unsere letzten Briefe haben sich gekreuzt. Ich hoffe, daß Sie inzwischen ganz wieder hergestellt sind und den kommenden Frühling in voller Gesundheit genießen können.
Nachdem Ihre Akten nunmehr endlich durch die KommissionI gelaufen sind, findet übermorgen, am 9., die erste Sitzung in Ihrer Angelegenheit statt. In dieser Sitzung kann nach der Geschäftsordnung nur beschlossen werden, daß gegen Ihre Persönlichkeit und das gewählte Lehrfach nichts einzuwenden ist, und es besteht kein Zweifel, daß die Sache ganz glatt und schnell gehen wird. Der Beschluß wird in der FakultätssitzungI am 13. genehmigt werden, und dann muß zu Anfang des Sommersemesters eine neue KommissionssitzungI stattfinden, in welcher danndiese und folgende Streichung unklar, ob vom Autor über die wissenschaftliche Qualifikation meritorisch beraten wird. In der darauf folgenden Fakultätssitzung muß dann der Kommissionsbeschluß gebilligt werden, und dann kann alsbald das Kolloquium stattfinden.
In der letzten Zeit bin ich ganz entsetzlich durch zeitraubende und leider auch durch ärgerliche und aufregende Angelegenheiten in Anspruch genommen worden, außerdem hatte ich mehrere Kopfschmerzen- und einen Grippe-Anfall; sonst hätte ich Ihnen schon viel früher geschrieben, daß die Lektüre Ihres BuchesB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 mir wirklich ganz außerordentliche Freuden bereitet hat. Ich bin überzeugt, daß Ihrem WerkB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 in mancher Beziehung eine schlechthin grundlegende Bedeutung zukommt, und gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zu dieser Leistung. Dieses Urteil würde ich auch dann fällen, wenn ich sachlich nicht so weitgehend mit Ihnen übereinstimmte. In Wirklichkeit ist diese Übereinstimmung aber sehr groß, noch viel größer, als man aus der 2. Aufl. meiner ErkenntnislehreBSchlick, Moritz!Allgemeine Erkenntnislehre, Springer, Berlin 1918 würde schließen können, denn das Buch hätte nur durch eine radikale Umarbeitung, die aus mehreren Gründen nicht tunlich schien, auf den jetzigen Stand meiner Ansichten gebracht werden können. Daß ich zu einigen Punkten noch manches zu fragen, zu andern auch ernste Bedenken vorzu🕮bringen hätte, versteht sich wohl beinah von selbst, aber schriftlich will ich damit garnicht erst anfangen, denn das wäre eine viel zu mühselige Art, die Diskussion zu führen. Um so mehr freue ich mich darauf, mit Ihnen über alles ausführlich sprechen zu können. Überhaupt sehe ich dem kommenden Semester mit großen Hoffnungen entgegen. Das Semester beginnt um den 1. Mai herum, und ich nehme an, daß Sie dann auch bald da sein werden. Einige Gedankenübereinstimmungen im einzelnen waren mir besonders erfreulich, so das über die Metaphysik Gesagte. Ich habe im Juli in der Rostocker KantgesellschaftIKantgesellschaft in Rostock einen Vortrag über Begriff und Möglichkeit der Metaphysik gehalten und ihn dann hier in der Philosophischen GesellschaftIPhilosophische Gesellschaft, Universität Wien wiederholt. Ich werde ihn publizieren, sobald ich Zeit habe, eine Nachschrift für den Druck in Ordnung zu bringen. Sie werden dann sehen, wie vollständig unser Einverständnis ist. Übrigens haben die Ordinarien hier doch großes Interesse für Ihre Arbeit gezeigt: ReiningerPReininger, Robert, 1869–1955, öst. Philosoph, BühlerPBühler, Karl, 1879–1963, dt.-am. Psychologe, verh. mit Charlotte Bühler und GomperzPGomperz, Heinrich, 1873–1942, öst.-am. Philosoph, verh. mit Adele Gomperz haben auch den 2. Band eifrig studiert, womit nicht gesagt sein soll, daß alle drei volles Verständnis für die Tragweite solcher Untersuchungen besitzen.
In meinen philosophischen AbendenISchlick-Zirkel, Wiener Kreis sind wir mit der Lektüre des WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. PhilosophBWittgenstein, Ludwig!1921@Logisch-philosophische Abhandlung, Leipzig, 1921 nicht fertig geworden, sie wird also im nächsten Semester fortgesetzt werden, hoffentlich schon unter Ihrer Teilnahme. Die letzten Arbeiten von ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach (im SymposionIB und den bayerischen AkademieabhandlungenIB) haben Sie vermutlich gelesen. Ich kann mich mit Ihnen nicht einverstanden erklären.
Wenn Sie mich dazu ermächtigen, so werde ich Ihr BuchB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 nach der KommissionssitzungI, nach der sicher ein Exemplar verfügbar wird, an SpringerISpringer Verlag übergeben, der dann mit Ihnen über den Verlag korrespondieren kann.
Ich schließe meine Vorlesungen am 13. Dann kommen noch viele Prüfungen und andere Geschäfte, aber bald nach dem 20. hoffe ich meine Frühlingsreise (nach irgendeiner einsamen Insel in der Adria) antreten zu können.
Mit den allerbesten Grüßen und Wünschen