Broder Christiansen an Rudolf Carnap, 8. Jänner 1926 Jänner 1926

Lieber Herr Carnap!

Ihr BuchaMs „ksl.“ macht mir starken Eindruck: wuchtig, spannend, zum Widerspruch reizend, vielleicht hat es nicht nur für mich, sondern auch für andere seine Dissonanzen; und fast möchte ich es ihm so wünschen: ich glaube, nur das Dissonante ist fruchtbar.

Ich gebe Ihnen ein paar Fragezeichen und Anmerkungen:

1)1Alle Nummerierungen in diesem Brief wurden handschriftlich ergänzt, teilweise mit Überschriften versehen. Unklar, ob vom Autor. In Ihrem System wird der wichtigste eigenpsychische Gegenstand, das individuelle Elementarerlebnis, nicht konstituiert, sondern als gegeben vorausgesetzt. Und er ist bei Ihnen ohne ZirkelaHsl. nicht konstituierbar. (Also metaphysisch?)

+++

2) Ungegebenheit ist nicht das Erlebnis, sondern das ErlebtebHsl.

Das ipse hat im Elementarerlebnis Bewußtsein nicht des Erlebnisses, bKsl. Notiz sondern des Erlebten. Anders gesagt: das Elementarerlebnis ist Bewußtsein des Erlebten, nicht seiner selbst. Es müßte denn sein, daß das Elementarerlebnis eine Stelle wäre nicht in einem Bewußtseinsstrome, sondern in einem Selbstbewußtseinsstrom. Oder daß sich das Wissen des zuschauenden Konstitutionstheoretikers einschleicht. Das Erlebnis \(x\) ist einmalig, unwiederholbar, ein individueller psychischer Gegenstand; das Erlebte \(M\) kann in individuell verschiedenen Erlebnissen wiederholt sein. Würde bei einem Erlebnisstrom \(MOMOMO\) das ipse die vollgleichen \(M\) voneinander unterscheiden, ohne ein principium individuationis zu haben?

Aus dem Erlebten müßte das Erlebnis konstituiert werden durch Einfügung in die Zeitreihe. Geht man aber davon aus, daß das Erlebnis Bewußtsein sei des Erlebnisses, daß also dem ipse ohne weiteres ein individuellercHsl. Stück Wirklichkeit gegenständlich gegeben sei, cKsl. Notiz so setzt man auch die Zeit als ihm gegeben voraus: allzuviel für den Anfang. Daß Sie die Zeit als principium individuationis mitgegeben voraussetzen, erweist sich darin, daß Sie die Gleichzeitigkeit durch das Elementarerlebnis definieren können.

+++

3) Geht man vom Erlebten aus und konstituiert aus diesem das Erlebnis den eigenpsychischen Gegenstand, so ist das Erlebte nicht auch schon 🕮 eigenpsychisch, sondern vorpsychisch so gut wie vorphysisch, beiden Wirklichkeitsarten gegenüber neutral.

+++

4) Bezeichnet \(y\) ein gegenwärtiges Elementarerlebnis und \(x\) ein eben vergangenes, dann kann eine Beziehung zwischen \(x\) und \(y\) nicht erfahren werden. \(x\) Er \(y\) kann nicht Grunderfahrung sein. Die Grunderfahrung dKsl. muß innerhalb des Gegenwärtigen liegen, sie kann \(y\) nicht überschreiten.

+++

5) Die Forderung einer Grundrelation und die Forderung unteilbarer Elementarerlebnisse sind nicht vereinbar.

+++

6) Sie beschreiben \(Er\) in realistischer Sprache: in einem Elementarerlebnis \(y\) ist die Erinnerung an \(x\) enthalten, \(y\) wird mit dieser Erinnerung verglichen, und es findet sich eine Ähnlichkeit.

Das ist zwar realistische Sprache, aber es liegt doch darin, daß für die Grunderfahrung das Erlebnis \(y\) irgendwie aufgeteilt sein muß: in ein Stück \(M\), das Erinnerungsqualität hat, und in ein Stück \(N (= y-M)\)eKsl.

Die Beziehung nun zwischen \(M\) und \(N\) ist nichts anderes als die Teilähnlichkeitsbeziehung. Der Erinnerungscharakter trifft nicht die Beziehung, sondern eine Qualität von \(M\): ein an \(M\) faßbares Lokalzeichen.

So enthält also die Grunderfahrung Er außer der Ähnlichkeitsbeziehung die Setzung einer Qualität. Und zwar wird diese Qualität, das Lokalzeichen von \(M\) schlechthin erfaßt als Qualität, nicht als Ergebnis einer Quasianalyse.fKsl.

+++

7) Geht man aber von solcher Grunderfahrung zu einer Aussage über \(x\) und \(y\), etwa \(x Ae y\), (wobei \(y\) ein gegenwärtiges Elementarerlebnis bedeutet‚)gKsl. so ist hier die Kluft nicht geringer als die beim Übergang vom Eigenpsychischen zum Physischen.

Die Weite dieses Schrittes hKsl. Notiz wird in Ihrer Darstellung nicht fühlbar.

+++

8) In der realen Erkenntnis werden die Qualitäten z. B. die Farben in ihrer Besonderheit intuitiv erlebt, sie werden nicht durch das Produkt einer 🕮 Quasianalyse vertreten. Ihre Sonderung geschieht durch Aufmerksamkeitsbetonung. Sie werden durch die Betonung zwar nicht aus dem Continuum der Elementarerlebnisse herausgelöst, aber hervorgehoben.iKsl.

+++

9) Wenn die Qualitäten bestimmt werden durch Quasianalyse als eine Klasse von Erlebnissen, und dabei die Klasse das Gemeinsame der Elementarerlebnisse bedeuten soll, nicht aber die Summe der Einzelerlebnisse, wie ist dieses Gemeinsame identisch zu fassen? Empfängt es nicht seine Identität einzig aus der mit sich identischen Gesamtheit der Elementarerlebnisse? jKsl.

+++

10) Daß verschiedene Qualitäten nicht einer und derselben Raumstelle in einem und demselben Elementarerlebnis zugeordnet sein könnten, trifft nicht zu. Die Einfarbigkeit derdHsl. raumzeitlichen Einstelligkeit der Farben Stelle ist kein Gesetz des Psychischen, sondern erst der physischen Welt. Es ist ein Umformungsgesetz, nicht ein ursprüngliches Formgesetz des räumlichen Erlebens. Denn das Elementarerlebnis hat ja, wie Sie selbst betonen, eine gewisse Dauer‚kKsl. Notiz die mag noch so gering sein: da geschieht es bei (in der realistischen Sprache) Bewegung der Gegenstände vor dem Auge oder bei Augenbewegung, daß sich eine Mehrheit von Farbenqualitäten innerhalb eines Elementarerlebnisses demselben Lokalzeichen anknüpft. Darum ja können wir eine Bewegung „sehen“.

Dieses gilt schon, wenn die entsprechenden Lokalzeichen der beiden Augen voneinander verschieden sein sollten. Wären aber, was möglich, gewisse Lokalzeichen des einen Auges von gewissen des andern dem ipse nicht unterscheidbar und darum zusammenfallend, so wäre die Einstelligkeit verschiedener Qualitäten noch weiter möglich (stereoskopisches Sehen; Glanz).

+++

11) Ebensogut wie die räumlichen Lokalzeichen könnten die Farben als Form genommen werden. Im vierdimensionalen Zeitfarbensystem wären dann die Raumzeichen einzufügen. Dabei müßte freilich oft ein und derselbe Zeitfarbenpunkt eine Mehrheit von Lokalzeichen tragen: das widerspricht nicht dem Formcharakter. In der Ordnungsform des Psychischen trägt auch der 🕮 einzelne Formpunkt eine MehrheitlKsl. (Gleichzeitigkeit).

+++

12) Müssen den verschiedene Gegenstandsphären ganz inkomparabel sein?mKsl. Aber die zeitlichen Bestimmungen werden doch ebensogut von physischen wie von psychischen Gegenständen ausgesagt.nKsl.

+++

13) Die konstitutionsgemäße Umwandlung irgendwelcher Aussage in Aussagen über eigenpsychischer Elementarerlebnisse kann nicht Endzweck der WissenschaftoKsl. sein. Es gibt in der Wissenschaft (worauf Sie selbst hinweisen) unter den wahren Aussagen wertvolle und wertlose. Jene Umwandlung würde zu Aussagen führe, die für sich genommen, völlig wertlos wären. Die Umwandlung könnte nur ein Mittel sein: vielleicht um die intuitive Gewißheit einer wertvollen Aussage nachprüfbar zu machen, sie intersubjektiv zu rechtfertigen.

Die Umwandlung wäre also nicht in sich wertvoll, aber sie könnte ein wertvolles Mittel sein: vorausgesetzt, daß sie leistet, was sie soll.

+++

14) Das Telos der Konstitution: sie ist Mittel für Intersubjektivierung. Zweierlei ist zu intersubjektivieren: der Aussagegegenstand und die Aussagegewißheit. Formatierung der folgenden Unterpunkte!

1) Ihr Konstitutionssystem gibt für die intersubjektive Übertragung des Aussagegegenstandes ein ideales Zeichensystem; durch die Eliminierung von \(Er\) wird das System schlechthin eindeutig und vollkommen.

2). Zugleich will die Konstitution ein Idealsystem geben für die intersubjektive Übertragung der Aussagegewißheit: rationale Rechtfertigung jeder Gewißheit durch Rückführung, über den Weg der Kennzeichen, auf die letzten Gewißheitsgründe. Solcherweise kann jede intuitive und daher zunächst nur subjektiv gültige Gewißheit allgemein nachkonstruierbar und also intersubjektiv werden, vorausgesetzt daß den Nachkonstruierenden genügend Material an eigenen Grunderfahrungen vorliegt.

Aber dieses Material kann tatsächlich niemals und niemandem vorliegen.

Die Konstitutioa [sic] führt auf Gründe, die sich entziehen. Sie 🕮 führt auf einmalige vergangene Erlebnisse, die nicht mehr vorhanden sind. Die Bestandsliste müßte keine Fiktion sein, sondern eine Tatsache. Und wenn sie Tatsache wäre, so würde sie die gleiche Verifizierung verlangen, wie jedes andere als Tatsache vorliegende Dokument. Regressos infinitum.pKsl. Notiz

Also bleibt für die Konstitution nur das Telos, ein eindeutiges Zeichensystem zu geben, vergleichbar der Notenschrift für die Komposition der Musik, der Tanzschrift für die Tanzkomposition.

+++

15) Erkenntniskonstitution ist nicht Erkenntniskomposition. Die Komposition der wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Erkenntnis heißt „Erfahrung“. (Die wissenschaftliche Erfahrung ist nicht wesentlich verschieden von der vorwissenschaftlichen, sie arbeitet nur mit verlängerten Organen). Die Konstitution hat sich der Wissenschaft anzupassen wie die Notenschrift der Musik; sie kann der Wissenschaft nur so voraufgehen, wie die Notenzeichen der Komposition. Und das Konstitutionssystem kann der Wissenschaft ebenso wenig Vorschriften geben wie das Notensystem dem Komponisten.qKsl. Notiz

+++

16) Ebenso gut wie Ihr Konstitutionssystem, ausgehend vom Eigenpsychischen und darin verbleibend, doch imstande ist, das Fremdpsychische und die Intersubjektivität nachzuzeichnen, ebenso müßte es im Stande sein, Metaphysik nachzuzeichnen. Der Widerspruch ist hier nicht anders als dort.

Metaphysik könnte konstitutionstheoretisch verstanden werdeneHsl. als „empirisch“: aber sich aufbauend aus einem Bereich von anderen Empfindungen, als die der „physischen“ Welt zu Grunde liegen: so etwa die Metaphysik der Anthroposophen.rKsl. Notiz

Oder Metaphysik könnte anknüpfen an die Intersubjektivierung. Der intersubjektive Gegenstand als die Klasse aller zu einem bestimmten Gegenstande irgendeines Systems intersubjektiv zugeordneten Gegenstände der übrigen Systeme – die Klasse aber ist das Gemeinsame – verändert sich, wenn der Kreis der Subjekte sich erweitert. Zunächst sind es die Systeme reifer Menschen, dann kommen hinzu die Systeme von 🕮 Kindern, von menschenähnlichen und menschenfernen Tieren, von Marsbewohnern, von allen erdenkbaren Subjekten. Das „Gemeinsame“ aller dieser Gegenstände streift nach und nach alle Züge ab, die durch Subjektsbesonderung bestimmt sind: so bleibt als Grenzbegriff solcher Erweiterungsreihe der Begriff des Dinges an sich. Wie nun in der Sphäre der MetaphysikfHsl. dieser Begriff Farbe bekommt, welche Formungsprinzipien hier gelten, darüber hat die Konstitutionstheorie so wenig zu entscheiden, wie sie etwa von den eigenpsychischen Empfindungen aus die Formungs- und Umformungs- und Ergänzungsgesetze der physischen Welt vorschreiben könnte.gKsl. Notiz

+++

17) Das Wesensproblem kann natürlich von der Konstitutionstheorie nicht gelöst werden‚hHsl. weil sie nur ein Zeichensystem gibt und sinnfremd bleibt. Daß die Konstitution als Zeichenelemente die Elementarerlebnisse, also wirkliche Gegebenheiten einsetzt, ändert daran nichts. Aber daraus folgt nicht, daß das Problem unlösbar sei.

Die Solchheit jeder Gegenstandsstufe ist aus den Gegebenheiten und ihrer Multiplikation mit den logistischen Möglichkeiten nicht abzuleiten. Die physische Welt ist durch die eigenpsychische nur dann eindeutig bestimmt, wenn gewisse Formungs- und Umformungs- und Ergänzungsprinzipien vorausgesetzt werden: ihre Solchheit, ihr Wesen.iHsl.sKsl. Notiz

Die Wissenschaft könnte versuchen, diese Solchheit telisch zu begreifen; und die Konstitution hätte auch diesen Erkenntnisversuch nachzuzeichnen.

Denn daraus, daß die KonstitutionjHsl. Sinn und Wesen nicht deuten kann, folgt nicht, daß sie nicht imstande sein sollte, eine Sinndeutung in sinnfremden Zeichen nachzuzeichnen.

+++

18) Die Solchheit der Gegenstandssphäre, das Wesen, bleibt unverstanden, solange das Subjekt rein theoretisch genommen wird, als Träger allein des Bewußtseins. Sie kann verstanden werden, wenn man das Subjekt als Träger von Zielen nimmt. Gegenstandserkenntnis ist organisches Wachstum: Formung der Gegebenheiten um Willenskerne.

Vergleichbar: Man kann eine Pflanze beschreiben als Formung der aufge🕮nommenen Nahrung (Eelementarerlebnis): die und die aufgenommenen Stoffe sind so und so gelagert. Die Formung zu Blüten, Blättern, Wurzeln ist nebensächlich. Von Blüten, Blättern, Wurzeln zu sprechen ist nur eine Abkürzung.

Aber die Wissenschaft kann die Sache auch telisch anfassen: Blüten, Blätter und Wurzeln werden verstanden aus ihrer Leistung für die Pflanze.** So wäre auch jede Gegenstandssphäre zu verstehen aus ihrer Leistung für das Subjekt. Ihre Gesetze sind Solensgesetze.

Auch bei Ihnen klingt dieser Gedanke auf; aber Sie sagen nicht, daß damit das Wesen des Gegenstandes getroffen wird.

+++

19) Wenn die Konstitution den wirklichen Wachstumsstufen der Erkenntnis nahe bleiben wollte, dürfte sie nicht die Gegenständlichkeit des Eigenpsychischen vor der des Physischen ansetzen. Die physischen Gegenstände wachsen früher als die eigenpsychischen. Sie werden ja nicht aufgebaut aus Empfindungen, sondern aus Qualitäten. ksl. dazu Und auch im Wachstum der eigenpsychischen ist eine andere Folge: zuerst wird gegenständlich das eigenpsychische Erleben der physischen Dinge, dann die Empfindungen, und zuletzt die Elementarerlebnisse. Auch ist die ersterlebte Beziehung wohl nicht eine Ähnlichkeit, sondern eine Verschiedenheit: nicht das Gleichbleiben, sondern die Veränderung wird zuerst merkbar. –

+++

20) Geht die Konstitution aus von der gegenständlichen Gegebenheit des Elementarerlebnisses, (das Erlebnis erfaßt sich selbst als individuell besonderten Gegenstand), so stellt sie den Ablauf des Wachsens auf den Kopf. Und sie setzt unnötig zweierlei als principium individuationes voraus: die Zeit und das individuelle Ich. Denn das Elementarerlebnis ist individuell durch Zeitpunkt und Subjektspunkt. (Das in einem individuellen Erlebnis Erlebte kann sich identisch wiederholen nicht nur in verschiedenen Zeiten, sondern auch bei verschiedenen Subjekten.)tKsl.

Geht die Konstitution aus von dem Erlebten (neutral), vorpsychisch, vorphysisch), so ist das Eigenpsychische zu konstituieren durch Einfügung in die Zeitreihe und durch Anfügung an das Ich.uKSl. Notiz

Das Ich aber ist dann freilich nicht die Klasse der Elementarerlebnisse, sondern – mein Leib. Gerade so wie beim Fremdpsychischen.

+++ 🕮

Das Eigenpsychische wird nicht wesentlich anders komponiert (erfahren) als das Fremdpsychische. Die Determinationen werden hier wie dort vielfach mit Hilfe von Negationen (des Physischen) durchgeführt. Eine fortschreitende Umformung. Sublimierung.

Der Vorzug der Eigenerkenntnis vor der Fremderkenntnis trifft nicht die Psyche, sondern das Körperinnere. Ich allein kann mein Körperinneres empfinden, freilich nicht visuell, aber spannungssensorisch und derartig, z. B. wenn ich lache, weine, mich freue, wenn ich will, wenn ich zornig bin, wenn ich staune. Das Körperinnere der Fremden nehme ich vermittelt wahr durch den „Ausdruck“ (wieder das Körperinnere spannungssensorisch vorgestelltkHsl., nicht visuell).

Da aber das Ich ursprünglich mein Leib ist (zuerst nur wenig negiert), so wird dieses spannuagssensorisch empfundene Körperinnere schlecht vom psychischen unterschieden, erst bei letzter Sublimierung abgetrennt. Bis dahin ist also der Anschein, das Eigenpsychische sei leichter faßbar als das FremdelHsl.

+++

21) Von dem wichtigsten Bestand der Fremdpsyche, dem Bewußtseinsstrom, verrät sich nur wenig im „Ausdruck“. Die „Aussagen“ sind dafür entscheidend (Aussagen über physische Gegenstände); aber bei der Fremdpsyche nicht anders als bei der eigenen. Auch das Eigenpsychische wird gegenständlich im Spiegel von Aussagen; freilich genügen hier gedachte Aussagen – und das ist ein wirklicher Vorsprung der Ich=Erkenntnis vor der fremden.

+++

22) Solange nicht die Umformungsgesetze der psychischen Welt klargelegt sind (es handelt sich um ein System von Negationen, dadurch das Physische immer mehr abgestreift wird), schwebt die Behauptung, es könne nicht körperfreie Fremdpsyche geben, in der Luft.vKsl. Notiz

+++

23) Das Verhältnis des Physischen zum Psychischen kann nicht von der Konstitutionstheorie geklärt werden, weil sie vom Sinn absieht.

Anfang der Klärung wäre: die Solchheit dieser beiden Gegenstandssphären, nämlich die Formungs-, Umformungs-, Interpolationsgesetze gegeneinander zu stellen. Darauf: sie telisch zu verstehen.

Da wäre zu erkennen, mit welcher Strenge in jeder Sphäre die Interpolationsgesetze gelten: ob z. B. Lücken in den Erfahrungsreihen der phy🕮sischen Welt eine Auffüllung erlauben mit psychischen Phänomenen oder nur mit physischen.wKsl. Notiz

Und wir dürften uns nicht dadurch beirren lassen, daß in der wissenschaftlich benachbartenmHsl. physikalischen Welt strenge Gleichart der Einschalte verlangt wird. Hier zwingt das Telos(mathematische Berechenbarkeit) zu einer Strenge, die dort vielleicht nicht gilt.xKsl.

———-

Ob bei der Kürze meine Fragen verständlich werden? Aber glauben Sie nicht, daß mir vor lauter Einwänden das Starke Ihrer Arbeit nicht stehen bliebe.

Für das neubegonnene Jahr wünsche ich Ihnen, lieber Herr Carnap, herzlichst alles Gute.

Ihr
Broder Christiansen

Brief, msl., 9 Seiten, RC 028-10-08; Briefkopf: ksl. Notiz, msl. 8. I. 26.


Processed with \(\mathsf{valep\TeX}\), Version 0.1, May 2024.