Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 15. Jänner 1926 Jänner 1926

Lieber, verehrter Herr Professor!

Ihre guten Wünsche haben uns wirklich einige Sonne hingezaubert; vor allem aber hatten wir sehr guten Schnee. Am letzten Tage unternahm ich noch allein eine Fahrt über die Parsenn, – ein ideales Skigebiet, – verknaxte mir oben den Fuß und mußte eine nicht sehr angenehme Abfahrt machen. Nun bin ich für die nächsten Tage (hoffentlich nicht Wochen) ans Haus gefesselt.

Ich bekam einen erfreulichen Brief von Herrn Prof. FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank, daß man mich für eine neu zu schaffende Lehrkanzel für Naturphilosophie in betracht ziehen werde. FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank hat ja anscheinend mit Ihnen darüber gesprochen. Da er angibt, daß die Sache so weit in der Zukunft liegt, daß ich auch im günstigsten Falle die Wiener Privatdozentur einige Zeit würde ausüben können, so habe ich ihm meine grundsätzliche Bereitwilligkeit ausgesprochen. Wenn die Stelle zunächst als Privatdozentur geschaffen wird, so würde ich um ihretwillen die Wiener Tätigkeit nur dann verlassen, falls ganz besondere Gründe dafür sprechen würden, z. B. Aussicht auf baldige Weiterentwicklung der Stelle. Einstweilen ist ja noch nicht ernstlich an die Prager Sache zu denken. Jedenfalls bin ich zunächst eindeutig auf die erstrebte Wiener Tätigkeit eingestellt und bereite mich innerlich auf diese vor.

Ich vermute Sie im Besitze der KantstudienIKant-Studien, Zeitschrift, in deren letztem Heft mein Aufsatz „Über die Abhängigkeit…“B1925@„Über die Abhängigkeit der Eigenschaften des Raumes von denen der Zeit“, Kant-Studien 30, 1925, 331–345 erschienen ist. 🕮 Falls ich hierin irre oder Ihnen außerdem ein Sonderabdruck erwünscht ist, schicke ich Ihnen gern einen solchen.

Ihrem Wunsche entsprechend schiebe ich meine Reise nach Wien vorläufig noch auf. Inzwischen wird man dann auch deutlich erkennen können, ob sich das KolloquiumI bestimmt auf das S.-S. verschiebt, was auch ich für das durchaus Wahrscheinlichere halten würde. Es wird in diesem Falle zu erwägen sein, ob es dann nicht überhaupt als zweckmäßiger erscheint, die beabsichtigte Reise nach Wien überhaupt auf das S.-S. zu verschieben. Daß ich dann nicht Gelegenheit haben würde, als Gast Ihren Besprechungen über die Wittgensteinsche AbhandlungISchlick-Zirkel, Wiener Kreis, die ich sehr hoch schätze, einmal beizuwohnen, würde mir freilich leid tun. Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen den fruchtbarsten Erfolg dieser Besprechungen und hoffe, mindestens noch die Nachwirkungen einmal spüren zu können.

Mit ergebenstem Gruße

Ihr
Rudolf Carnap

Brief, msl., 2 Seiten, MS 95/Carn-8 (Dsl. RC 029-32-28); Briefkopf: gestempelt Dr. Rudolf Carnap  /  Buchenbach (Baden), msl. den 15. Jan.1926.


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