Bemerkungen zu Carnap „Konstitutionstheorie“B1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928.
Da ich in den wichtigsten Voraussetzungen und Resultaten mit dem Verf. übereinstimme, sind nachstehende Bemerkungen vergleichsweise unwichtig.
Die Einleitung würde ich präziser fassen. Dort wären schon Ausführungen von Kapitel 44 ff. am Platze. Vielleicht würde sich auch eine Bezugnahme auf das, was H[ermann] WeylPWeyl, Hermann, 1885–1955, dt.-am. Mathematiker und Physiker „Symbolische Konstruktion“ nennt, und in deren Aufstellung er die Aufgabe der exakten Wissenschaften erblickt, schon hier empfehlen. Ferner wäre es nützlich, an das bekannte Hertz’schePHertz, Heinrich, 1857–1894, dt. Physiker Wort von den „Bildern“ zu erinnern. – Weniger Beispiele! Jeweilig ein faßliches genügt völlig. Vielleicht wäre es zweckmäßig, auch schon in der Einleitung ein möglichst der Physik zu entnehmendes Beispiel anzugeben, in welchem die Grundgedanken der Konstitutionstheorie in concreto verwirklicht werden. (Eventuell Ersatz des primitiven Kraftbegriffes durch ein bestimmtes Feld, bei genauer Durchführung einer kleinen Rechnung.) –
Die verschiedenen Ausführungen über die „Definition“ sind in Einklang zu bringen! Das gelegentliche Schwanken zwischen Definition = Vereinbarung über die Bedeutung eines Zeichens und Definition = gleich Bildung eines neuen Begriffes ist vermeidbar (S. 30, aber S. 40, S. 99).
Seite 30 m3Lkönnte auch 31 heißen muß es unten jeweils heißen: „Vatersein“, „Lehrersein“, nicht „Vater“ bezw. „Lehrer“. – (Sehr häufig findet sich der für mein Sprachgefühl wenig schöne Ausdruck „letzten Endes“ statt „schließlich“. Es gibt da irgendwo bei Schopenhauer ein paar sehr witzige Bemerkungen über „letzten Endes“.)** Hsl. Ich ????🕮
Seite 60 wird behauptet: Kein psychischer Gegenstand kann wahrgenommen werden. Diese Behauptung ist überaus strittig. Wenn es keine inneren Wahrnehmungen gibt, woher wissen wir dann, daß es z. B. Gefühle, Willensentschlüsse u.s.w., das heißt psychische Gegenstände in Wirklichkeit gibt? Wenn ich nicht irre, behauptet lediglich SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick, daß es keine inneren Wahrnehmungen gibt, aber ich glaube, kein Psychologe von Ruf pflichtet ihm hierin bei, und diese sind doch hier allein zuständig.
Zu S. 62 ff. Die Unterscheidung von „Akt“ (z. B. augenblickliche Vorstellung des Kölner Domes), „Gegenstand“ (Kölner Dom) und „Inhalt“ (Kölner Dom als ein mir vorgestellter) kann man durchaus nicht befriedigen hinsichtlich des Unterschiedes von „Gegenstand“ und „Inhalt“.
S. 104. Wollen sie wirklich einen „Satz“ nur also eine Symbolzusammenstellung besonderer Art auffassen. Was Sie einen „Satz“ nennen, möchte ich einen „grammatischen Satz“ nennen. Ihnen zufolge würden z. B. die Französischen Mathematiker andere „Sätze“ beweisen wie die Deutschen, mir zufolge dieselben „Sätze“, wenngleich in anderer Formulierung.
S. 109. Ihr Beispiel für eine Eigenschaft halte ich für nicht sehr instruktiv. Besser erscheint mir z. B. das Folgende: „\(X\) ist eine Zahl, die nur die eins und sich selbst als Teiler besitzt.“ Eigenschaft: „Primzahl sein“
Nochmals zu S. 104 ff. Das, was Sie ein unvollständiges Zeichen nennen, deckt sich nicht mit dem was man gewöhnlich unter einem unvollständigen Zeichen versteht. Als ein unvollständiges Zeichen wird 🕮 gemeinhin ein solches bezeichnet, das in dem betreffenden Zusammenhange für sich allein nichts bezeichnet. In diesem Sinne ist m. E. eine logische Funktion fast immer ein vollständiges Zeichen. Der Ausdruck: „das nur die eins und sich selbst als Teiler hat“ ist beispielsweise ein unvollständiges Zeichen, der Ausdruck: „… das nur die eins und sich selbst als Teiler hat“, aufgefaßt als Formulierung einer Funktion, ist aber ein vollständiges Zeichen. Er bezeichnet eben den Begriff den wir „Primzahl“ nennen. Im Frege’schen Sinne ist eine Funktion natürlich ein ungesättigtes Zeichen; ich würde es aber vermeiden, hierfür den Terminus technicus „unvollständig“ zu benutzen, da derselbe bereits in der Logik anderweitig vergeben ist. Es kann natürlich sehr wohl der Fall eintreten, daß ein im Frege’schenPFrege, Gottlob, 1848–1925, dt. Mathematiker und Philosoph Sinne ungesättigtes Zeichen zugleich auch im üblichen Sinne ein unvollständiges ist. – Ich glaube jedenfalls nicht, daß die oben angegebene Funktion in dem Sinne ein unvollständiges Zeichen ist, wie ihn etwa der Buchstabe „a“ darstellt innerhalb des bekannten Doppellautes „au“.
Je weiter ich mich in ihr Buch vertiefe, um so schwieriger wird es für mich eine für sie brauchbare Kritik zu liefern, da es mir nahezu unmöglich ist, gleich zu übersehen, ob irgendeine bestimmte Ausstellung, die an sich gar nicht so wichtig ist, nicht doch an den Grundlagen Ihrer Arbeit rührt. Ich möchte deshalb eine größere Reihe von Bedenken zurückstellen und nur noch auf das Kapitel V des zweiten Bandes wie auf das Literaturverzeichnis ganz kurz eingehen.
Den ganzen Abschnitt V würde ich weglassen. Er wirkt neben den sonstigen ausgereiften Darlegungen recht fragmentarisch und im Einzelnen auch nicht sehr überzeugend. Ich teile zwar im wesentli🕮chen Ihre diesbezüglichen Ansichten, ich glaube aber nicht, daß Sie in dem Abschnitt V diese Ansichten so begründen, daß auch andere für dieselben gewonnen werden können. Mir scheint, daß der Abschnitt V das logische Gerippe für ein selbständiges Buch liefert.
Das Literaturverzeichnis halte ich für viel zu umfangreich. Knapp ein Drittel der dort angegebenen Literatur ist wirklich wesentlich. Ich vermisse jedoch andererseits G[iuseppe] PeanoPPeano, Giuseppe, 1858–1932, ital. Mathematiker, Les Definitions mathem.B, im dritten Band der Bibliothéque du congrés international de PhilosophieI, 1901. Ferner, HilbertPHilbert, David, 1862–1943, dt. Mathematiker, Axiomatisches DenkenB, Math. AnnalenI, 1918; J[oseph] D[iez] GergonnePGergonne, Joseph, 1771-1859, frz. Mathematiker, Essai sur la théorie des définitionsB, Annal. de Math. pures et appliquéesI, 1818/19, S. l ff. H[ermann] WeylPWeyl, Hermann, 1885–1955, dt.-am. Mathematiker und Physiker, Die heutige Erkenntnislage in der MathematikB, SymposionISymposion, Philosophische Zeitschrift, Band 1, ohne Jahr, wie die kürzlich erschienenen Abhandl[ungen]B desselben AutorsPWeyl, Hermann, 1885–1955, dt.-am. Mathematiker und Physiker im Handbuch der PhilosophieI, 1926.
Mit bestem Gruß