\brief{Rudolf Carnap an Wilhelm Flitner, 20. Februar 1920}{Februar 1920} \blockade{Jahr aus dem Kontext erschlossen. WF an Roh, er geht im März (8./9.) nach Wiesneck} %W. 20. 2. \anrede{L[ieber] Fl[itner]!} \haupttext{Dein Tagesplan ist gebilligt; mir läuft schwer das Wasser im Munde zusammen. Von den gefragten Büchern hab ich hier Herbarts päd[agogische] Schr[iften],\IW{} Dörpfelds Werke,\IW{} Pestalozzis W[erke];\IW{} von W[ilhelm] v. Humboldt\IN{\humboldtwilhelm} habe ich: Abh. z.\fnE{Recte: über} Gesch[ichte] u. Politik; Wirks[amkeit] d[es] Staates\IW{}; Diederichs-Auswahl, Briefe; \uline{nicht} hab ich: Paulsens Gesch[ichte] d[es] gel[ehrten] Unt[errichts]\IW{}, Ziller, Rousseaus Emil (Reclam vergriffen!). -- Leider sind ja Deine Ferien so kurz. Da wollen wir wohl lieber auf eine Arbeitsgemeinschaft mit Roh\IN{\rohfranz}, Fränzel\IN{\rjfraenzel}, Freyer\IN{\freyer}, von der ich Dir schrieb, für diesmal verzichten. Es tut mir auch sehr leid, daß Du auch im Sommer dauernd so gebunden sein wirst. Denn ein solches Zusammenarbeiten im engen Kreise geht doch noch über jede andre Lern- u. Lehrtätigkeit. Oder Dir nicht auch? Die Frage ist: ob durch solchen verengerten Kreis die Leistung f. d[ie] Wissenschaft nicht nur nicht verringert, \neueseite{} sondern sogar gesteigert würde. Ich bin geneigt, sie zu bejahen; zumal wenn man sich mit der Zeit aufeinander eingespielt haben würde. Das alte Problem: Kloster oder Ausschüttung der Wissensch[aft]. Versteht sich: nur vom Gesichtspunkt der Förderung der Wissensch[aft] aus. Erziehung u. Volksbildung sind ganz andre Fragen. Ist eigentlich der Plan des Thür[inger] VHS-heims\II{\vhsthueringen} (Du u. Gabert\IN{\gabert}) ins Wasser gefallen? oder auf welchen Zeitpunkt etwa vertagt? -- Eins nicht vergessen: Schneeschuhe mit 2 Stöcken! (bei Cz.\IN{\czapskis} gibts doch wohl 1 Paar f. Euch?) Im März ist der Feldberg oft noch herrlich. Herzlichst} \grussformel{Dein\\ R.C.} \ebericht{Brief, hsl., 2 Seiten, WF; Briefkopf: hsl. \original{W[iesneck] 20.\,2.}.} \nichtdrucken{ \blockade{Diskussionsprotokoll, kein Brief. Was tun damit?} Pfiffelbach, Pfingsten 1920 = Pfingstsonntag: Sonntag, 23. Mai 1920 \textit{Pfingstmontag: Montag, 24. Mai 1920} Ein Gespräch über Religiosität. geführt in Pfiffelbach von Rudi CarnapCarnap, Rudolf, W. FlitnerFlitner, Wilhelm und Fritz von Baußnern.Baußnern, Fritz von Pfingsten 1920. RäuberRäuber, E. führt das Protokoll. F.v.B. These: Wo sollen wir anknüpfen um zu einer neuen Form der Religion zu kommen? R.C. Du mußt fragen: 1) Wo liegt der aussichtsreichste Kern anzuknüpfen (theoretisch) 2) Praktisch darf die Frage garnicht aufgestellt werden. Wo sollen wir anknüpfen? Es soll [ein Wort nicht entziffert] nicht gemacht werden. Laß es machen, wer es will. F.v.B. Bei welchen Menschen soll man anknüpfen? (Es ist nicht zu befehlen! R.) Wir verzetteln uns. Ziel: Religion. R.C.: Religion als Ziel aufzustellen ist verkehrt. F.v.B.: Das Sehnen nach letzter Einheit lebt in uns. Wir hier fühlen uns weitgehend einheitlich. Unter uns kann z.B. kein Orthodoxer sein, oder jemand, der für die Siegesallee schwärmt. Fl.:Du glaubst an ein einheitliches \uline{Lebensgefühl} in uns? War der Renaissancemensch religiös: der besaß auch ein einheitliches Lebensgefühl. F.v.B.: Was ist religiös? Ist NietzscheNietzsche, Friedrich religiös? Sein großer Schmerz, daß er es nicht mehr sein kann. E. HaeckelHaeckel, L. ist ein irreligiöser Mensch, weil er nicht einheitlich ist. Fl.: Ludwig FeuerbachFeuerbach, Ludwig ist irreligiös aber durchaus einheitlich. \uline{Einheitlichkeit} wird zugestanden. Religös im engeren Sinne steht nun zur Debatte. R.C. Sind \uline{wir} religiös? Ablehnung von Seiten CarnapCarnap, Rudolfs, FlitnersFlitner, Wilhelm und RäuberRäuber, Erwins religiös genannt zu werden. (Lao-Tse) Es gehört zum religiösen Menschen, daß er sich in einer Bindung, einer Gemeinschaft fühlt. (Schleiermacher). Fl. formuliert die Gegensätze: Oberflächlich und tief - Irreligiös und religiös? Welche geistigen Ziele stecken wir uns? R.C. Was ist Kultur, was Civilisation, was wertlos? Kultur ist da, wo es Einheitlichkeit gibt (Gothik - Frührenaissance) Gibt es noch in uns Keime einer neuen Kultur? Bejahung: Baustil - Jugendbewegung -- Expressionismus) R.C.: Steckt in RadeRade, WeinelWeinel, BonusBonne, Joh. MüllerMüller, Joh. und andren wirklich etwas Keimhaftes für religiöse Kultur? Das Gespräch versandet allmählich in einen Diskurs über protestantische Universitäts-Theologen. Nur Fritz von B. findet etwas Keimhaftes in ihnen. (Dieses Negative oft das einzige Positive dieses Gespräches.) R. Erwin Räuber }