollte, wenn er drei beisammen hat. Meinen kleinen Beitrag („Fragen der Ethik“BSchlick, Moritz!1930@Fragen der Ethik, Wien, 1930) werde ich im nächsten Jahr abschließen.

Die Jahreszahl von WittgensteinsPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph BuchBWittgenstein, Ludwig!1921@Logisch-philosophische Abhandlung, Leipzig, 1921, nach der Du fragst, ist 1922.

Wenn Du im nächsten Semester „Philosophie des Raumes“ von 11 bis 1 (nur nicht Mittwochs) lesen wirst, so kollidiert das in keiner Weise mit mir. Ich werde 5-stündig Erkenntnistheorie lesen, und 1-stündig Weltanschauungsfragen.

Ich hoffe recht bald wieder von Dir zu hören. Teile mir auch bitte immer mit, wie es mit den Fortschritten in der Publikation Deines großen BuchesB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 steht. Du weißt ja, welch warmes Interesse ich daran nehme. Mir fällt gerade ein, daß ich vor einigen Tagen eine Zuschrift von den Annalen der PhilosophieIAnnalen der Philosophie, Zeitschrift erhielt, die darin um verständige Beiträge bitten. Möchtest Du nicht Deine beiden letzten AufsätzeBB einsenden? Du könntest Dich dabei auf mich berufen.

In Davos muß es jetzt herrlich sein. Ich möchte fast sagen, daß ich Dich beneide. Ich tue es bestimmt, wenn Du Skilaufen darfst. Wie steht es damit? Vermutlich wird es Dir, wenn auch nicht jetzt, so doch sicher nach Weihnachten, erlaubt sein. Ich habe heute nach Kitzbühel geschrieben, um dort für mich und meine KinderPSchlick, Albert, 1909–1999, Elektroingenieur, Sohn von Moritz SchlickPSchlick, Barbara, 1914–1988, verh. van de Velde, Tochter von Moritz Schlick Quartier zu bestellen. Wir wollen gleich nach Weihnachten auf etwa 12 Tage dorthin gehen, und es ist höchste Zeit zur Anmeldung. Gegenwärtig ist meine einzige Sportbetätigung das Reiten.

Es ist wundervoll, aber ich komme leider selten dazu, nicht einmal wöchentlich einmal. Es gibt sehr viel Arbeit. Die Zahl der Studenten ist in diesem Semester sehr groß.

Sonst nichts wichtiges. Grüße bitte Frau MauPGramm, Dorothea, 1896–1975, geb. Stadler, genannt Maue, verh. mit Josef Gramm herzlich, wenn Du Ihr schreibst, und nimm selber herzliche Grüße und Wünsche für den Erfolg Deines Davoser Aufenthalts von

Deinem
M. Schlick

Brief, msl., 2 Seiten, RC 029-31-02; Briefkopf: msl. Wien, 20. Nov. 1927.


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