\brief{Rudolf Carnap an Gruber, 26. Juli 1918}{Juli 1918} \blockade{word Dokument mit Transkription, kein Original. Ist aber auch von 1918. RC 025-101} \{\uline{Abschrift}\} 26.7.18. Antwort an Gruber. Obwohl es mir nicht scheint, als könnte die sicherlich wünschenswerte ,,Scheidung der Geister`` durch Grubers Brief gefördert werden, -- dazu ist seine Stellungnahme nicht sachlic\{ht\} genug ausgeführt, -- fühle ich mich doch veranlaßt, darauf zu antworten. Was die starken Beschuldigungen betrifft, die der Brief enthält, so kann ich nichts darauf erwidern, da die angegebenen Tatsachen mir bisher nicht bekannt waren und ich erst Genaueres darüber erfahren müßte. Aber eins muß ich sagen: solche Verdächtigungen (es liege nahe, gewisse Freideutsche für bestochene Vertrauensmänner der Entete zu halten) sind höchst verwerflich und bedauerlich. Sie sollten unter uns nicht erhoben werden, wenn nicht zwingende Indizien [sic] vorliegen, was hier doch gewiß nicht der Fall ist. Trotz der tief einschneidenden Unterschiede in der politischen Überzeugung, (wie sie z. B. zwischen Gruber und mir vorliegen) sollten wir Freideutschen doch niemals einander derart niedrige Motive unterzuschieben suchen. Das Vertrauen auf die unbedingte Aufrichtigkeit, ja die Gewißheit, daß jeder so handelt, wie er seinem Gewissen nach handeln muß, mögen auch seiner Überzeugung noch so viele Irrtümer und Vorurteile zugrundeliegen [sic], ist doch das Einzige, was uns bei der zu Tage getretenen Kluft noch innerlich einigen oder wenigstens auf rein menschlichem Gebiete wieder zusammenführen kann. Geht dieses Vertrauen verloren, dann allerdings ist irgend ein gegenseitiges Verstehen unter uns nicht mehr möglich. Was den \uline{Inhalt} meiner politischen Überzeugung betrifft, den Gruber ja auch wissen will, um den Standpunkt der Mehrzahl der Freischärler festzustellen, so ist mir der alldeutsche Standpunkt Grubers allerdings diametral entgegengesetzt. Den von Gruber berührten Ostfrieden z.B. bedaure auch ich lebhaft, ohne deshalb zu glauben, zu Joffe gehen zu müssen. In solcher Handlungsweise würde ich aber auch kein Verbrechen, sondern nur eine Zwecklosigkeit sehen. Die weiteren Punkte kann ich hier nicht erörtern. Mit der nach Grubers Aussage auf dem Solling hervorgetretenen Richtung bin ich allerdings nicht einverstanden, doch muß ich vorläufig überhaupt an der Richtigkeit der angegebenen Tatsachen zweifeln. Nähere Angaben wären dringend erwünscht. Eine ausführliche Erörterung wird wohl der mündlichen Aussprache auf einem Freischartag nach beendigung [sic] des Krieges vorbehalten werden müssen. Das Recht, an solcher sachlichen Aussprache teilzunehmen, das Gruber durch seine ungeheuerlichen Verdächtigungen verwirkt hat, kann er nur wiedererlangen, wenn er sie klar und offen zurücknimmt oder aber durch Tatsachen belegt. Einstweilen möchte ich betonen, daß Gruber nicht in der Lage ist, im Namen ,,aller Offiziere der Freischar`` seinen Standpunkt zu vertreten. \textit{Rudolf Carnap}, Leutn.d.R. (Freischar Jena I) Berlin-Westend, Kastanienallee \sout{39.} \{35.\}