\brief{Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 29. Oktober 1927}{Oktober 1927} %Davos-Dorf, den 29. Okt. 1927. %Pension Waldheim \anrede{Lieber Schlick,} \haupttext{unsre letzten Briefe kreuzten sich, und dann bekam ich noch Deinen Gruß aus England. Ich freue mich sehr, daß die gefürchtete Englandreise zu Deiner vollen Befriedigung ausgefallen ist. Leider bin ich nun nicht in Wien, wenn Du dort Deine Eindrücke aus frischer Erinnerung berichtest. Mir geht es gut hier. Die Sonne strahlt so herrlich, daß man noch Sonnenbad nehmen kann, und die dünne, trockene Luft tut sehr gut. Ich bin an einen guten Arzt geraten, der der etwas rätselhaften Sache genauer auf den Grund gegangen ist, als die Professoren in Düsseldorf, Freiburg und Wien. Er hat mir die vermutliche Entstehungsgeschichte und den (auch nur vermutlichen) jetzigen Zustand erklärt; und nun denke ich, ich wäre besser vorigen Herbst schon heraufgekommen und hätte im Winter die Sache hier richtig ausgeheilt. Vielleicht wäre ich dann endgültig darüber weggewesen. Nun stehe ich jetzt vor einem Problem der praktischen Entscheidung. Der Arzt rät mir, nicht bloß, wie ich vorhatte, jetzt, nächste Weihnachtsferien und Osterferien hier zu sein, sondern lieber einige Monate hintereinander hier zu leben. Er meint, daß man \sout{dann} mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit darauf rechnen kann, daß dann der Organismus die langsamen chronischen Prozeße ganz überwunden hat, und ich dann vor künftigen Überraschungen ziemlich gesichert bin. Ich neige dazu, dem Rat des Arztes zu folgen, um die Sache endlich einmal richtig zu erledigen. Was hauptsächlich in die andre Waagschale fällt, ist eine Sache, die ich selbst nicht recht abwägen kann: wie weit wirkt eine solche Unterbrechung für ein ganzes Semester ungünstig auf die Zukunftsaussichten im Beruf? Wird man dadurch als ,,kranker Mann`` abgestempelt? Welchen Eindruck pflegt so etwas auf die Univ.kreise zu machen? Vielleicht kannst Du mir Deine Antwort in wenigen Zeilen mitteilen. Ich möchte Deine Zeit jetzt nicht zu arg in Anspruch nehmen, wo Du gerade zurückkommst und sicher mit vielen Dingen überhäuft bist. Wenn ich Deine Antwort habe, werde ichs mir nochmal überlegen und dann entscheiden. Ich schreibe Dir dann. Falls ich hierbleibe, soll ich dann der Fakultät\II{\fakultaetwien} ein ärztliches Zeugnis schicken, oder ist das nicht üblich? Ich habe jetzt am Schwarzen Brett für 17.\,Nov. angekündigt und dem \sout{Fakultät} Dekanat\II{\dekanatwien} geschrieben, daß die Verzögerung krankheitshalber geschieht. Grüße bitte Deine Familie\IN{\schlickfrau} \IN{\schlickalbert} \IN{\schlickbarbara} und den Do.-Zirkel\II{\schlickzirkel} (wann tagt er?) Mit herzlichem Gruß} \grussformel{Dein\\ Carnap} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/871055}{MS 95/Carn-19 (Dsl. RC 029-31-05)}; Briefkopf: msl. \original{Davos-Dorf, den 29.\,Okt. 1927 \,/\, Pension Waldheim}.}