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Lieber Herr Carnap!
Ihr Buch
Ich gebe Ihnen ein paar Fragezeichen und Anmerkungen:
1)
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2)
Das ipse hat im Elementarerlebnis Bewußtsein nicht des Erlebnisses,
Aus dem Erlebten müßte das Erlebnis konstituiert werden durch Einfügung in die Zeitreihe. Geht man aber davon aus, daß das Erlebnis Bewußtsein sei des Erlebnisses, daß also dem ipse ohne weiteres ein
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3) Geht man vom Erlebten aus und konstituiert aus diesem das Erlebnis den eigenpsychischen Gegenstand, so ist das Erlebte nicht auch schon
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4) Bezeichnet \(y\) ein gegenwärtiges Elementarerlebnis und \(x\) ein eben vergangenes, dann kann eine Beziehung zwischen \(x\) und \(y\) nicht erfahren werden. \(x\) Er \(y\) kann nicht Grunderfahrung sein. Die Grunderfahrung
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5) Die Forderung einer Grundrelation und die Forderung unteilbarer Elementarerlebnisse sind nicht vereinbar.
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6) Sie beschreiben \(Er\) in realistischer Sprache: in einem Elementarerlebnis \(y\) ist die Erinnerung an \(x\) enthalten, \(y\) wird mit dieser Erinnerung verglichen, und es findet sich eine Ähnlichkeit.
Das ist zwar realistische Sprache, aber es liegt doch darin, daß für die Grunderfahrung das Erlebnis \(y\) irgendwie aufgeteilt sein muß: in ein Stück \(M\), das Erinnerungsqualität hat, und in ein Stück \(N (= y-M)\)
Die Beziehung nun zwischen \(M\) und \(N\) ist nichts anderes als die Teilähnlichkeitsbeziehung. Der Erinnerungscharakter trifft nicht die Beziehung, sondern eine Qualität von \(M\): ein an \(M\) faßbares Lokalzeichen.
So enthält also die Grunderfahrung Er außer der Ähnlichkeitsbeziehung die Setzung einer Qualität. Und zwar wird diese Qualität, das Lokalzeichen von \(M\) schlechthin erfaßt als Qualität, nicht als Ergebnis einer Quasianalyse.
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7) Geht man aber von solcher Grunderfahrung zu einer Aussage über \(x\) und \(y\), etwa \(x Ae y\), (wobei \(y\) ein gegenwärtiges Elementarerlebnis bedeutet‚)
Die Weite dieses Schrittes
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8) In der realen Erkenntnis werden die Qualitäten z. B. die Farben in ihrer Besonderheit intuitiv erlebt, sie werden nicht durch das Produkt einer
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9) Wenn die Qualitäten bestimmt werden durch Quasianalyse als eine Klasse von Erlebnissen, und dabei die Klasse das Gemeinsame der Elementarerlebnisse bedeuten soll, nicht aber die Summe der Einzelerlebnisse, wie ist dieses Gemeinsame identisch zu fassen? Empfängt es nicht seine Identität einzig aus der mit sich identischen Gesamtheit der Elementarerlebnisse?
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10) Daß verschiedene Qualitäten nicht einer und derselben Raumstelle in einem und demselben Elementarerlebnis zugeordnet sein könnten, trifft nicht zu. Die Einstelligkeit der Farben Stelle ist kein Gesetz des Psychischen, sondern erst der physischen Welt. Es ist ein Umformungsgesetz, nicht ein ursprüngliches Formgesetz des räumlichen Erlebens. Denn das Elementarerlebnis hat ja, wie Sie selbst betonen, eine gewisse Dauer‚
Dieses gilt schon, wenn die entsprechenden Lokalzeichen der beiden Augen voneinander verschieden sein sollten. Wären aber, was möglich, gewisse Lokalzeichen des einen Auges von gewissen des andern dem ipse nicht unterscheidbar und darum zusammenfallend, so wäre die Einstelligkeit verschiedener Qualitäten noch weiter möglich (stereoskopisches Sehen; Glanz).
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11) Ebensogut wie die räumlichen Lokalzeichen könnten die Farben als Form genommen werden. Im vierdimensionalen Zeitfarbensystem wären dann die Raumzeichen einzufügen. Dabei müßte freilich oft ein und derselbe Zeitfarbenpunkt eine Mehrheit von Lokalzeichen tragen: das widerspricht nicht dem Formcharakter. In der Ordnungsform des Psychischen trägt auch der
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12) Müssen den verschiedene Gegenstandsphären ganz inkomparabel sein?
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13) Die konstitutionsgemäße Umwandlung irgendwelcher Aussage in Aussagen über eigenpsychischer Elementarerlebnisse kann nicht Endzweck der Wissenschaft
Die Umwandlung wäre also nicht in sich wertvoll, aber sie könnte ein wertvolles Mittel sein: vorausgesetzt, daß sie leistet, was sie soll.
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14) Das Telos der Konstitution: sie ist Mittel für Intersubjektivierung. Zweierlei ist zu intersubjektivieren: der Aussagegegenstand und die Aussagegewißheit.
1) Ihr Konstitutionssystem gibt für die intersubjektive Übertragung des Aussagegegenstandes ein ideales Zeichensystem; durch die Eliminierung von \(Er\) wird das System schlechthin eindeutig und vollkommen.
2). Zugleich will die Konstitution ein Idealsystem geben für die intersubjektive Übertragung der Aussagegewißheit: rationale Rechtfertigung jeder Gewißheit durch Rückführung, über den Weg der Kennzeichen, auf die letzten Gewißheitsgründe. Solcherweise kann jede intuitive und daher zunächst nur subjektiv gültige Gewißheit allgemein nachkonstruierbar und also intersubjektiv werden, vorausgesetzt daß den Nachkonstruierenden genügend Material an eigenen Grunderfahrungen vorliegt.
Aber dieses Material kann tatsächlich niemals und niemandem vorliegen.
Die Konstitutioa [sic] führt auf Gründe, die sich entziehen. Sie
Also bleibt für die Konstitution nur das Telos, ein eindeutiges Zeichensystem zu geben, vergleichbar der Notenschrift für die Komposition der Musik, der Tanzschrift für die Tanzkomposition.
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15) Erkenntniskonstitution ist nicht Erkenntniskomposition. Die Komposition der wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Erkenntnis heißt „Erfahrung“. (Die wissenschaftliche Erfahrung ist nicht wesentlich verschieden von der vorwissenschaftlichen, sie arbeitet nur mit verlängerten Organen). Die Konstitution hat sich der Wissenschaft anzupassen wie die Notenschrift der Musik; sie kann der Wissenschaft nur so voraufgehen, wie die Notenzeichen der Komposition. Und das Konstitutionssystem kann der Wissenschaft ebenso wenig Vorschriften geben wie das Notensystem dem Komponisten.
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16) Ebenso gut wie Ihr Konstitutionssystem, ausgehend vom Eigenpsychischen und darin verbleibend, doch imstande ist, das Fremdpsychische und die Intersubjektivität nachzuzeichnen, ebenso müßte es im Stande sein, Metaphysik nachzuzeichnen. Der Widerspruch ist hier nicht anders als dort.
Metaphysik könnte konstitutionstheoretisch
Oder Metaphysik könnte anknüpfen an die Intersubjektivierung. Der intersubjektive Gegenstand als die Klasse aller zu einem bestimmten Gegenstande irgendeines Systems intersubjektiv zugeordneten Gegenstände der übrigen Systeme – die Klasse aber ist das Gemeinsame – verändert sich, wenn der Kreis der Subjekte sich erweitert. Zunächst sind es die Systeme reifer Menschen, dann kommen hinzu die Systeme von
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17) Das Wesensproblem kann natürlich von der Konstitutionstheorie
Die Solchheit jeder Gegenstandsstufe ist aus den Gegebenheiten und ihrer Multiplikation mit den logistischen Möglichkeiten nicht abzuleiten. Die physische Welt ist durch die eigenpsychische nur dann eindeutig bestimmt, wenn gewisse Formungs- und Umformungs- und Ergänzungsprinzipien vorausgesetzt werden:
Die Wissenschaft könnte versuchen, diese Solchheit telisch zu begreifen; und die Konstitution hätte auch diesen Erkenntnisversuch nachzuzeichnen.
Denn daraus, daß
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18) Die Solchheit der Gegenstandssphäre, das Wesen, bleibt unverstanden, solange das Subjekt rein theoretisch genommen wird, als Träger allein des Bewußtseins. Sie kann verstanden werden, wenn man das Subjekt als Träger von Zielen nimmt. Gegenstandserkenntnis ist organisches Wachstum: Formung der Gegebenheiten um Willenskerne.
Vergleichbar: Man kann eine Pflanze beschreiben als Formung der aufge
Aber die Wissenschaft kann die Sache auch telisch anfassen: Blüten, Blätter und Wurzeln werden verstanden aus ihrer Leistung
Auch bei Ihnen klingt dieser Gedanke auf; aber Sie sagen nicht, daß damit das Wesen des Gegenstandes getroffen wird.
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19) Wenn die Konstitution den wirklichen Wachstumsstufen der Erkenntnis nahe bleiben wollte, dürfte sie nicht die Gegenständlichkeit des Eigenpsychischen vor der des Physischen ansetzen. Die physischen Gegenstände wachsen früher als die eigenpsychischen.
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20) Geht die Konstitution aus von der gegenständlichen Gegebenheit des Elementarerlebnisses, (das Erlebnis erfaßt sich selbst als individuell besonderten Gegenstand), so stellt sie den Ablauf des Wachsens auf den Kopf. Und sie setzt unnötig zweierlei als principium individuationes voraus: die Zeit und das individuelle Ich. Denn das Elementarerlebnis ist individuell durch Zeitpunkt und Subjektspunkt. (Das in einem individuellen Erlebnis Erlebte kann sich identisch wiederholen nicht nur in verschiedenen Zeiten, sondern auch bei verschiedenen Subjekten.)
Geht die Konstitution aus von dem Erlebten (neutral), vorpsychisch, vorphysisch), so ist das Eigenpsychische zu konstituieren durch Einfügung in die Zeitreihe und durch Anfügung an das Ich.
Das Ich aber ist dann freilich nicht die Klasse der Elementarerlebnisse, sondern – mein Leib. Gerade so wie beim Fremdpsychischen.
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Das Eigenpsychische wird nicht wesentlich anders komponiert (erfahren) als das Fremdpsychische. Die Determinationen werden hier wie dort vielfach mit Hilfe von Negationen (des Physischen) durchgeführt. Eine fortschreitende Umformung. Sublimierung.
Der Vorzug der Eigenerkenntnis vor der Fremderkenntnis trifft nicht die Psyche, sondern das Körperinnere. Ich allein kann mein Körperinneres empfinden, freilich nicht visuell, aber spannungssensorisch und derartig, z. B. wenn ich lache, weine, mich freue, wenn ich will, wenn ich zornig bin, wenn ich staune. Das Körperinnere der Fremden nehme ich vermittelt wahr durch den „Ausdruck“ (wieder das Körperinnere spannungssensorisch
Da aber das Ich ursprünglich mein Leib ist (zuerst nur wenig negiert), so wird dieses spannuagssensorisch empfundene Körperinnere schlecht vom psychischen unterschieden, erst bei letzter Sublimierung abgetrennt.
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21) Von dem wichtigsten Bestand der Fremdpsyche, dem Bewußtseinsstrom, verrät sich nur wenig im „Ausdruck“. Die „Aussagen“ sind dafür entscheidend (Aussagen über physische Gegenstände); aber bei der Fremdpsyche nicht anders als bei der eigenen. Auch das Eigenpsychische wird gegenständlich im Spiegel von Aussagen; freilich genügen hier gedachte Aussagen – und das ist ein wirklicher Vorsprung der Ich=Erkenntnis vor der fremden.
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22) Solange nicht die Umformungsgesetze der psychischen Welt klargelegt sind (es handelt sich um ein System von Negationen, dadurch das Physische immer mehr abgestreift wird), schwebt die Behauptung, es könne nicht körperfreie Fremdpsyche geben, in der Luft.
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23) Das Verhältnis des Physischen zum Psychischen kann nicht von der Konstitutionstheorie geklärt werden, weil sie vom Sinn absieht.
Anfang der Klärung wäre: die Solchheit dieser beiden Gegenstandssphären, nämlich die Formungs-, Umformungs-, Interpolationsgesetze gegeneinander zu stellen. Darauf: sie telisch zu verstehen.
Da wäre zu erkennen, mit welcher Strenge in jeder Sphäre die Interpolationsgesetze gelten: ob z. B. Lücken in den Erfahrungsreihen der phy
Und wir dürften uns nicht dadurch beirren lassen, daß in der wissenschaftlich
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Ob bei der Kürze meine Fragen verständlich werden? Aber glauben Sie nicht, daß mir vor lauter Einwänden das Starke Ihrer Arbeit nicht stehen bliebe.
Für das neubegonnene Jahr wünsche ich Ihnen, lieber Herr Carnap, herzlichst alles Gute.
Ihr
Broder Christiansen
Brief, msl., 9 Seiten, RC 028-10-08; Briefkopf: