Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 22. September 1926 September 1926

Lieber Herr Carnap‚

seit einer Woche bin ich wieder in Wien und suche mich wieder an die Großstadtluft zu gewöhnen. Es fällt mir sehr schwer, denn diesmal war der Aufenthalt am See und im Hochgebirge so restlos erholsam und harmonisch, daß mir jede andere Lebensform ganz matt vorkommt.

Leider habe ich auch Ihnen etwas nicht sehr erfreuliches zu berichten. In Ihrer Habilitationsangelegenheit ist vom MinisteriumI eine Rückfrage gekommen, ob die FakultätIPhilosophische Fakultät der Universität Wien auch wirklich mit der Formulierung des Lehrgebietes einverstanden sei. Es handelt sich da natürlich nur um die Ungeschicklichkeit eines Ministerialrats, die aber immerhin eine unangenehme Verzögerung zur Folge haben kann, denn es wird ausdrücklich die Fakultät um Auskunft ersucht, und diese kann ja erst erteilt werden, nachdem eine Sitzung stattgefunden hat. Ich will nun den verantwortlichen Ministerialrat persönlich aufsuchen (er wird in einigen Tagen zurückerwartet), um nach Möglichkeit zu erwirken, daß Ihre Bestätigung doch noch vor Beginn des Semesters erfolgt, wodurch dann jene Anfrage gegenstandslos würde. Sollte es mir nicht gelingen, so werde ich durch nachdrückliches Drängen im MinisteriumI dafür sorgen, daß Ihre Bestätigung auf jeden Fall unmittelbar nach der ersten Fakultätssitzung (um den 1. Nov. herum) herauskommt. Sie werden also unter allen Umständen im nächsten Semester lesen können, 🕮 aber dieser ewige Kampf mit Formalitäten ist doch ärgerlich. Natürlich halte ich Sie auf dem Laufenden. Ich selbst beginne mein Semester am 28. Oktober.

MajaPRosenberg, Maja, 1904–1969, russ.-israel. Pädagogin, Schülerin von Moritz Schlick, verh. mit Moro Bernstein schreibt aus PalestinaRechtschr.? sehr wenig (das ist ein gutes Zeichen) aber recht niedergeschlagen (das ist ein schlechtes Zeichen); sie wird nicht vor Beginn des Semesters zurückkehren. Ich hoffe von Herzen, daß Sie mit dem Verlauf Ihrer Ferien in jeder Hinsicht zufrieden sind und hoffe Sie gesund und vergnügt wiederzusehen.

Ich grüße Sie herzlichst und bitte Sie, an Frau GrammPGramm, Dorothea, 1896–1975, geb. Stadler, genannt Maue, verh. mit Josef Gramm die allerbesten Grüße auszurichten, wenn Sie sie sehen.

Ihr
Moritz Schlick

Brief, msl., 2 Seiten, RC 029-32-16; Briefkopf: msl. Wien IV, 22. Sept. 1926  /  Prinz-Eugen-Str. 68.


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