endlich bin ich dazu gekommen, Ihr Ms.B1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 eingehend durchzulesen. Ich stimme Ihren Gedanken im ganzen durchaus zu und halte es für sehr verdienstlich, daß Sie diese Arbeit gemacht haben; es geht wirklich eine große Ordnung und Klärung von diesem Buch aus. Auch darin stimme ich mit Ihnen überein, daß die Durchführung der Konstitution nicht so wesentlich ist, wie das allgemeine, was sich dabei für Sie ergeben hat und was Sie in besonderen Teilen voran und hintendran stellen. Sie führen da die RussellschenPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell Gedanken ein gut Stück weiter und machen sie für die erkenntnistheoretischen Probleme fruchtbar. Also es ist wirklich ein Stück exakte Philosophie, was Sie hier geleistet haben.
Aber da Sie sicherlich meine Einwände mehr interessieren als meine Zustimmung, so fange ich gleich mit diesen an. Es sind drei tiefere Einwände, die ich zu machen habe.
1) Sie unterscheiden die Beziehung Teil-Ganzeseigenartige „Unterstreichung“ vom Autor; kommt einzig in diesem Absatz 3 Mal vor von der Beziehung Klasse-Element. Außerdem haben Sie noch eine Beziehung Element-Komplex; das ist wohl, wenn ich recht verstanden habe, die logische Summe der beiden ersteren Beziehungen (also … oder …** hsl. oder sie ist durch Aussagen – Zuordnungen auf die beiden anderen zurückführbar.). Diese Beziehung dürfen wir deshalb für das folgenden beiseite lassen, da sie durch die beiden erstgenannten ersetzbar ist.
Es scheint mir nun, daß man noch eine dritte Beziehung ansetzen muß, die ich Gebilde-Element nennen möchte. Aus folgendem Grunde. Für di T[eil]-G[anzes] Beziehung ist wesentlich, daß Ganzes und Teil sphärenverwandt sind. Das ist auch richtig. Aber es gibt Verhältnisse, 🕮auf dieser Seite zahlreich ksl. Randbemerkungen Carnaps wo das nicht vorliegt, und doch nicht die K[lasse]-E[lement] Beziehung vorliegt. Sie würden sagen müssen, daß das Molekül Eisen ein Teil des Stücks Eisen ist. Aber nehmen Sie die Aussage: das Eisen hat die Temperatur von 18\(^\circ{}\); diese ist für das Molekül nicht falsch, sondern sinnlos. Oder: das Eisen hat die elektrische Leitfähigkeit s; das ist sinnlos für das Elektron, das aber nach Ihrer Auffassung auch ein Teil des Eisens sein müßte. Das liegt daran, daß die Eigenschaft der Leitfähigkeit ja gerade definiert ist als Fähigkeit zum Durchlassen von Elektronen, und das ist eben für das einzelne Elektron nicht sinnvoll. Ein anderes Beispiel ist das Verhältnis Bataillon-Soldat. Ein Bataillon hat 4 Kompanien; aber das wäre für den Soldaten eine sinnlose Aussage. Mir scheint, daß das alles Beispiele für die von mir genannte Beziehung Gebilde-Element sind. Diese Beziehung scheint mir eine Parallele zur Beziehung Klasse-Element zu sein. – Auch die Beziehung des Sandhaufens zu den Sandkörnern scheint mir die G[ebilde]-E[lement] Beziehung zu sein, ebenso die Beziehung der Mauer zu den Ziegelsteinen. Ein Teil des Sandhaufens muß auch ein Haufen sein, also aus vielen Körnern bestehen, und ein Teil der Mauer besteht auch aus Ziegelsteinen.
2) Damit hängt nun ein Einwand zusammen, der sich auf Ihren Begriff sphärenverwandt bezieht. Ich kann mir denken, daß zwei verschiedene Gegenstände in bezug auf eine Aussage sphärenverwandt sind, in bezug auf eine andere aber nicht. So sind Eisen und Elektron in bezug auf die Aussage „x ist räumlich ausgedehnt“ sphärenverwandt, nicht aber in bezug auf die oben genannte Aussage der Leitfähigkeit. Der Beweis, den Sie für die Behauptung geben, daß Sphärenverschiedenheit für eine Aussage dasselbe für alle Aussagen nach sich zieht, scheint mir ziemlich gekünstelt; sie definieren dann einfach, daß die andern Begriffe in dem Satz eine andere Bedeutung 🕮 haben; und das glaube ich nicht.
Mir scheint, man muß trennen in sphärenverwandt und sphärengleich; das letztere gilt dann, wenn alle Aussagen für beide Gegenstände nur zugleich sinnvoll sind. Letzteres gilt für die Beziehung Ganzes-Teil, ersteres für die Beziehung Gebilde-Element.
3) Endlich scheint es mir zweifelhaft, ob man so wie sie es tun, von der Beziehung der Gegenstände auf etwas Wirkliches abstrahieren darf. Sie sagen einmal, daß für Sie Begriff und Gegenstand dasselbe ist; das ist auch richtig für die Art, wie sie diese Worte gebrauchen. Aber ich glaube, man sollte eben den Terminus Gegenstand dann nicht nehmen und immer nur von Begriffen sprechen, und unter Gegenstand nur wirkliche Gegenstände verstehen. Ich glaube, daß man sinnvoll nicht von unwirklichen Gegenständen sprechen kann; sondern es handelt sich dann um Begriffe, denen nichts wirklichesRechtschr.? zugeordnet ist. Hier handelt es sich doch wohl um mehr als einen bloß terminologischen Unterschied. Denn ich glaube, daß man das Axiom des Realismusksl. Randnotiz zu Ax. d. realismus eben nicht weglassen kann, ohne dabei ins Sinnlose zu geraten. Gewiß können Sie das Realitätsaxiom ein metaphysisches nennen; aber ohne dieses Axiom wäre Ihr Konstitutionssystem nur ein Schachspiel, und die ganze Wissenschaft auch. Einen Sinn im Sinne von Naturerkenntnis bekommt die Wissenschaft erst mit dem Realitätsaxiom. – Ich glaube also, daß Ihre Neutralität ein schöner Traum ist; einen Sinn bekommt Ihre ganze Arbeit erst dadurch, daß sie auch von wirklichen Gegenständen handelt. – Auch Aussagen über „nichtwirkliche Gegenstände“ sind Aussagen über wirkliche Gegenstände, nur von negativem Charakter. Z. B. besagt „eine Katze mit Kiemen gibt es nicht“ soviel wie „der wirkliche Gegenstand Katze und der wirkliche Gegenstand Kiemen kommen in der Verbindung in einem Ding nicht vor“. 🕮
Damit hängt es zusammen, daß ich den Unterschied von Realbeziehung und logischer Beziehung in bezug auf die Wirklichkeit nicht anerkenne. Es gibt in bezug auf die Wirklichkeit nur Realbeziehungen, dazu gehört die Kausalität ebenso wie die Beziehung räumlich zwischen oder die Beziehung Bruder-Schwester. Von logischer Beziehung kann man nach meiner Meinung nur sprechen, wenn die Elemente der Beziehung logische Konstanten sind im Russellschen Sinne.
4) Nach diesen grundsätzlichen Einwänden nur noch zwei kleinere Einwände: S. 145 habe ich nicht verstanden, warum die Bedeutung des Satzes die Wahrheit ist. Soll man nicht lieber sagen, gerade wie bei Satzfunktionen: SokratesPSokrates, 469–399 v. d. Z., gr. Philosoph ist ein Mensch ist gleichbedeutend mit SokratesPSokrates, 469–399 v. d. Z., gr. Philosoph ist ein federloser Zweifüßler, aber nicht mit allen wahren Sätzen?
Ferner S. 488: Sie beachten hier gar nicht das BrouwerschePBrouwer, Luitzen E. J., 1881–1966, niederl. Mathematiker Problem des unentschieden. Mir scheint, daß darin doch ein tiefer Sinn liegt; ich habe mich jetzt etwas damit beschäftigt anläßlich von Gastvorträgen, die BrouwerPBrouwer, Luitzen E. J., 1881–1966, niederl. Mathematiker hier in Berlin hält. Nach BrouwerPBrouwer, Luitzen E. J., 1881–1966, niederl. Mathematiker ist es sogar unentschieden, ob unter den Dezimalen von \(\pi{}\) jemals eine Sequenz 1234567890 vorkommt, und er würde Ihnen nicht zugeben, daß man beweisen kann, daß diese Frage entscheidbar ist, d. h. durch eine endliche Zahl von Schritten entscheidbar ist. ksl. Einfügung Carnap
Dies sind also meine Einwände, und ich will nochmals sagen, daß sie nur deshalb den längeren Raum einnehmen, weil man über die Zustimmung viel weniger zu schreiben hat. Es würde mich sehr interessieren, was Sie darauf antworten.
Da ich Ihre Wiener Adresse … eben finde ich sie. Also schicke ich das Manuskript morgen gleich als Einschreiben an Sie zurück. Ich bin mit herzlichen Grüßen