Hiermit schicke ich Ihnen das MS über die anal[ytischen] u. synth[etischen] UrteileB zurück und danke Ihnen für die inzwischen erhaltene DruckschriftB. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Ihnen nicht früher geantwortet habe. Ich will nun hiermit einige Bemerkungen dazu geben.
Ihre Kritik der früheren Auffassungen (KantPKant, Immanuel, 1724–1804, dt. Philosoph, BolzanoPBolzano, Bernard, 1781-1848, öst. Philosoph, NelsonPNelson, Leonard, 1882–1927, dt. Philosoph) leuchtet mir im Ganzen ein. Auf kleinere Abweichungen will ich nicht eingehen. Auch stimme ich mit Ihnen darin überein, daß man am besten von der FregeschenPFrege, Gottlob, 1848–1925, dt. Mathematiker und Philosoph Bestimmung ausgeht, daß aber der Mangel dieser Bestimmung in dem Fehlen eines anerkannten Axiomensystems der Logik liegt. Ihre vorgeschlagene neue Begriffsbestimmung der anal[ytischen] U[rteile] scheint mir aber zu weit zu sein, und nicht eine bloße Präzisierung, sondern eine völlige Änderung des alten Begriffes darzustellen. Z. B. dürfte es doch allzu stark von der alten Bedeutung des Wortes „anal[ytisch]“ abweichen, wenn man eine Behauptung der Physik eine anal[ytische] Beh[auptung] in bezug auf das AS [Axiomensystem] der Physik nennen würde. Ich möchte Ihnen vorschlagen, Ihre Begriffsbestimmung dahin zu ändern, daß sie nur auf irgendein AS [Axiomensystem] der Logik bezogen wird: Ein Urteil heißt ein anal[ytisches] in bezug auf ein Axiomensystem der Logik, wenn … .
Zur Begriffsbestimmung der Logik. Abweichend von Ihrem Standpunkt in dem genannten AufsatzB und in dem über das Verh[ältnis] der Logik zur Math. möchte ich folgendes vorschlagen: eine Aussage oder eine ganze Theorie heißt eine logische (oder ein System der Logik), wenn sie sich darstellen läßt ausschließlich mit Hilfe der logischen Grundzeichen und der auf Grund dieser Zeichen definierten Zeichen. Denn 🕮 sie haben zwar recht, daß kein allg[emein] anerkanntes Ax[iomen]-Sy[stems] der Logik besteht; wohl aber kann man doch vielleicht sagen, daß gegenwärtig schon einigermaßen Übereinstimmung darüber besteht, ob ein Zeichen als logisches oder außerlogisches Zeichen (bezw. Grundzeichen) anzusprechen ist. Gehen wir etwa von der RussellschenPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell Logik als der am besten ausgebauten zur Zeit aus: die bisherige Kritik bezieht sich meist auf die Zulässigkeit irgendeines Axioms (bezw. seine Natur als eines logischen Axioms), z. B. des Reduzib. – und des Unendlichkeitsaxioms; nicht aber bestreitet irgendjemand einem der RussellschenPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell Grundbegriffe den Charakter eines logischen Begriffes.
Haben Sie besten Dank für die Zusendung Ihrer Schrift über die FriesschePFries, Jakob Friedrich 1773–1843 Lehre von der BegründungB. Ich habe sie noch nicht richtig studiert, da ein anderer Aufsatz von Ihnen meine Aufmerksamkeit mehr in Anspruch nahm:
Der Aufsatz „Üb[er] das Verh[ältnis] der Logik zur Math.“B hat mich außerordentlich interessiert. Mit Ihrer Verwerfung der These II bin ich einverstanden. Ich möchte jedoch an der RussellschenPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell Auffassung festhalten. Im Grunde handelt es sich ja um eine terminolog[ische] Frage. Nach meiner vorhin vorgeschlagenen Verwendung des Ausdrucks „logisch“ bezw. „Logik“ gehört offenbar die Math. zur Logik, ist eine logische Theorie; und das Unendlichk[eits]-Axiom ist danach als logische Aussage zu bezeichnen (warum wollen Sie das nicht?). Sie könnten vielleicht anführen, daß das genannte Axiom nicht für die Logik (in irgendeinem engeren Sinne) erforderlich sei; ich gebe zu, daß das ein gewichtiger Grund ist, und daß es vielleicht einige Berechtigung hat, die Auswahl der Axiome, die man als „log[isch]“ bezeichnen will, enger zu fassen, als oben vorgeschlagen.
Die isomorphe Abbildung der log[ischen] Axiome auf gewiße arithmetische ist sehr interessant. Bevor ich jedoch auf die Grundauffassung Ihres 🕮 Aufsatzes eingehen kann, muß ich um Aufklärung in einem Punkte bitten, den ich nicht verstanden habe. Der Satz S. 206 Mitte „Die Verfechter…“ scheint mir nicht zu stimmen. Wenn aus den angegebenen arithm[etischen] Axiomen gewiße Sätze nicht abgeleitet werden können, folgt daraus etwas über die Nichtableitbarkeit aus den log[ischen] Axiomen, die doch mit jenen arithm[etischen] gar nicht inhaltlich zusammenhängen, sondern nur in jener isomorphen Zuordnung zu ihnen stehen? Ihre Behauptung, daß aus den angegebenen log[ischen] Axiomen der von Ihnen angegebene math. Satz nicht ableitbar sei, stimmt zwar (für ihn müßte noch das Unendl[ichkeits]-Axiom hinzugefügt werden); aber ich durchschaue nicht, wie die angegebene arithm[etischen] Axiome dazu dienen können, die Behauptung zu begründen, oder welchen Zweck sie in dem Zusammenhange haben.
Ihre Begriffsbestimmung der Logik S. 207 scheint mir zu weit. E Schlüsse. die nichtlogische Zeichen enthalten (deren Prämissen z. B. Axiome der Physik oder des Rechts sind), sollte man doch wohl nicht in die Logik eingliedern; sondern nur diejenigen allg[emeinen], d. h. Variable enthaltenden Schlüsse, aus denen sich die physikal[ischen] usw. durch Einsetzung von phys[ikalischen] Zeichen anstelle der Variabeln ergeben.
Ich möchte, daß Sie bei all meinen kritischen Bemerkungen nicht übersehen, daß ich Ihnen in vielem zustimme, und durch Ihre Darlegungen vieles gelernt habe. Ich wünsche mir auch von Ihnen eine scharfe Kritik meiner Konstitutionstheorie, die ich hoffe, Ihnen bald schicken zu können. Da sie reichlich lang ist, werde ich, um Ihre Zeit nach Möglichkeit zu schonen, Ihnen die Teile angeben, die vielleicht einiges Interesse bei Ihnen finden werden und über die mir besonders Ihr Urteil wertvoll sein würde.
Meine Hab.-Angelegenheit hier ist fast fertig; ich glaube, daß sie glücken wird und ich im WS mit Lesen beginnen kann.
Mit bestem Gruß