\brief{Rudolf Carnap an Wilhelm Flitner, 7. Juni 1921}{Juni 1921} %Wiesneck, 7.6.21. \anrede{Lieber,} \haupttext{Ihr habt ja recht, daß wir schon lange nichts mehr haben von uns hören lassen. Indessen gehts aber allen sehr gut. Vor einigen Wochen war die Mutter\IN{\rjcarnapmutter} hier, u. hatte besonders an den Kindern\IN{\hanneliese} \IN{\annemarie} große Freude. Jetzt wird sie wohl gerade wieder nach Jena kommen, u. Ihr könnt Euch also dort nähere Nachrichten über Entwicklungsstadien, Leistungen u. Untugenden der beiden Knirpse holen. Inzwischen sind wir in die Schefferwohung\II{} (den Ostflügel des Hauses) gezogen, haben es sehr schön, u. sind sehr froh, endlich in eigenem Gerät u. Stil zu wohnen. Zahl, Größe u. Aussehen der Zimmer ist uns hier so sehr viel besser angepaßt. Nach der Rückkehr v[on] Jena hab ich die im vorigen Jahr schon geplante Arbeit wieder aufgenommen: die Anwendung der Beziehungslehre auf die reine Bewegungslehre, oder Aufbau der Grundbegriffe der letzteren nach den Methoden der ersteren. Die Sache liegt mir sehr am Herzen, ich hab viel Freude dran. Ich glaubte, dieser Plan sei bisher noch nicht in Angriff genommen worden. Jetzt fand ich aber in einem (in Jena nicht vorhandenen) Buch\IW{} von Russell\IN{\russell}, dem \neueseite{} Haupt-Obermotzen der Beziehungslehre, wichtige Erörterungen über jenen Plan, u. Untersuchung der Methoden, die sich dafür eignen würden (schon 1903). Ich freue mich aber, selbständig einen anderen Weg gefunden zu haben, von dem mir einstweilen scheint, daß man darauf weiter kommt, als auf dem von R[ussell]\IN{\russell} (ich weiß übrigens nicht, ob er ihn inzwischen ausgebaut hat), freilich hat man 1921 den Vorzug, durch die Einsteinsche Kritik des Zeitbegriffs bestimmte Umwege von vornherein vermeiden zu können, die man 1903 wohl noch nicht als solche erkennen konnte. In den letzten Wochen hab ich jene Arbeit unterbrochen, um die Diss.\IW{\rjdissertation} druckfertig zu machen; sie wird als Ergänzungsheft der Kantstudien\II{\kantstudien} erscheinen. Allerdings hab ich einen Bruchteil der (sehr hohen) Druckkosten vorweg bezahlen müssen (übrigens dann aber von der Mutter\IN{\rjcarnapmutter} als Geburtstagsgeschenk wieder ersetzt bekommen). Ich hab jetzt viel die Freiburger Bibliothek\II{\bibliothekfreiburg} benutzt. Dazu kam mir gut zustatten, daß mir Elisabeth\IN{\elisabeth} zum Geburtstag \neueseite{} das frühere Rad von Adolf\IN{\schoendubeadolf} herrichten u. bereifen ließ. Einige sehr schöne Sonntagsfahrten haben wir jetzt mit den Rädern schon gemacht. Sobald ich die Diss.\IW{\rjdissertation} abgeschickt habe (ich hoffe noch diese Woche), wollen wir dann eine größere Unternehmung vom Stapel laufen lassen: eine Donaufahrt, anschließend einige Tage in München! Inzwischen werden die Kinder\IN{\hanneliese} \IN{\annemarie} hier gut von Käthe\IN{\rjkaethe} verwahrt, u. wir hoffen, besseres Glück dabei zu haben, als die so vom Pech verfolgte Lisi\IN{\rjlisi}. Nach der Rückkehr hat Elisabeth\IN{\elisabeth} dann noch viel zu tun, um schleunigst drüben die große Wohnung, in der jetzt Ofenmeister, Maurer, Tapezierer, Maler usw. tätig sind, wohnlich einzurichten, damit etwa Ende Juni Schöndubes\IN{\schoendubes} dort ein schönes Heim vorfinden. Wir vermuten sie schon unterwegs, d.\,h. in den Ver[einigten] Staaten, wo sie Otto\IN{\schoendubeotto} abholen, der f. d[ie] Ferienmonate mit herüberkommt. Nun die Sommerpläne. Wir wissen noch nichts Bestimmtes, u. da Ihr am gebundensten seid, müßt Ihr die Zeit f. d[as] Treffen bestimmen. Die Weimarwoche\II{} ist ja, dem VHS\II{}-bl[att] nach, Ende August; also Deine Freizeit 1.-17.\,Juli, \neueseite{} u.\,U. bis 30.\,Juli (wenn Dreißigacker aufgegeben wird), stimmt das? Über genaueres Datum werde Dich bald schlüssig, im Einvernehmen m[it] d[en] andern Freunden, u. teils uns bald mit. Ich denke, wir können uns dann schon danach einrichten. Ebenso über den Ort. Erkundige Dich doch mal nach der Elgersburg, wo ein Engelhardt\IN{\engelhardt} anscheinend eine Art Jugendburg (oder Nachahmung von Joh. Müllers\IN{\muellerjohannes} Mainberg?) macht; es steht zuweilen im Zwiespruch darüber; ich finde sie auf der Karte in der Nähe von Ilmenau. Für \uline{uns} praktischer wäre ja eine Treffwoche im Aug. od. Sept., wenigstens wenn sie in Mitteldeutschland sein soll; da wir dann die Reise vereinigen können mit der Weimarwoche, zu der wir gern \uline{beide} kommen möchten. Vielleicht gings v. 11.\,Aug. ab? Da wäre ja auch Roh\IN{\rohfranz} schon in Thüringen. Und vielleicht könnten wir dann auch schon früher kommen u. die Ferienkurse v. Dir u. Roh\IN{\rohfranz} mithören! Solltest Du nur Anfang Juli können, andrerseits aber Papa\IN{\schoendubeheinrich} den Wunsch haben, daß wir nicht so bald nach seiner Ankunft losreisen, so würden wir ihm vorschlagen, Reisegeld für die Freunde zu stiften, damit Ihr irgendwo hier in die Nähe kommen könnt. Über den Inhalt der Gespräche schreib ich auch schon bald Näheres; formuliere Deine Thesen für die verschiedenen Fragen, u. schick es uns Freunden zu; dann können wir Ergänzungen oder Gegenthesen dazu aufstellen. Und schreib vor allem \uline{bald} über Zeit u. Ort. (Post wird uns, wenn wir weg sind, nachgeschickt). Euch dreien herzliche Grüße.} \grussformel{Dein\\ Rudi} \ebericht{Brief, hsl., 4 Seiten, WF; Briefkopf: hsl. \original{Wiesneck 7.\,6.\,21}.}