\brief{Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 31. März 1927}{März 1927} %Wien IV, 31. März 1927. \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{gestern Abend erhielt ich von Springer\II{\springerverlag} das einliegende Schreiben, dessen Inhalt er mir schon vorher telephonisch mitgeteilt hatte. Der Brief befriedigt mich garnicht recht, obgleich Springer\II{\springerverlag} sichtlich bereit ist, das große Buch\IC{} zu verlegen, nachdem der kurze Abriß\IC{} erschienen ist. Ich schlage deshalb vor, die Suche nach einem andern Verleger eifrig weiter zu betreiben. An Cassirer\IN{\cassirerernst} habe ich mich schon mit der Anfrage gewandt, ob das Buch\IC{\konstitutionstheorie} wohl nach seiner Meinung für den Verlag seines Bruders\fnA{Es handelt sich nicht um den Bruder, sondern um eine zufällige Namensgleichheit. Vgl. Brief Nr.223}\IN{\cassirerbruno}\II{\cassirerverlag} in betracht komme. Von seiner Antwort werde ich Sie in Kenntnis setzen. Der Plan mit dem Weltkreis-Verlag\II{\weltkreis} und der Notgemeinschaft\II{\notgemeinschaft} ist gut, und Sie werden ihn gewiß weiter verfolgen. Ich lege Ihnen ein Gutachten bei, das Sie gegenüber der NG\II{\notgemeinschaft} (oder sonstwo) verwenden können. Planck\IN{\planckm} in der Sache zu bemühen, hätte, glaube ich, nicht viel Zweck, da er mit der philosophischen Abteilung direkt nichts zu tun hat. In dieser Abteilung sitzt, so viel ich weiß, Erich Becher\IN{\bechererich}, der sicher warm für Sie eintreten wird. An Ihrer Stelle würde ich jedenfalls sofort mit der NG\II{\notgemeinschaft} in Verbindung treten, um mich eines Kostenbeitrages zu versichern. Ich werde außerdem in diesen Tagen an J. A. Barth\II{\barthverlag} schreiben. Wenn wir das Buch bald anbringen, würden Sie nicht nötig haben, den kurzen Abriß\IC{} zu schreiben. Oder würden Sie dies etwa auf jeden Fall gern tun? Für Ihren Brief, der sich mit meinem kreuzte, vielen Dank. Auch Frau Mau\IN{\maue} danke ich sehr herzlich für Ihre Zeilen. Meinen Entschluß, in diesen Osterferien nicht nach Italien zu reisen, bereue ich schon; ich habe hier wenig Ruhe. Die Beethoven-Festlichkeiten sind schön, aber sehr anstrengend. Mit Maja\IN{\maja} habe ich meine liebe Not, seit sie ihre Examens-Sorgen los ist. Viele Tränen. Heute hat mich der Mathematiker Mises\IN{\mises} besucht. Außerdem ein sehr \neueseite{} genialer junger Mann, ein Berliner, der die Geometrie vieldimensionaler Räume in verblüffender Weise \sout{auf die} in der Musikwissenschaft anwendet. Von Prag habe ich garnichts gehört, doch erwarte ich Frank\IN{\frankphilipp} nächstens in Wien und werde ihn dann ausfragen. Ihre Gesundheit macht hoffentlich weiter gute Fortschritte. Ich grüße Sie und Frau Mau\IN{\maue} aufs allerherzlichste und bleibe mit den schönsten Wünschen für Sie beide} \grussformel{Ihr\\ M. Schlick} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/871016}{RC 029-32-09}; Briefkopf: msl. \original{Wien IV, 31.\,März 1927}.} \briefanhang{\uline{Abschrift.} Das Buch ,,Der logische Aufbau der Welt``\IC{\konstitutionstheorie} von Privatdozent Dr. Rudolf Carnap\IN{\carnap} stellt eine Leistung allerersten Ranges dar, und dem Werk kommt zweifellos eine hervorragende Bedeutung in der philosophischen Literatur der Gegenwart zu. Es ist dem Verfasser gelungen, die strengen Methoden, die in der modernen symbolischen Logik entwickelt wurden, auf die Lösung philosophischer Probleme mit erstaunlichem Erfolge anzuwenden. Dadurch kommt er einer wirklich exakten Philosophie, wie sie den besten Köpfen von jeher als Ideal vorschwebte, (es sei besonders an Leibniz\IN{\leibniz} erinnert), in ganz unerwartetem Maße näher, und sein Werk bekommt auf diese Weise einen ganz grundlegenden Charakter. Kein künftiger Erkenntnistheoretiker wird an dem Buche vorübergehen können, und es ist in jeder Beziehung dringend zu wünschen, daß es sobald wie irgend möglich im Druck erscheint. Schon auf Grund seines eminenten inneren Wertes darf man dem Buch\IC{\konstitutionstheorie} auch einen bedeutenden äußeren Erfolg voraussagen, aber dieser wird sich um so sicherer einstellen, als das Werk\IC{\konstitutionstheorie} durch eine fesselnde und überaus klare Schreibweise ausgezeichnet ist. Der Verfasser\IN{\carnap} ist überall leicht verständlich, auch dort, wo seine Analysen in die größte Tiefe führen; er leitet den Leser so unmerklich vom Leichten zum Schweren, daß die Lektüre zu einem Genuß wird. Ich kann die Publikation des Werkes\IC{\konstitutionstheorie}, das sich aus der zeitgenössischen philosophischen Produktion so überragend heraushebt, kaum angelegentlich genug empfehlen. \blockade{Abstand} Wien, 31.\,März 1927 \grussformel{gez. M. Schlick} \noindent{}Philosophisches Institut\\ Universität Wien} \ebericht{Anhang, msl., 1 Seite, entspricht \href{https://doi.org/10.48666/870938}{RC 029-32-08 sowie RC 029-30-21 und -22}}