Zur Diskussion der Sozialwahltheorie Nachdem im letzten Kapitel der mathematische Beweis des Satzes von Arrow ausführlich besprochen wurde, soll nun die Frage erörtert werden, was das Theorem von Arrow, das "‘Paradox des Liberalismus"’ und verwandte mathematische Sätze inhaltlich aussagen. Solche Benennungen wie "‘Paradox des Liberalismus"’ suggerieren ja bereits, dass sie bestimmte Schlussfolgerungen über die Natur politischer Entscheidungsprozesse implizieren. Wie verhält es sich damit? Da es sich bei der Sozialwahltheorie zunächst einmal um eine abstrakte mathematische Theorie handelt steht der Anwendungsbereich nicht von vorn herein genau fest (etwa so wie ja auch die Differentialrechnung in der Physik genauso wie in der Volkswirtschaftslehre ihre Anwendung findet). Man kann sie auf die Entscheidungsprozesse in der großen Politik und die Demokratie im Ganzen beziehen, aber ebenso könnte man sie auch auf alle möglichen kollektiven Entscheidungsprozesse im kleinen Rahmen bei Unternehmen, Vereinen etc. beziehen. Wollte man die Frage streng systematisch angehen, so müsste man zunächst untersuchen 1) auf welche Arten kollektiver Entscheidungsprozesse sich die Theorie überhaupt anwenden lässt, 2) welche Aspekte dieser Entscheidungsprozesse sie erfasst und – mindestens ebenso wichtig! – 3) welche Aspekte sie nicht erfasst, 4) zu welchen Befunden sie bezüglich der von ihr erfassten Aspekte gelangt und 5) ob diese Befunde richtig und stimmig sind. Im Rahmen dieser Vorlesung würde es allerdings zu weit führen, alle diese Aspekte erschöpfend zu behandeln, zumal wir mit dem Condorcet-Paradox, dem sogennanten "‘Paradox des Liberalismus"’ und dem Satz von Arrow nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus der Sozialwahltheorie kennen gelernt haben. Wir werden uns auf die Erörterung der Frage beschränken, inwieweit der Satz von Arrow Grenzen demokratischer Wahl- und Entscheidungsprozesse aufzeigt, und welche Auswirkungen er auf unser Demokratieverständnis hat bzw. haben sollte. Die These, dass der Satz von Arrow bedeutsame Konsequenzen für unser Demokratieverständnis hat, ist recht häufig vertreten worden, u.a. von Nida-Rümelin, dessen Standpunkt wir als erstes behandeln werden. Sehr viel gründlicher wurde eine ähnliche These von dem Politikwissenschaftler William Riker und seiner Schule wissenschafttlich ausgebaut riker:1982. Für Riker zeigt der Satz von Arrow, dass demokratische Entscheidungsprozesse Rikers These der Fragilität der Demokratie grundsätzlich fragil und nur sehr begrenzt dazu in der Lage sind, den "‘Willen"’ eines Kollektivs (etwa des Staatsvolks) zum Ausdruck zu bringen. Er zieht daraus tendenziell libertäre Konsequenzen, d.h. angesichts des fragilen Charakters demokratischer Entscheidungsprozesse sollten von vornherein möglichst wenig Gegenstände überhaupt zur Disposition kollektiver Entscheidungen gestellt werden. Weiterhin sei der Sinn demokratischer Wahlen nicht in erster Linie darin zu sehen, die Politik im Sinne der mehrheitlich vom Volk gewählten Richtung festzulegen, sondern lediglich darin, dass sie – neben Gewaltenteilung, Verfassungsgerichtsbarkeit etc. – ein weiteres Mittel der Machtkontrolle sind, indem sie es ermöglichen, einer Regierung die Macht durch Abwahl wieder zu entziehen. Diese Sichtweise ist sehr gründlich von Gerry Mackie kritisiert worden, der den theoretischen Befund Rikers für äußerst schwach begründet und dessen empirische Belege sämtlich für verkehrt hält. Wir werden in diesem Kapitel einige der wichtigsten Punkte aus dieser (recht komplexen) Diskussion herausgreifen und erörtern. Der Satz von Arrow als Widerlegung der "‘identären"’ Demokratie Nach Nida-Rümelins Ansicht sind der Satz von Arrow und verwandte Ergebnisse der Sozialwahltheorie für "‘die Entwicklung eines angemessenen Demokratieverständnisses – ex negativo – bedeutsam"’, indem sie "‘den Bereich zulässiger Demokratiekonzeptionen"’ durch apriorische Argumente, die "‘die logische Konsistenz von Normen- und Regelsystemen"’ betreffen, einschränken. Man kann ihre Ergebnisse als Argumente gegen die "‘Identitätstheorie"’ der Demokratie auffassen. Unter der "‘Identitätstheorie der Demokratie"’ versteht Nida-Rümelin "‘die Vorstellung, Demokratie verlange die Konstituierung eines kollektiven Akteurs, dessen Entscheidungen als Aggregation der individuellen Bürgerinteressen verstanden werden können"’ nida-ruemelin:1991. Er glaubt, dass der Satz von Arrow vor dem Hintergrund dieses Demokratieverständnisses "‘eine ernsthafte Herausforderung für die Demokratietheorie"’ nida-ruemelin:1991 darstellt, zeigt er doch seiner Ansicht nach, dass "‘wesentliche Elemente unserer vortheoretischen Demokratievorstellung nicht tragfähig sind"’ nida-ruemelin:1991. Als Alternative zu dieser vermeintlich defizitären "‘vortheoretischen Demokratievorstellung"’ empfiehlt sich für Nida-Rümelin eine Demokratievorstellung, die sich "‘auf strukturelle, auf einem praktischen Konsens über sekundäre Regeln beruhende Normen"’ nida-ruemelin:1991 stützt. Den Begriff der sekundären Regeln übernimmt Nida-Rümelin dabei von dem Rechtsphilosophen H.L.A. Hart, der damit diejenigen (institutionellen) Regeln bezeichnet, nach denen wir in der Gesellschaft regelen festlegen, also z.B. die Geschäftsordnung des Parlaments, die regelt auf welchem Weg Gesetze erlassen werden, im Gegensatz zu den "‘primären Normen", also etwa Gesetzen, die regeln, welches Verhalten verboten oder erlaubt ist. Um Nida-Rümelins Deutung zu untersuchen, ist Folgendes zu untersuchen: Inwiefern betrifft sein Begriff der "‘Identitätstheorie der Demokratie"’ einschlägige Demokratiekonzeptionen, insbesondere: Inwieweit gibt er das vortheoretische Demokratieverständnis richtig wieder? Greift seine auf den Satz von Arrow gestützte Kritik an der "‘Identitätstheorie der Demokratie"’, d.h. leidet diese Demokratiekonzeption tatsächlich an einem Mangel an logischer Konsistenz, den der Satz von Arrow nachweist? Kann die von Nida-Rümelin skizzierte Alternative das Problem lösen? Die "‘Identitätstheorie der Demokratie"’ Es ist immer ein wenig schwierig einzuschätzen, worin das vortheoretische Verständnis von etwas, also z.B. das vortheoretische Verständnis von Demokratie besteht. Nach einem sehr naiven Verständnis, das unmittelbar an die Wortbedeutung anknüpft‚Govanni Sartori nennt dieses sehr naive Verständnis von Demokratie deshalb auch "‘Etymologische Demokratie"’ sartori:1987. ist Demokratie schlicht die Herrschaft des Volkes, wobei mehr oder weniger offen bleibt, wie diese Herrschaft des Volkes auszusehen hat. Es ist naheliegend, aber keineswegs selbstverständlich, anzunehmen, dass die "‘Herrschaft des Volkes"’ durch irgendeine Form von Mehrheitsentscheid ausgedrückt wird. Nimmt man das aber an, so könnten der Satz von Arrow und verwandte Theoreme möglicherweise Grenzen der "‘Identitätstheorie der Demokratie"’ aufzeigen, sofern die durch den Satz von Arrow gezogenen Grenzen für die Aggregation individueller zu kollektiven Präferenzen sich als einschneidend genug erweist, um eine durch Mehrheitsentscheid zum Ausdruck gebrachte "‘Herrschaft des Volkes"’ sinnlos werden zu lassen. Ob das der Fall ist, wird im Laufe des Kapitels noch zu erörtern sein. Dass es, wenn es der Fall ist, unabhängig vom Satz von Arrow auch noch andere und möglicherweise sehr viel wichtigere Gründe gibt, diese sehr naive Vorstellung von Demokratie abzulehnen sartori:1987, wird von Nida-Rümelin dabei zugestanden nida-ruemelin:1991 und braucht hier nicht thematisiert zu werden. Fraglich ist allerdings, ob eine "‘Identitätstheorie der Demokratie"’ nicht auch anders verstanden werden kann. Nida-Rümelin zufolge "‘bildet die Vorstellung einer Zusammenfassung individueller Interessen zu einem Gemeininteresse qua Abstimmungsverfahren den Kern der durch die französische Revolution geprägten Demokratiekonzeption"’ nida-ruemelin:1991. Richtig ist sicherlich, dass die durch die französische Revolution geprägte Demokratietheorie das Element der Volkssouveränität vergleichsweise stärker gegenüber anderen Elementen betont wie etwa dem der Machtkontrolle als etwa die angelsächsische Tradition. Zugleich beruht diese sich sehr stark auf Jean-Jacques Rousseau als ihren Vordenker stützende Demokratiekonzeption auf einem Verständnis von Volkssouveränität, dem gerade nicht die "‘Zusammenfassung individueller Interessen zu einem Gemeininteresse"’ zu Grunde liegt. Rousseau Rousseaus Demokratietheorie unterschied sehr genau zwischen der "‘volunté de tous"’, dem Willen aller, der in etwa der aus den individuellen Präferenzen aggregierten kollektiven Präferenzrelation im theoretischen Rahmen der Sozialwahltheorie entsprechen würde, und der "‘volonté générale"’, dem allgemeinen Willen, der das Gemeinwohl repräsentiert, und der bei Rousseau gerade nicht durch Aggregation von Einzelinteressen ("‘volonté particulière"’) entsteht, sondern so etwas wie das bessere Gewissen und den höheren Willen der Bürger verkörpert, soweit sie sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Gegen Rousseaus Demokratietheorie gibt es viele Einwände schmidt:2000 – unter anderem wird ihr vorgeworfen, dass sie kollektivistisch sei – aber durch Argumente die sich auf den Satz von Arrow und verwandte Befunde der Sozialwahltheorie stützen könnten, ist die Rousseausche Variante einer Identitätstheorie – ebenso wie die meisten anderen kollektivistischen Gesellschaftstheorien – von vornherein nicht angreifbar. Sofern die auf den Satz von Arrow gestützte Kritik an demokratischen Abstimmungsverfahren überhaupt Stich hält, wäre – stark vereinfacht gesprochen – die angelsächsische Tradition der Demokratietheorie also stärker davon betroffen als die französische. Die Frage der Durchschlagskraft der auf den Satz von Arrow gestützten Kritik an der Identitätstheorie Wenn wir uns aber schon einmal auf eine solche Identitätstheorie der Demokratie verständigen, bei der die Identität von Herrschern und Beherrschten durch die "‘Zusammenfassung individueller Interessen zu einem Gemeininteresse qua Abstimmungsverfahren"’ nida-ruemelin:1991 zustande kommt, dann ist die Frage zu untersuchen, ob der Satz von Arrow tatsächlich die Unmöglichkeit einer derartigen Identitätstheorie erweist. Mehrere Aspekte sind hier zu unterscheiden: a) Relevanz der auf Arrow gestützten Kritik der "‘Identitätstheorie"’ Weitgehend ausgespart bleiben soll hier wiederum die Frage der Relevanz der auf den Satz von Arrow gestützten Einwände. Wie schon gegen die Rousseau’sche Demokratietheorie gibt es auch gegen diese Art von Identitätstheorie unabhängig von Arrow weitere Einwände, die möglicherweise sehr viel einschlägiger sind. Der historisch wirksamste Einwand gegen diese Art von Identitätstheorie dürfte Demokratie als "‘Mehrheitstyrannei"’ derjenige sein, dass reine Demokratie dieser Art auf eine "‘Mehrheitstyrannei"’ hinausläuft. Die Kritiker der "‘Mehrheitstyrannei"’ bestritten dabei nicht, dass es in der Demokratie die "‘Mehrheit"’ ist, die (schlimmstensfalls) tyrannisch herrscht, nur bezweifelten sie, dass die Mehrheit immer im Einklang mit dem Gemeinwohl und unter der Achtung der Rechte der Minderheit herrschen würde. Diejenigen der heutigen Demokratiekritiker, die sich auf die Sozialwahltheorie stützen, bestreiten bereits, dass die durch eine Wahl herbeigeführte Entscheidung in jedem Fall Ausdruck des Willens der Mehrheit ist. Unabhängig von den technischen Beschränkungen der Abbildung individueller auf kollektive Präferenzen, wie sie uns der Satz von Arrow vor Augen führt, ist schon die Tatsache, dass es bei so gut wie allen Mehrheitsentscheidungen eine Minderheit gibt, die die Überzeugung der Mehrheit nicht teilt, Grund genug dafür, die Vorstellung, dass demokratische Mehrheitsentscheidungen eine Identität von Herrschern und Beherrschten herbeiführen in einem anderen als bloß sehr schwachen symbolischen Sinne zurückzuweisen.Vgl. dazu auch sartori:1987, besonders das 2. Kapitel. Es bleibt hinsichtlich der "‘Identitätstheorie"’ also nur noch die Frage, ob der Satz von Arrow dem noch ein weiteres hinzufügt. Man muss aber gar nicht unbedingt nur wie Nida-Rümelin auf die Identitätstheorie abstellen. Denn auch unabhängig von der "‘Identitätstheorie"’ stellt sich die Frage, inwiefern demokratische Mehrheitsentscheidungsverfahren Legitimität erzeugen können und zur effizienten Lösung politischer Probleme taugen. Der Satz von Arrow spricht in dieser Hinsicht eine bestimmte Art von möglichen Problemen an. b) Die Gültigkeit der Voraussetzungen des Satzes von Arrow Bevor wir sagen können, dass der Satz von Arrow mögliche Probleme demokratischer Entscheidungsprozesse beschreibt, müssen wir uns erstens überlegen, ob demokratische Entscheidungsprozesse mit einem theoretischen Modell der Abbildung individueller auf kollektive Präferenzen richtig beschrieben werden und zweitens, wenn dies der Fall ist, ob die Voraussetzungen des Satzes von Arrow tatsächlich notwendigeDass es keine hinreichenden Bedingungen sind, dürfte offensichtlich sein. Die auf Arrow gestützten demokratieskeptischen Argumente laufen denn auch normalerweise so: Wenn sich diese "‘harmlosen"’ Bedingungen (d.i. die Voraussetzungen für den Satz von Arrow) schon nicht erfüllen lassen, dann muss man nach anspruchsvolleren Bedingungen gar nicht erst fragen. Mindestbedingungen demokratischer Entscheidungsprozesse repräsentieren. Hinsichtlich des ersten Punktes, dass das Modell der Abbildung individueller auf kollektive Präferenzen demokratische Entscheidungsprozesse richtig erfasst, liegt zunächst der Einwand nahe, dass demokratische Entscheidungsprozesse in erster Linie deliberative Prozesse sind, bei denen die Gegenstände der politischen Entscheidungen und die sich bietenden Alternativen erst in öffentlichen Diskussionsprozessen bestimmt werden. Die individuellen Präferenzen sind nach dieser Sichtweise nicht einfach ein Eingangsparameter des politischen Prozesses, sondern zumindest teilweise bilden sie sich erst im Laufe des Prozesses, wandeln sich, gleichen sich aneinander an, oder dissoziieren sich voneinander, ordnen sich nach politischen Lagern etc. All diese Vorgänge und wohlbekannten Phänomene werden von der Sozialwahltheorie bisher noch wenig erfasst.Das Thema "‘Wandel von Präferenzen"’ findet innerhlab dieser Schule erst neuerlich größere Beachtung. Bei den im letzten Kapitel besprochenen Ansätzen (Satz von Arrow, "‘Paradox des Liberalismus"’) werden die individuellen Präferenzen noch als gegeben vorausgesetzt und von ihrem möglichen Wandel mit der Zeit oder infolge von Diskussionprozessen, die Abstimmungen in der Demokratie typischerweise voraus gehen, wird zunächst abstrahiert. Dennoch wird die Sozialwahltheorie soweit ihr das Modell der Aggregation von Präferenzen zu Grunde liegt durch die Allgegenwart deliberativer Prozesse in der Politik nicht überflüssig gemacht. Denn auch deliberative Prozesse führen nicht dazu, dass sämtliche Unterschiede zwischen den Präferenzen von Individuen und Gruppen eingeebnet werden. Am Ende wird auch in der Demokratie zwischen verschiedenen Alternativen abgestimmt, die von unterschiedlichen Lagern präferiert werden. Spätestens dann sind wir wieder bei der Aggregation von individuellen zu Kollektivpräferenzen. Das Vorhandensein deliberativer Prozesse macht die Präferenzaggregation also nicht überflüssig. Bestenfalls bewirken deliberative Prozesse, dass Arrows Bedingung des unbeschränkgen Bereichs (von möglichen individuellen Präferenzprofilen) in der Praxis nur stark entschärft auftritt. Um den zweiten Punkt zu klären, ist es notwendig, die unterschiedlichen Voraussetzungen von Arrow durchzugehen und darauf hin zu untersuchen, ob sie tatsächlich unerlässlich sind. Darüber gibt es, wie man sich denken kann, eine breite Diskussion. Im folgenden sollen nur kurz die wichtigsten theoretischen (zu den empirischen, siehe unten) Einwände angesprochen werden: Transitivität der kollektiven Präferenzen Eine der Voraussetzungen von Arrow bestand darin, dass die kollektiven Präferenzen transitiv sein müssten. Diese Forderung lässt sich dadurch motivieren, dass intransitive Präferenzen zu bestimmten Problemen führen kann, wie sie durch das Geldpumpenargumentversinnbildlicht werden. Analog zum Geldpumpenargument kann man sich im politischen Kontext theoretisch einen Manipulator vorstellen, der einen Zyklus innerhalb der kollektiven Präferenzen dazu nutzt, um eine bestimmte politische Agenda durchzusetzen. Aber ebenso wie beim Geldpumpenargument wäre auch im politischen Kontext der Einwand angebracht, dass sich eine solche Ausbeutungstechnik praktisch kaum verwirklichen lassen dürfte. Und, wie schon zuvor erläutert (Seite ), zeigt das Argument nicht dass intransitive oder zyklische Präferenzen schlechthin absurd sind. Transitivität ist nicht unterlässlich Insofern als es denkbar ist, für die aus zyklischen Präferenzen möglicherweise resultierenden Probleme, praktische Lösungen zu finden, kann man nicht sagen, dass die Erzeugung transitiver kollektiver Präferenzen zu den unerlässlichen Bedingungen eines akzeptablen Abstimmungsverfahrens gehört, auch wenn es natürlich wünschenswert wäre. Unbeschränkter Bereich der individuellen Präferenzen Der Bedingung des "‘unbeschränkten Bereichs"’ kann man unterschiedliche Interpretationen geben: Unbeschränkter Bereich heisst, dass weder die Menge der Güter, über die die Präferenzen gebildet werden sollen, in irgendeiner Weise beschränkt ist, noch die Art und Weise wie diese Güter durch die individuellen Präferenzrelationen angeordnet werden (solange die üblichen Bedingungen wohlgeformter Präferenzrelationen wie Zusammenhang, Transitivität etc., erfüllt sind). Beliebige Güter oder nur beliebige Anordnung der Güter? Unbeschränkter Bereich bedeutet, dass zwar die Menge der Güter, über die die Präferenzen gebildet werden sollten, eingeschränkt sein kann, nicht aber die Ordnung der Güter innerhalb der individuellen Präferenzen. Gegen die erste Interpretation spricht ein logischer und ein normativ-politischer Einwand. Der logische Einwand ist der Folgende: Logischer Einwand Angenommen, die Menge der möglichen Güter, auf die sich die individuelle Präferenzrelation beziehen darf, wäre in jeder Hinsicht unbeschränkt, dann können die Individuen auch Präferenzen darüber bilden, ob sie z.B. die Gültigkeit der Bedingung der paarweisen Unabhängigkeit bei Abstimmungsverfahren gegenüber der Ungültigkeit dieser Bedingung bevorzugen oder nicht. Angenommen nun, die individuellen Präferenzen sind so verteilt, dass alle Individuen einhellig dagegen sind, die paarweise Unabhängigkeit zur Voraussetzung eines Abstimmungsverfahrens zu machen, dann kann man diese Bedingung nur unter Bruch der Effizienz-Bedingung ("‘Pareto-Kriterium"’) aufrecht erhalten. Mit anderen Worten: Bei einer weiten Auslegung des "‘unbeschränkten Bereichs"’ geraten die Bedingungen Arrows also untereinander in einen Widerspruch. Der normativ-politische Einwand, dass wir schon aus moralischen Gründen bestimmte Güter und Präferenzen, z.B. solche Normativer Einwand die Menschenrechtsverletzungen beinhalten oder die auf die Abschaffung der Demokratie oder die Wiedereinführung der Sklaverei zielen oder dergleichen, von vornherein ausschließen. Es ist nicht ganz klar, ob man moralische Restriktionen stets so modellieren kann, dass sie sich nur im Sinne einer Beschränkung der Menge der zur Disposition stehenden Güter auswirken, oder ob sie in manchen Fällen nur so modelliert werden können, dass die Menge der möglichen Präferenzrelationen über einer Gütermenge eingeschränkt wird. Im ersteren Fall würde man lediglich von der ersten zur zweiten Interpretation der Bedingung des "‘unbeschränkten Bereichs"’ übergehen müssen. Im zweiten Fall wäre dann immer noch die Frage, ob durch die Beschränkung der zugelassenen Präferenzordnungen infolge moralischer Restriktionen alle problemerzeugenden Präferenzprofile (im Sinne des Satzes von Arrow) wegfallen. Da man dies nicht annehmen kann, sollte man vorsichtshalber davon ausgehen, dass sich moralische Restriktionen (wie schon zuvor die deliberativen Prozesse) höchstens dahingehend auswirken, dass die Bedingung des unbeschränkten Bereichs möglicherweise entschärfen."‘Entschärfen"’ in dem Sinne, dass problemative Präferenzprofile seltener oder unwahrscheinlicher werden. Ein Einwand, der zur gänzlichen Zurückweisung der Bedingung des unbeschränkten Bereichs führt, ergibt sich aus der Berücksichtigung moralischer Restriktionen also nicht. Die Diskussion zeigt aber, dass man die Bedingung des unbeschränkten Bereichs nicht schon dadurch verteidigen, dass jede Einschränkung des Bereichs zugelassener Präferenzen notwendigerweise autoritär oder paternalistisch und mit elementaren Prinzipien des Liberalismus und der Demokratie unvereinbar wäre (VERWEIS MUELLER). Pareto-Effizienz Das Kriterium der Pareto-Effizienz scheint zunächst hochgradig selbstevident zu sein. Warum sollte man eine bestimmte Entscheidung treffen, wenn es eine andere gibt, bei der es einigen besser aber niemandem schlechter ergehen würde? Aber man kann die Sache auch von einem anderen Gesichtspunkt betrachten: Wenn man die Wahl hat zwischen einer pareto-effizienten Diktatur und einer pareto-ineffizienten Demokratie, sollte man dann nicht lieber die pareto-ineffiziente Demokratie vorziehen. Natürlich käme es wohl auch darauf an, wie "‘ineffizient"’ die Demokratie wäre. Grenzen der Pareto-Effizienz Aber dass maximale Pareto-Effizienz zu einem notwendigen Kriterium eines Kollektiventscheidungsverfahrens erklärt wird, und damit gegenüber anderen Werten und Zielsetzungen nicht mehr abwägugngsfähig ist, ist alles andere als apriori selbstverständlich. Unabhängigkeit von dritten Alternativen Das Prinzip der Unabhängigkeit von dritten Alternativen wirft ähnliche Fragen auf wie die Transitivität, ist dabei aber noch um einiges umstrittener. Motivieren lässt sich dieses Prinzip zunächst dadurch, dass ohne dieses Prinzip durch hinzufügen von weiteren "‘irrelevanten"’ Alternativen das Abstimmungsergebnis theoretisch manipuliert werden kann. Diese Motivation ist ähnlich wie das Geldpumpenargument pragmatischer und nicht logischer Natur. Insofern müssen die Probleme, die durch den Wegfall der paarweisen Unabhängigkeit entstehen können, nicht von vornherein als unüberwindlich angesehen werden. Umgekehrt wirft das Prinzip, nur paarweise Vergleiche zwischen den vorhandenen Alternativen zuzulassen, seinerseits Probleme auf, denn es führt dazu, dass ein möglicherweise sehr relevanter Teil der Informationen über die Rangfolge der Präferenzen zwangläufig vernachlässigt werden muss. Beispiel für die Relevanz dritter Alternativen Dazu ein Beispiel: Angenommen der Kleingärtnerverein entscheidet darüber, welche Getränke zur Jahreshauptversammlung gereicht werden sollen. Der Getränkehändler bietet einen fetten Preisnachlass an, wenn nur er nur eine Sorte Getränke liefern muss. Den Preisnachlass wollen unsere Kleingärtner natürlich unbedingt in Anspruch nehmen. Es bleibt also nur noch die Frage des Auswahl des Getränks. Die eine Hälfte der Kleingärtner habe die Präferenz: [FORMULA] Die andere Hälfte der Kleingärtner – womöglich Antialkoholiker – habe die Präferenz [FORMULA]. Nun teilt der Getränkehändler weiterhin mit, dass abgesehen von Bier und Cola wegen eines Streiks keine anderen Getränke mehr lieferbar sind. Die Kleingärtner sind also gezwungen zwischen Bier und Cola zu entscheiden, da alle anderen Alternativen jetzt "‘irrelevant"’ geworden sind. Frage: Sollte bei dieser Entscheidung die Information, dass Bier bei der einen Gruppe an der allerletzten Stelle steht, während beide Gruppen Cola an die erste oder zweite Stelle setzten, wirklich nicht in die Entscheidung einbezogen werden dürfen? Das Prinzip der paarweisen Unabhängigkeit würde es verbieten, solche Informationen zu verwenden. Das Beispiel legt jedoch eher nahe, dass das Prinzip der paarweisen Unabhängigkeit zu eng gefasst ist, indem es nicht nur die Unabhängigkeit von "‘irrelevanten"’ Alternativen sicherstellt, sondern – je nach Umständen – auch relevante Alternativen aus der Betrachtung ausschließt. Diktaturfreiheit Das Prinzip der Diktaturfreiheit ist wohl das einzige, an dem man ohne wenn und aber festhalten wird, wenn man die Theorie auf die Politik übertragen will. Denn wenn man schon die Diktatur zulässt, benötigt man auch keine Theorie der Abstimmung mehr. Es ist ja zuallererst das Problem, ein Abstimmungs- bzw. Kollektiventscheidungsverfahren zu finden, dass möglichst Vielen möglichst gerecht wird, welches die Entwicklung dieser Theorie motiviert. Wenn man nun das Prinzip der Diktaturfreiheit aufgibt, bräuchte man auch die Theorie nicht mehr.Unabhängig von der Sozialwahltheorie kann man aber immer noch die Frage diskutieren, ob in bestimmten Situationen diktatorische Entscheidungsverfahren nicht empfehlenswert sein können. Bekanntlich kannte die römische Republik die Institution einer Diktatur auf Zeit (1 Jahr), um bei besonderen Bedrohungen der politischen Ordnung die Fähigkeit zu raschen Entscheidungen sicher zu stellen. Zudem ist das Prinzip der Diktaturfreiheit so defensiv gefasst, dass man sich anders als bei den anderen Prinzipien kaum noch Abschwächungen vorstellen kann. Wie man sieht, hält abgesehen von der Diktaturfreiheit nur das Prinzip des unbeschränkten Bereichts, wenn man es nicht zu weit auslegt, den möglichen Einwänden stand. Bei allen anderen Prinzipen kann man zwar zugestehen, dass sie berechtigte Anliegen artikulieren, dabei aber oft enger sind, als dies notwendig erscheint, und zugleich andere, ebenso berechtigte Anliegen, ausschließen (wie z.B. die Berücksichtung der gesammten Rangordnung und nicht nur des paarweisen Verhältnisses von Gütern nach den gegebenen Präferenzen). Anstatt sich die Bedingungen Arrows also als notwendige Voraussetzungen vorzustellen, die jedes akzeptable Kollektiventscheidungsverfahren mindestens erfüllen muss, sollte man sie lieber als wünschenswerte Voraussetzungen betrachten, von denen der Satz von Arrow zeigt, dass sie nicht alle gleichzeitig erfüllbar sind, so dass man Abwägungen treffen und eventuell Abstriche machen muss. Es kann aber nicht ernsthaft die Rede davon sein, dass die Ergebnisse der Sozialwahltheorie – von denen nicht wenige übrigens zeigen, dass sich Arrows negatives Resultat schon bei geringfügiger Aufweichung seiner Voraussetzungen in ein positives Resultat verwandelt mueller:2003, wenn auch jeweils mit mehr oder weniger erwünschten Nebeneffekten wie z.B. zyklische kollektive Präferenzen – "‘den Bereich zulässiger Demokratiekonzeptionen ein[schränken]"’ und "‘Diese Einschränkung .. apriorisch [ist]"’ nida-ruemelin:1991. c) Die Frage der empirischen Möglichkeit und Häufigkeit von "‘Problemfällen"’ bei der Aggregation von individuellen Präferenzen Das Paradox des Liberalismus und der Satz von Arrow zeigen, dass eine bestimmte Menge von wünschenswerten Bedingungen nicht miteinander vereinbar sind. Die Beweise beruhten unter anderem darauf, dass die Bedingung des unbeschränkten Bereichs in der Weise ausgenutzt wurde, dass gezielt solche Profile individueller Präferenzen konstruiert wurden, für die die Erfüllung der anderen Bedingungen nicht mehr möglich ist. Diesen Sachverhalt kann man aber auch so zu interpretieren versuchen, dass das Condorcet Paradox, der Satz von Arrow oder das Paradox des Liberalismus und andere verwandte Theorme in der Praxis nur ganz bestimmte Problemfälle betreffen. So entsteht die zyklische Präferenzverteilung beim Condorcet-Paradox nur bei ganz bestimmten, "‘unglücklich"’ verteilten individuellen Präferenzen. Insofern muss das Condorcet-Paradox nicht bedeuten, dass demokratische Abstimmungsverfahren grundsächtlich nicht robust wären (in dem Sinne, dass sie keine wohlgeordneten kollektiven Präferenzen liefern). Es bedeutet zunächst nur, dass sie in besonderen Fällen nicht robust sind. Die Frage, die sich dann stellt, ist diejenige, wie häufig derartige Fälle vorkommen, d.h. ob es sich dabei um seltene Einzelfälle oder um einen häufig auftretenden Regelfall handelt. Diese Frage kann man auf unterschiedliche Art und Weise untersuchen: 1) Durch analytische Überlegungen betreffend die Häufigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit von Präferenzprofilen, die z.B. zu zyklischen kollektiven Präferenzen führen, 2) durch Computersimulationen und 3) empirisch, indem man nach Beispielen sucht, wo entsprechende Präferenzprofile aufgetreten sind. Eine ausführliche Übersicht über derartige Studien (weiter unten mehr dazu) liefert Gerry Mackie mackie:2003, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Problemfälle logisch möglich aber empirisch eher unwahrscheinlich sind.Mackie reagiert damit auf die gegenteilige These William Rikers riker:1982. Man könnte an dieser Stelle immer noch den Einwand vorbringen, dass demokratische Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse sich gerade in solchen (wenn auch seltenen) kritischen Ausnahmefällen bewähren sollten. Dazu ist zweierlei zu sagen: Wenn die "‘Problemfälle"’ wirklich nur selten sind, dann genügt dies bereits um die These der "‘analytischen"’ Widerlegung der identären Demokratie durch Arrow nida-ruemelin:1991 bzw. der mit Arrow begründeten Unfähigkeit demokratischer Entscheidungsverfahren, den "‘Volkswillen"’ zum Ausdruck zu bringen riker:1982 zu erschüttern. Treten die "‘Problemfälle"’ nur selten auf, dann erscheint – rein technisch betrachtet – folgende Abhilfe denkbar. Man verwende irgendein einigermaßen brauchbares Abstimmungsverfahren, z.b. Condorcet (parweise Abstimmung zwischen allen Paaren von Alternativen). Treten zyklische Präferenzen auf, schalte man auf einer anderes Abstimmungsverfahren, z.B. Borda-Zählung (siehe Übungsaufgabe , Seite ) um. Durch den Satz von Arrow ist zwar klar, dass auch ein solches kombiniertes Verfahren nicht alle Bedingungen erfüllen kann. So verletzt z.B. das Borda-Verfahren die Bedingung der paarweisen Unabhängigkeit. Aber da es als Teil eines kombinierten Verfahrens auftritt, muss diese Verletzung nur noch in den (vermutlich) wenigen Fällen in Kauf genommen werden, in denen das Condorcet-Verfahren intransitive Präferenzen liefert. Eine "‘strukturelle Konzeption kollektiver Rationalität"’ als Alternative? Bleibt, was den Entwurf Nida-Rühmelins betrifft, schließlich die Frage, ob er eine gangbare Alternative anbieten kann. Sein Vorschlag, der ganz dem Kanon der liberalen Demokratietheorie entspricht, sieht ein zweistufiges Verfahren vor, bei dem individuelle Rechte den kollektiven Entscheidungen vorgeordnet werden nida-ruemelin:1991. Mit anderen Worten: Kollektive Entscheidungen dürfen sich von vornherein nur auf einen bestimmten Bereich von Entscheidungsgegenständen beziehen, während andere Gegenstände, weil sie individuelle Rechte berühren von vornherein nicht zur Disposition kollektiver Entscheidungen führen. Da damit aber nur die Menge der zur kollektiven Entscheidung zugelassenen Güter nicht aber die Ordnung der individuellen Präferenzen über diese Güter beschränkt ist (siehe dazu auch die Diskussion der Bedingung des "‘unbeschränkten Bereichs"’ weiter oben auf Seite ), bleibt vollkommen unersichtlich, inwiefern sich auf diese Weise die durch den Satz von Arrow aufgeworfenen Probleme vermeiden lassen sollen. Möglicherweise fallen die Probleme weniger gravierend aus, weil derartige strukturelle Beschränkungen z.B. die Menge der zur Wahl stehenden Güter verringern könnten, aber Nida-Rümelin erläutert dies nicht. Insofern löst die "‘strukturelle Rationalität"’ Nida-Rümelins weder das Problem noch kann man sie umgekehrt in sinnvoller Weise durch die von Arrow, Sen und anderen aufgeworfenen Schwierigkeiten kollektiver Entscheidungsfindung motivieren. Die These des "‘demokratischen Irrationalismus"’ Bereits einige Jahre zuvor und sehr viel wirkungsmächtiger hat William Riker gestützt auf den Satz von Arrow die These vertreten, dass jedes kollektive Entscheidungsverfahren (und damit insbesondere auch alle demokratischen Entscheidungsverfahren) in vielfach chaotisch, von Zufällen bestimmt, kurz, in hohem Grade sinnlos sind: The main thrust of Arrow’s theorem and all the associated literature is that there is an unresolvable tension between logicality and fairness. To guarantee an ordering or a consistent path, independent choice requires that there be some sort of concentration of power (dictators, oligarchies or collegia of vetoers) in sharp conflict with democratic ideals. … These conflicts have been investigated in great detail, especially in the last decade; but no adequate resolution of the tension has been discovered, and it appears quite unlikely that any will be. The unavoidable inference is, therefore, that, so long as a society preserves democratic insitutions, its members can expect that some of their social choices will be unordered or inconsistent. And when this is true, no meaningful choice can be made. If [FORMULA] is in fact chosen – given the mechanism of choice and the profile of individual valuations – then to say that [FORMULA] is best or right or more desired is probably false. But it would also be equally false to say that [FORMULA] is best or right or most desired. And in that sense, the choice lacks meaning. riker:1982 William Riker steht mit dieser Auffassung keineswegs allein. Auch wenn er sie in einer vergleichsweise scharfen Form vertritt, so handelt es sich dabei um eine Konsquenz, die von zahlreichen Autoren aus dem Satz von Arrow gezogen wird mackie:2003Dies könnte vielleicht auch damit zusammen hängen, dass die meisten dieser Autoren aus dem ökonomischen Spektrum stammen und in der Staatsphilosophie die liberalen Werte höher als die demokratischen schätzen. Diese Sichtweise ist von Rikers Kritiker Gerry Mackie als die These des "‘demokratischen Irrationalismus"’ bezeichnet worden. Riker selbst, der sich – durchaus glaubwürdig – als liberaler Demokrat verstand, hat diese Bezeichnung nicht gebraucht, sie trifft seine These aber sehr gut. Riker geht nicht soweit, demokratische Entscheidungsverfahren grundsätzlich abzulehnen, aber seiner Ansicht nach müssen wir ihren Sinn und ihre Funktion anders verstehen. Der Sinn demokratischer Wahlen liegt für ihn nicht darin, dem Willen der Mehrheit politisch Geltung zu verschaffen, sondern er allein darin, dass durch das Instrument der Wahl die Führung abgewählt und von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden kann. Der Sinn demokratischer Wahlen erschöpft sich für ihn also allein in der Funktion der Machtkontrolle. Diese sehr reduzierte Deutung demokratischer Wahlen hat zugleich die Nebenwirkung, politischen Entscheidungen in der Demokratie ihre Legitimität zu entziehen, da ja nicht mehr gut behauptet werden kann, dass sie durch den Mehrheitswillen legitimiert sind. Ähnlich wie Nida-Rühmelin glaubt Riker, dass seine These wesentelich anylitscher Natur ist, und sich im Wesentlichen durch die mathematische Analyse von Wahlverfahren begründen lässt. Dennoch liefert er auch eine Reihe historischer Beispiele, die seine These stützen sollen. Im einzelnen beruht Rikers These auf folgenden Punkten: Nicht-Existenz einer wahren sozialen Wahl: Es gibt kein Wahlverfahren, dass alle Bedingungen der Fairness und Konsistenz erfüllt. Unter denen, die sie nicht erfüllen, gibt es mehrere gleich gute bzw. gleich schlechte Verfahren, die aber in bestimmten Fällen, von denen Riker glaubt, dass sie recht häufig vorkommen, jeweils andere Ergebnisse liefern, so dass man von keiner Methode sagen kann sie liefere die "‘wahre"’ soziale Wahl. riker:1982 Sinnlosigkeit der sozialen Wahl: Bei allen demokratischen Entscheidungsverfahren, werden einige Entscheidungen ungeordnet oder inkonsistent sein (intransitive kollektive Präferenzen!). In diesem Fall ist die soziale Wahl sinnlos. riker:1982 Verdeckung der wahren Präferenzen durch strategisches Wahlverhalten: Durch "‘startegisches Wählen"’ verdecken die Akteure ihre wircklichen Präferenzen, so dass am Ende nicht mehr deutlich ist, inwiefern eine getroffene soziale Entscheidung Ausdruck der wirklichen Präferenzen der Individuen ist. riker:1982 Manipulationsanfälligkeit der sozialen Wahl: Viele demokratische Wahlverfahren erweisen sich als manipulationsanfällig (z.B. durch die Einführung "‘irrelevanter"’ Alternativen, sofern es sich um Verfahren handelt, die die Bedingung der paarweisen Unabhängigkeit verletzen). Auch dies erschüttert die Glaubwürdigkeit der sozialen Wahl. riker:1982 Im folgenden sollen – im Wesentlichen anhand der Kritik Mackies mackie:2003 – die ersten beiden Punkte einer (vorwiegend) theoretischen Kritik unterzogen werden und die letzten beiden Punkte anhand historischer Beispiele untersucht werden. HIER FEHLT NOCH EIN TEIL DES KAPITELS !!! Historische Beispiele Diejenigen der historischen Beispiele Rikers, die hier diskutiert werden sollen, führen uns in die Zeit unmittelbar vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Daher ist zunächst etwas zum historischen Hintergrund zu sagen. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich in den Vereinigten Staaten ein Zwei-Parteien System herausgebildet, mit den “Whigs” auf der einen und den “Demokraten” auf der anderen Seite. Diese Parteien waren zunächst Sammlungsbewegungen ohne scharfes ideologisches Profil. In beide Parteien strömten die früheren Föderalisten (was zeigt, dass die Spaltung zwischen Föderalisten und Antiföderalisten aus der Gründungszeit überwunden war) und beide Parteien waren sektionsübergreifend in dem Sinne, dass die Parteigrenzen auch nicht strikt entlang geographischer Regionen (etwa Nordstaaten-Südstaaten oder Neu England-Westen) verliefen. Dies änderte sich jedoch in der Mitte der 19. Jahrhunderts und einer der wesentlichen Auslöser war die am 8. August 1846 ins Repräsentanten-Haus eingebrachte Wilmot-Klausel, die ein Verbot der Sklaverei in den neuerworbenen (bzw. neu zu erwerbenden) Gebieten Texas und New Mexico forderte. Der Vorstoß scheiterte zwar, führte aber die Frage der Sklaverei in den neuen Gebieten als bestimmendes Thema der amerikanischen Politik der folgenden Jahrzehnte ein. Das Thema Sklaverei bewirkte eine zunehmende Polarisierung der politischen Lager, wobei die Frontlinien mehr und mehr entlang der Sektionsgrenzen verliefen. Diese Veränderung der politischen Landschaft spiegelte sich in der Umformung des Parteiensystems wieder. Die Partei der Whigs zerfiel und ging schließlich größtenteils in der 1954 von Anti-Sklaverei-Aktivisten neu geründeten Partei der Republikaner auf. Die Demokraten wandelten sich mehr und mehr zu einer Südstaaten-Partei, eine Prägung, die sie bis weit ins 20. Jahrhundert beibehalten sollten. Daneben entstanden als Übergangserscheinung in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe kurzlebiger Parteien, von für uns aber nur die gegen die Sklaverei gerichtete “Free Soil Party” im Zusammenhang mit der Wilmot-Klausel eine Rolle spielt. Die Präsidentschaftswahl von 1860, neben der Wilmot-Klausel das zweite Beispiel Rikers, das hier besprochen werden soll, fand in einer aufgeheizten Atmosphäre statt. Von den Vier Kandidaten vertrat der schließlich zum Präsidenten gewählte Abraham Lincoln die vergleichsweise “radikalste” Anti-Sklaverei Position. Noch bevor er sein Amt am 4. März 1861 antrat hatten die Südstaaten mit der Sezession begonnen. Riker zufolge lagen sowohl bei den Abstimmungen im Repräsentantenhaus über die Wilmot-Klausel als auch bei den Präsidentschaftswahlen von 1960 zyklische Präferenzen vor. Der Ausgang der Wahl und damit der folgenschweren Ereignisse, die zum amerikanischen Bürgerkreig führten, waren Rikers Deutung zufolge, also ein eher zufälliges Artefakt des Wahlsystems. Auch wenn die Abschaffung der Sklaverei, die sich dadurch ergab, natürlich befürwortenswert ist: “A fortunate by-product of that process was the abolition of slavery” riker:1982 Wie Riker seine Deutung(en) belegt soll nun im Einzelnen untersucht werden. Die Wilmot-Klausel Bei der Wilmot-Klausel handelt es sich um eine vom Abgeordneten David Wilmot vorgeschlagene Ergänzung zu einem vom damals regierenden Präsidenten James K. Polk eingebrachtem Budget-Gesetz. Das Budgetgesetz (“appropriations bill”) von Polk sah vor einer größere Summe an Haushaltsmitteln zur Bestechung der mexikanischen Armee einzustzen, um den Krieg mit Mexiko, der über die Annexion von Texas entbrannt war, frühzeitig und mit vorteilhaftem Friedensschluss zu beenden. Wilmot brachte nun erstmals den Ergänzungsvorschlag ein, dass die Mittel dafür nur bewilligt werden sollten, wenn die neu erworbenen Territorien den “freien” Staaten bzw. Territorien zugeschlagen würden, in denen das Verbot der Sklaverei galt. Der Antrag wurde in den folgenden Jahren mehrmals eingebracht. Wie bei derartigen Anträgen üblich, fanden mehrere Lesungen und Abstimmungen darüber statt. Das um den Antrag erweiterte Gesetz wurde schließlich vom Repräsentatenhaus verabschiedet, scheiterte aber im Senat durch einen filibuster.Mangels einer Redezeitbegrenzung ist es im amerikanischen Senat möglich, durch beliebig lange Reden einen Gestzesentwurf zu blockieren, auch wenn (zunächst) keine Chance besteht, ihn durch eine Abstimmungsmehrheit zu Fall zu bringen. Dieses Vorgehen wird als “filibuster” bezeichnet. Im Ergebnis wurde also weder das Budgetgesetz noch das um die Wilmot-Klausel erweiterte Budgetgesetz verabschiedet, sondern der Krieg mit Mexiko noch einige Jahre weiter geführt. Auch wenn der Krieg schließlich siegreich beendet wurde, so war dies – nach Rikers in diesem Punkt glaubwürdiger Deutung – die von den meisten am wenigsten präferierte Alternative. Wie kam es dann aber, dass gerade diese Alternative gewählt wurde. Riker zufolge ist das auf einen Zyklus in den Präferenzen zurückzuführen. Bezüglich der Mitglieder des Repräsentantenhauses führt zunächst er folgende Schätzung ihrer Präferenzen an (“There is not enough votes to ascertain preference orders, but it is easy to guess what they were.” riker:1982), wobei [FORMULA] für das ursprüngliche Budgetgesetz steht, [FORMULA] für das Budgetgesetz mit Wilmot-Klauses und [FORMULA] für den status quo: [TABLE] Quelle: riker:1982, S. 227. Aus dieser Schätzung lassen sich die kollektiven Präferenzen ableiten: [FORMULA], was wie Riker (leider irrtümlich) glaubt auch das Ergebnis einer der Abstimmungen war, die am 8. August 1846 stattfanden. [FORMULA], weil zu erwarten ist, dass die Demokraten ihren Präsidenten unterstützen. [FORMULA], auf Grund einer Mehrheit von Südstaatlern, die die Wilmot-Klausel ablehnen und Nordstaaten-Whigs, die den Krieg ablehnen, und dementsprechend, wie Riker glaubt, jede Art von Kriegspolitik der Administration obstruieren. Es liegt, wenn man dieser Schätzung folgt, also ein Zyklus vor, oder mit Rikers Worten: “So there is a clearcut cyclical majority, which is of course complete disequilibrium.”riker:1982 Seiner Ansicht nach handelt es sich dabei um den letzten und schließlich erfolgreichen Versuch der Whigs, ein politisches Thema zu konstruieren, mit dem es ihnen gelingen würde die demokratische Partei zu spalten: “the Wilmot Proviso …may thus be regarded as the final act in the construction of the slavery issue.”riker:1982. Seine Ansicht, dass das Aufkommen des Sklaverei-Themas vorwiegend strategischen Überlegungen und politischem Opportunismus zu verdanken ist, stützt sich dabei (lediglich) auf einige Tagebuch-Äußerungen des Präsidenten Polk, der den Leuten, die ihm das Regieren schwer machten, allein solch oberflächliche Motive zugestehen mochte. Was ist von Rikers Deutung zu halten? Folgt man Mackies detaillierter Kritik, dann beruht sie zunächst auf einigen sachlichen Fehlern, deren gröbster der ist, dass Riker eine Abstimmung über das um die Wilmot-Klausel erweiterte Budget-Gesetz mit einer Abstimmung über die Erweiterung (also nur die Wilmot-Klausel) verwechselt. Dementsprechend deutet Riker ein Abstimmungsergebnis als Ausdruck von [FORMULA], welches in Wirklichkeit [FORMULA] ausdrückt. Die Präferenz [FORMULA] wird nicht nur durch eine sondern gleich durch mehrere Abstimmungen im Reprästentantenhaus bestästigt mackie:2003. Damit ist aber nicht nur Rikers Annahme, dass [FORMULA], hinfällig, sondern auch die, dass überhaupt in dieser Frage zyklische Präferenzen vorlagen. Seine Schätzung der Präferenzen der einzelnen Faktionen im Repräsentantenhaus ignoriert vorliegende Abstimmungsergebnisse, durch die sich z.B. die Annahme, die Nordstaaten Whigs hätten als Gegner des Mexiko-Krieges Obstruktionspolitik betrieben, eindeutig wiederlegen lässt. Mackie vermutet, dass ihre Haltung eher die gewesen ist, den Krieg abzulehnen, aber den Truppen im Feld dennoch volle Unterstützung zuzusichern, eine Haltung für die man auch in anderen Kriegen beispiele findet mackie:2003. (sinngemäss kann man die Haltung so ausdrücken: “Wir sind gegen den Krieg, aber wir lassen unsere Jungs trotzdem nicht im Stich!”) Rikers Fehler ist umso peinlicher, als er als Politikwissenschaftler hätte wissen müssen, dass über einen Gesetzesentwurf, bevor er vom Repräsentantenhaus an den Senat weitergeleitet wird, erst noch einmal im Ganzen abgestimmt wird. Peinlich ist der Fehler nicht nur für Riker, sondern auch für diejenigen (vorwiegend Vertreter des Public Choice Ansatzes!), die ihn nicht bemerkt haben. Von Mackie wird dies dementsprechend bissig kommentiert: Theoretically, any reader should be able to detect the nonsensical error emodied in Riker’s claim that SQ > WP [[FORMULA], E.A.] even without going back to check the references to the records of Congress, yet for almost twenty years many intelligent people have repeated this story without reporting the error. I feel that it is my reluctant duty to report a problem with public-choice style of explanation. This style of explanation is often not immediately intuitive yet is gilded with an abstract formalism that suggests that something important and believable is being said. I am not the first to suggest that there is no necessary relationship between formalism and profundity, and that it is just as possible that such models obscure as that they reveal. mackie:2003Man müsste auf diesem Fehler nicht herumreiten, wenn es ein Einzellfall wäre. Aber leider sind derartige Schwächen in der empirischen Anwendung des Public Choice-Ansatzes ein häufig anzutreffendes Problem. Auch Rikers These, dass sich die “Konstruktion” des Sklaverei-Themas vor allem politisch-taktischem Opportunismus verdankte, und sich dieses Thema in einer Art von natürlichem Selektionsprozess als dasjenige durchgsetzt hat, mit dem es den Whigs gelang ihre Gegener zu spalten, erscheint fragwürdig. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts ein von der Politik eher unbeachtetes Thema teilte es in der Mitte des 19. Jahrhunderts das ganze Land in zwei Lager. Sowohl die Presbyterianer als auch Methodisten spalteten sich darüber. (Warum hätten Sie das wegen eines Themas, das aus bloß taktischen Gründen von der Teilen der politischen Klasse “konstruiert” worden ist, tun sollen?) Dass sich das Thema Sklaverei in der Politik auch mit “opportunistischen” Erwägungenen verband – so lehnte die Free Soil Party die Sklaverei auch wegen der geführchteten Konkurrenz durch billige Sklavenarbeit ab – schliesst nicht aus, dass es aus Sicht vieler Politiker und anderer Bürger zugleich ein genuin moralisches Anliegen war. Angesichts der Leidenschafttlichkeit, mit der über die Frage der Sklaverei im Vorfeld des Bürgerkriegs gestritten wurde, wirkt Rikers Deutung eher etwas gezwungen. Die Präsidentschaftswahl von 1860 In der Präsidentschaftswahl von 1860 erblickt Riker geradezu eine Wiederholung des – wie wir gesehen haben in Wirklichkeit gar nicht vorhandenen – Ungleichgewichts bei der Entscheidung über die Wilmot-Klausel. Bei der Präsidentschaftswahl von 1860 traten vier Kandidaten an, Abraham Lincoln (Republican Party), Stephen Douglas (Northern Democrats), John Breckinridge (Southern Democrats), John Bell (Constitutional Union Party). Abraham Lincoln gewann die Wahl obwohl auf Douglas die meisten Stimmen entfielen. Dieses Phänomen ist leicht durch das amerikanische Wahlsystem zu erklären, bei dem zunächst innerhalb der einzelnen Bundesstaaten über den Präsidenten abgestimmt wird‚Zu Lincolns Zeiten galt das noch nicht für alle Bundesstaaten. In South Carolina etwa entschied die politische Elite statt der Bürger für welchen Präsidenten die Wahlmänner votieren sollten. und die dann Wahlmänner in das bundesweite Wahlmännerkollegium (“electoral college”) entsenden, das dann den Präsidenten wählt. In der Regel stimmen alle Wahlmänner desselben Bundesstates für den Kandidaten, auf den im Bundesstaat die meisten Stimmen entfallen sind, was zu erheblichen Verzerrungen des Ergebnisses führen kann und in diesem Fall auch geführt hat. Riker glaubt, dass darüber hinaus die kollektiven Präferenzen der Amerikaner bezüglich drei der vier Präsidentschaftskandidaten in einem Zyklus gefangen waren, dass also [FORMULA] galt. In Ermangelung von zuverlässugen Daten über die Präferenzen über alle vier KandidatenBekannt ist nur, welcher Kanditat in den einzelnen Regionen an die Spitze kam rechtfertigt Riker seine These wiederum mit einer Schätzung der vollen Präferenzen, die er nach Regionen aufschlüsselt.riker:1982 Wie er zu seiner Schätzung kommt, bleibt im Dunkeln. Mit seiner Schätzung ergibt sich aber der von ihm behauptete Zyklus. In den Fällen, in denen das Condorcet-Verfahren (paarweise Stichwahl über alle Paare von Alternativen) einen Zyklus zu Tage fördert, hat das die Folge, das unterschiedliche, wenn auch jeweils mit gutem Recht als demokratisch angesehene Wahlverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Riker führt mehrere solcher Verfahren und die sich aus ihnen ergebenden kollektiven Präferenzen an: Mehrheitswahlrecht: [FORMULA] Paarweiser Vergleich (Condorcet): [FORMULA] Borda Zählung (siehe Aufgabe ): [FORMULA] Wahl durch Zustimmung (zwei Stimmen): [FORMULA] Wahl durch Zustimmung (drei Stimmen): [FORMULA] Bei fünf unterschiedlichen Wahlsystemen gewinnt Douglas zweimal, sonst jedesmal ein anderer. Damit kann Riker seine These der Sinnlosigkeit der sozialen Wahl stützen (im Falle eines Ungleichgewichts und zugleich im Allgemeinen, wenn man mit Riker annimmt, dass solche Ungleichgewichte häufig vorkommen). Selbst wenn man nämlich die Lincoln-Wahl mit Hinweis auf das amerikanische Mehrheitswahlsystem, das bekanntermaßen zu starken Verzerrungen führen kann, kritisiert, so zeigt sich, wenn man Riker folgt, dass ein “besseres” Wahlsystem hier auch keine Abhilfe schafft, da unterschiedliche “bessere” Wahlsysteme zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, womit jedes Ergebnis als ein zufälliges Artefakt des jeweiligen Wahlsystems erscheint. Mackies Kritik an Rikers Analyse fällt ziemlich elaboriert aus. Das hängt damit zusammen, dass auch Mackie nicht um das Problem herum kommt, dass wir über keine zuverlässigen Daten über die vollen Präferenzen der Bürger bezüglich ihrer vier Kandidaten verfügen, die er aber ebenso benötigen würde, um Riker widerlegen zu können, wie Riker sie bräuchte, um seine These aufzustellen. Eine der wichtigsten Annahmen von Riker ist dabei die, dass die meisten Lincoln-Wähler Bell und nicht Douglas an die zweite Stelle setzten. Mackie zieht für seine, von Riker abweichende Schätzung, drei unterschiedliche Informationsquellen heran: 1. Das historische Wissen über die damals verbreiteten politischen Standpunkte. 2. Aggregierte Daten auf Landkreis, Staats- und Sektionsebene. 3. Die aus einer anderen Studie übernommenen Ergebnisse einer Umfrage unter Fachhistorikern dieser Epoche bezüglich der vermuteten Präferenzordnung der damaligen Wähler. mackie:2003 Im Ergebnis kommt Mackie dabei zu einer anderen Präferenzordnung aus der sich kein Zyklus der nach dem Condorcet-Verfahren abgeleiteten kollektiven Präferenzen mehr ergibt. Bis auf das Mehrheitswahlrecht, dessen Schwächen hinlänglich bekannt sind, liefern alle von Riker zum Vergleich herangezogenen Verfahren dasselbe Ergebnis: Douglas hätte die Wahl gewinnen müssen. Von einem Ungleichgewicht keine Spur. Um dieses Thema abzuschließen, könnte man angesichts der Tatsache, das Lincoln eine Wahl gewonnen hat, in der ein anderer Kandidat, nämlich Douglas, die meisten Stimmen erhielt, könnte man immer noch die Frage an Rikers These der “Zufälligkeit” demokratischer Entscheidungen angelehnte Frage aufwerfen, ob nicht der Bürgerkrieg auch ein Artefakt der amerikanischen Mehrheitswahlsystems gewesen ist. Oder anders gefragt: Was wäre geschehen, wenn Douglas die Wahl gewonnen hätte? Kontrafaktische historische Überlegungen sind immer eine heikle Sache, denn wir verfügen ebenso wenig über das Wissen, das uns ermöglichen würde, die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit alternativer Geschichtsverläufe zuverlässig einzuschätzen, wie wir die Geschichte vorher sagen können. Trotzdem sollen zu dieser Frage einige Überlegungen angeführt werden: 1. Die Polarisierung des Landes durch die Sklavereifrage, war nicht die Folge einer oder weniger einzelner, möglicherweise zufälliger politischer Entscheidungen, sondern einer ganzen Reihe von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Vorgängen. Insofern war sie für eine gewisse Zeit eine relativ stabile Konstante der amerikanischen Politik. 2. Douglas vertrat in der Sklavereifrage die Doktrin der “popular souvereignity”, der zufolge die neu hinzugekommenen Territorien darüber auf lokaler Ebene selbst entscheiden sollten. Diese Politik hatten auch die meisten Präsidenten vor Lincoln verfolgt, in der Hoffnung durch diese sehr politische Haltung die Wogen glätten und die Streitfrage auf Bundesebene entschärfen zu können. Diese Hoffnung hatte sich schon vorher als trügerisch erwiesen. Am Vorabend der Wahl waren die Südstaatler kaum noch bereit, sich mit dem vermittelnden Standpunkt Douglas’ zufrieden zu geben, was auch daran deutlich wird, dass die Southern Democrats mit Breckinridge einen Kandidaten aufstellten, der einen viel entschiedeneren Pro-Sklaverei Standpunkt vertrat. Insofern ist es fragwürdig ob Douglas als Gewinner der Wahl die Sezession der Südstaaten hätte verhindern können. 3. Letzteres gilt umso mehr als Lincoln die Bereitschaft signalisierte, den Südstaaten weitgehend entgegen zu kommen, auch in der Sklavereifrage. Nur an einer Forderung hielt er unverbrüchlich fest: Die Sezessionisten müssten sich wieder in die Union eingliedern. Wenn diese – natürlich sehr spekulativen – Überlegungen stimmen, dann hätte ein anderes Wahlsystem (und damit ein anderer Präsident) an der Sezession und dem darauf folgenden Bürgerkrieg nichts geändert. Der weitere Verlauf der amerikanischen Geschichte wäre dann in jedem Fall kein “zufälliges” Artefakt des Wahlsystems mehr gewesen. Fazit Wie wir gesehen haben ist weder die Kritik der identären Demokratie noch die These des “demokratischen Irrationalismus”, soweit sich beide auf Ergebnisse des Public Choice Ansatzes wie etwa den Satz von Arrow stützen, besonders überzeugend. Insbesondere bei der empirischen Anwednung seiner Ergebnisse zeigt der Public Choice Ansatz bisher noch erhebliche Schwächen. Insofern dies, wie bei Riker, sehr häufig auch mit handwerklicher Schlamperei zu tun hat, besteht natürlich Hoffnung, dass sich dies bei einer umsichtigeren Interpretation und Anwendnung der Ergebnisse noch ändern könnte. Gerry Mackie, auf dessen Kritik an Riker ich hier zurückgegriffen habe, versteht sich selbst deshalb auch nicht als Kritiker des Public Choice Ansatzes, sondern möchte der politik- und demokratieskeptischen Sichtweise einen “konstruktiven” Public-Choice Ansatz entgegenstellen, bei dem nicht unter Berufung auf Arrow die Demokratie grundsätzlich in Frage gestellt wird, sondern die Social Choice bzw. Public Choice Theorie genutzt wird, um für unterschiedliche Situationen möglichst optimale demokratische Abstimmungs- und Verfahrensweisen zu entwerfen. Der Satz von Arrow zeigt, dass dies ganz ohne Kompromisse nicht möglich ist, aber gerade das macht die Aufgabe spannend. Meine eigene Meinung über Public Choice ist etwas skeptischer: Der Ansatz mag für Spezialthemen, wie die Analyse von Wahlsystemen geeignet sein. Abgesehen davon ist er weder für die Politikwissenschaft noch für die politische Philosophie besonders relevant, ganz einfach, weil sich die meisten Vorgänge in der Politik mit dem Begriffsrepertoire von Public Choice überhaupt nicht angemessen erfassen und artikulieren lassen. Wer etwas über politische Philosophie oder darüber, nach welchen Gesetzen Politik abläuft, sollte nach den Werken aus dem Bereich “Public Choice” deshalb höchstens als allerletztes greifen. Aber natürlich kann man auch eine andere Meinung dazu vertreten. Und wer mehr über die gegenteilige Meinung erfahren möchte, der kann zum Beispiel zu den Werken von Riker riker:1982 oder dem Public-Choice-Kompendium von Dennis Muellermueller:2003 greifen. Um sich über den methodischen Wert von Public Choice ein Bild zu machen empfehle ich als Vergleich, besonders zu Riker, die Lektüre eines Werkes wie Govanni Sartories “Demokratietheorie” sartori:1987. Es bietet sich zum Vergleich deshalb besonders an, weil der Autor politisch eine ähnliche liberale Richtung vertritt wie Riker, weil das Werk in derselben Zeit wie Rikers wichtigste Bücher entstanden ist, und weil es andererseits aber auf die Formalismen des Public Choice Ansatzes völlig verzichtet und statt dessen einen rein verbalen Diskurs über die Themen Demokratie und Liberalismus führt. Unnötig zu sagen, dass ich das Buch Sartoris für viel gehaltvoller und dessen politikphilosophischen statt des mathematischen-formalen Ansatzes inhaltlich für sehr viel fruchtbarer halte. Aber darüber ist jeder aufgerufen, sich eine eigene Meinung bilden.