\brief{Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 4. Oktober 1927}{Oktober 1927} %Baden-Baden, den 4. Okt. 1927. \anrede{Lieber Schlick,} \haupttext{besten Dank für Deine Karten aus Riccione vom 17. u. 22. Mir geht es inzwischen leidlich. Ich vermutete wieder einen Pneumothorax, der liegt aber nicht vor; es sind schleichende Prozeße in der rechten Lungenspitze, die die Schmerzen verursacht haben. Ich bin jetzt hier bei einer Kur in einer sehr guten Naturheilanstalt, und das hat mir schon sehr gut getan. Die Schmerzen sind fast völlig verschwunden, die Atmungsgeräusche schon erheblich verbessert. Ich werde nun am 8. nach Buchenbach fahren, wo in den Tagen meine Familie\IN{\elisabeth} \IN{\hanneliese} \IN{\johannes} \IN{\eline} \IN{\annemarie} ankommt. Dort bleibe ich einige Tage, und gehe dann noch nach Davos oder Arosa. Nach dem jetzigen guten Befund werden wahrsch[einlich] etwa 4 Wochen dort genügen, sodaß ich Mitte Nov. nach Wien zu kommen gedenke. Den Vorlesungsbeginn werde ich für den 17.\,Nov. ankündigen. Wegen meines \uline{Buches}\IC{\konstitutionstheorie} hatte sich Benary\IN{\benary} auch an De Gruyter\II{\gruyterverlag} gewendet. Trotz Deines glänzenden Gutachtens, das ich hingeschickt habe, hat er aber abgelehnt. Nun hat mir Benary\IN{\benary} vorgeschlagen, das Buch\IC{\konstitutionstheorie} zu verlegen, wenn wir uns die Kosten teilen, indem er das Papier liefert und ich Satz und Druck bezahle (abzüglich des Zuschußes der Notgem[einschaft]\II{\notgemeinschaft}). Auf diesen Vorschlag will ich eingehn. Ich will aber trotzdem noch einmal ein Gesuch an die NG\II{\notgemeinschaft} einreichen, mitteilen, daß bei dem bewilligten Zuschuß von 1000 M[ark] Cassirer\II{\cassirerverlag}, Benary\IN{\benary} und De Gr[uyter]\II{\gruyterverlag} abgelehnt haben, und um Erhöhung des Zuschusses bitten. Um keine Zeit mehr zu verlieren, fange ich aber mit Benary\IN{\benary} schon auf der Basis der 1000 M[ark] die Sache an. Das MS des \uline{Abrisses}\IC{\logistik} ist, wie ich Dir schon schrieb, fertig. Mit dem Tippen bin ich noch nicht viel weiter gekommen; jetzt ist es zur Hälfte getippt. Vor einigen Wochen bekam ich von Behmann\IN{\behmann} ein neues Bändchen ,,Mathem[atik] und Logik``\IW{\behmannlogik}, das in der Teubnerschen Samml[ung]\II{} ,,Math.-physik. Bücherei``\II{} (oder so ähnlich, die kl., blaugrau kartonierten Bändchen)\fnE{korrektes Zitat} erschienen ist. Es ist ausgezeichnet, inhaltlich gut und klar verständlich. Es berührt sich \neueseite{} nahe mit meinem Abriß\IC{\logistik}, da es auch die Grundzüge der symbol[ischen] Logik (in Behmanns\IN{\behmann} eigener Symbolik) darstellt. Hierdurch wird der Abriß\IC{\logistik} aber nicht überflüssig. Er wird erstens ausführlicher als Behmanns\IN{\behmann} Schrift\IW{\behmannlogik}; so entwickelt er besonders die Relationstheorie, von der B[ehmann]\IN{\behmann} nur die Elemente darstellt. Zweitens ist das Ziel in beiden Schriften verschieden, sodaß sie sich gut ergänzen. B[ehmann]\IN{\behmann} will vor allem die Ableitung der Math[ematik] aus der Logik darstellen, was zwar bei mir auch dargestellt wird, aber nur als Nebenzweck. Mein Hauptziel ist die Darstellung der Logistik als einer \uline{Methode}, die auf verschiedenen (nichtlogischen) Gebieten zur Anwendung kommen kann. Dieses Ziel hat sowohl die Auswahl der Systemteile bestimmt, als auch mich veranlaßt, den zweiten Teil des Abrisses (der die Anwendungsbeispiele enthält) besser auszubauen, auf Kosten des ersten systemat[ischen] Teils, den ich \sout{zum Schluß, als} ziemlich gekürzt habe. Nachdem ich Behmanns\IN{\behmann} Schrift\IW{\behmannlogik} bekam, habe ich dieses Verhältnis der beiden Teile noch stärker herausgearbeitet. Wenn Du aus England zurückkommst, denke ich Dir das fertige MS\IC{\logistik} vorlegen zu können. Ich hoffe, es liegen dann auch andre MS für die Slg.\II{\schriftenwisswelt} vor, da es besonders im Hinblick auf Behmanns\IN{\behmann} Schrift\IW{\behmannlogik} gut wäre, wenn die Veröffentlichung des Abrisses\IC{\logistik} nicht mehr allzu lange verzögert würde. Ohnehin wird der Druck infolge der verschiedenen Formelzeichen, über die ich mich dann mit der Druckerei noch besonders ins Benehmen setzen muß, ziemliche Zeit in Anspruch nehmen. Falls Ihr Herausgeber\IN{\schlick} \IN{\frankphilipp} Bedenken habt, den Abriß\IC{\logistik} herauszubringen (nach der Behmannschen\IN{\behmann} Arbeit\IW{\behmannlogik}), oder der Verleger\II{} es nicht will, so wäre es mir lieb, wenn der negative Beschluß \uline{bald} geschähe, damit ich mich bald anderweitig umsehn kann. Ich vermute aber, daß das nicht der Fall sein wird. Liegen lassen werde ich den Abriß\IC{\logistik} auf keinen Fall. Ich freue mich, daß ich ihn fertig habe; obwohl ich selbst seine Mängel wohl kenne, scheint es mir doch seinem Zweck entsprechend gut geraten. Grüße bitte die Wiener Freunde, soweit Du sie siehst, und sage ihnen, daß es mir leid tut, nicht pünktlich dort zu erscheinen. Viel Schönes wünsche ich Dir für die (warum gefürchtete?) Englandreise! Dir und Deinen Angehörigen\IN{\schlickfrau} \IN{\schlickalbert} \IN{\schlickbarbara} herzliche Grüße} \grussformel{Dein\\ Carnap} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/871050}{MS 95/Carn-18 (Dsl. RC 029-31-06)}; Briefkopf: msl. \original{Baden-Baden, den 4.\,Okt. 1927}.}