„Was ist politische Realität?“ (Anamnesis - Teil III)

„Was ist politische Realität?“ (Anamnesis - Teil III)

Der Aufsatz „Was ist politische Realität?“, mit dem Voegelin sein Werk „Anamnesis“ beschließt, stellt eine umfassende Grundsatzarbeitet über das Wesen politischer Realität, so wie Voegelin es sah, und die Grundlagen einer diese Realität adäquat beschreibenden Politikwissenschaft dar. Der Aufbau und die Argumentation des Aufsatzes sind einigermaßen verwickelt, denn obwohl Voegelin im Vorwort zu „Anamnesis“ diesem Aufsatz „eine umfassende und vorerst befriedigende Neuformulierung der Philosophie des Bewußtseins“1Voegelin, Anamnesis, S. 8. attestiert, verraten häufige Wiederholungen, begriffliche Unklarheiten und gelegentliche Selbstkorrekturen innerhalb des Aufsatzes, dass sich Voegelin seiner Sache keineswegs sicher war. Daher gebe ich zunächst eine kurze Übersicht über die wichtigsten Themenkomplexe, die sich aus Voegelins Aufsatz extrahieren lassen, bevor dessen Inhalt im Einzelnen dargestellt und kritisiert wird.

Der wohl wichtigste Themenkomplex dieses Aufsatzes bezieht sich auf den Begriff der Realität. „Realität“ ist bei Voegelin ein Inbegriff absoluter metaphysischer Wahrheiten, die die Welt im Ganzen und die Stellung des Menschen in der Welt betreffen. Das Wissen um diese metaphysischen Wahrheiten („Ordnungswissen“) wird dem Menschen durch ein inneres Gefühl („Ordnungserfahrung“) vermittelt. Eine politische Ordnung kann nur dann eine gute politische Ordnung sein, wenn sie sich auf dieses Ordnungswissen gründet.

Der zweite Themenkomplex betrifft Voegelins sprachphilosophische Ausführungen. Voegelin war der Ansicht, dass die Wörter, mit denen die Ordnungserfahrung artikuliert wird, sich nicht wie gewöhnliche Wörter auf etwas Gegebenes beziehen, das ihre Bedeutung ist, sondern dass sie „Indizes“ sind, die etwas über die innere Verfassung und über besondere Erfahrungen des Bewusstseins vermelden.

Der dritte Themenkomplex behandelt die Beziehungen, die zwischen unterschiedlich niveauvollen Formen des Ordnungswissens bestehen. Voegelin zufolge können die Ordnungserfahrungen in einzelnen Fällen klarer oder weniger klar und damit das ihnen korrespondierende Ordnungswissen niveauvoller („differenzierter“) oder weniger niveauvoll („kompakter“) ausfallen.2Siehe auch die Ausführungen zu den Begriffen der Kompaktheit und Differenziertheit in Kapitel . Dennoch betreffen sie stets dieselbe Realität. Voegelin glaubt, dass es eine geschichtliche Entwicklung von einem kompakteren zu einem immer differenzierteren „Ordnungswissen“ gibt.

Der vierte Themenkomplex bezieht sich auf den Verlust und das tragische In-Vergessenheit-Geraten des Ordnungswissens. Voegelin unterscheidet nicht nur zwischen kompaktem und differenziertem Ordnungswissen, sondern auch zwischen Philosophien, die überhaupt Ausdruck von Ordnungserfahrungen sind, und solchen Philosophien, die lediglich aus dogmatischer Begriffsklauberei und leerer Spekulation bestehen. Zwar bleibt die Realität immer dieselbe, aber sie kann in Vergessenheit geraten und das Ordnungswissen schlimmstenfalls durch Ideologien verdrängt werden. Voegelin bezeichnet dieses Phänomen als „Realitätsverlust“, und er hält es für die Ursache von politischen Katastrophen wie z.B. den Totalitarismus.

A. Naturwissenschaft und Politikwissenschaft

Im einleitenden Teil seines Aufsatzes stellt Voegelin die Behauptung auf, dass die Politische Wissenschaft von einer fundamental anderen Art sei als die Naturwissenschaften, so dass die Politikwissenschaft nach Voegelins Ansicht nicht zu einem durchgängig logisch zusammenhängenden System von Aussagen ausgebaut werden kann. Die Gründe hierfür sind für Voegelin prinzipieller Natur: 1. Der Gegenstandsbereich der Politikwissenschaft ist bereits durch nicht-wissenschaftliche Interpretationen besetzt. 2. Der Gegenstand (Politik) wird durch Interpretationen des Gegenstandes selbst geformt. 3. Unterschiedliche Interpretationen der Politik, seien sie nun wissenschaftlicher oder unwissenschaftlicher Art, streiten einander ihren Wahrheitsanspruch ab und betrachten sich gegenseitig nur als Störfaktor innerhalb des Gegenstandsbereiches, indem sie beispielsweise gegen die jeweils andere Interpretation den Ideologievorwurf erheben.3Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 284-285.

Aus all dem schließt Voegelin, dass die Beziehung von Wissen und Gegenstand in der Politikwissenschaft von grundsätzlich anderer Art ist als in den Naturwissenschaften und dass daher die Politikwissenschaft auch eine besondere Art von Wissen hervorbringen muss, welches Voegelin als „noetische Interpretation“ bezeichnet.4Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 287.

Die Gründe, die Voegelin andeutet, legen jedoch nur sehr bedingt die Konsequenz der Wesensverschiedenheit von Politikwissenschaft und Naturwissenschaft nahe.5Ich untersuche hier nur die Gründe, die Voegelin für diese These anführt. Eine Untersuchung, ob diese These, für die gewiss bessere Argumente ins Feld geführt werden können, grundsätzlich richtig ist, würde an dieser Stelle zu weit führen. Für die jüngere Diskussion dazu vgl. Shapiro, Flight from Reality, a.a.O. Der erste Grund gibt eine Bedingung wieder, die in genau derselben Weise auch für die Naturwissenschaft gilt, stößt sie doch ebenfalls auf schon vorhandene Deutungen der Natur, bei denen es sich, je nachdem, um praktisch nützliche Kenntnisse oder um abergläubische Vorstellungen handeln kann. Der dritte Grund besagt lediglich, dass es bei den Deutungen der Politik anders als innerhalb der Naturwissenschaften nicht nur eine durch unterschiedliche wissenschaftliche Lager, sondern auch eine durch unterschiedliche politische Lager bestimmte Konkurrenz gibt. Zudem kann man wohl konstatieren, dass die Lagerkämpfe in den Gesellschaftswissenschaften zuweilen noch etwas unversöhnlicher ausgetragen werden als in den Naturwissenschaften, weil es in den Gesellschaftswissenschaften viel schwieriger ist, empirisch zwischen konkurrierenden Theorien zu entscheiden. Auch haben politikwissenschaftliche Theorien typischerweise einen weniger formalen und deduktiven Stil und Charakter als naturwissenschaftliche Theorien. Es würde jedoch zu weit gehen, aus diesen Unterschieden zu folgern, dass die Politikwissenschaft ein grundsätzlich anderer Typus von Wissenschaft ist als die Naturwissenschaften. Allein der zweite Grund könnte diese Konsequenz rechtfertigen. Allerdings erläutert Voegelin weder, ob und wie infolge dieser Selbstbezüglichkeit die konventionelle Theoriebildung Gefahr läuft zu scheitern, noch zeigt er, wie die „noetische Interpretation“ derartige Probleme vermeidet. Aus dem ersten Teil von Voegelins Aufsatz ergeben sich also keine stichhaltigen Gründe für die Vorteile oder die Notwendigkeit des noetischen Verfahrens.

B. Voegelins Begriff der Realität

Im zweiten Teil seines Aufsatzes beschäftigt sich Voegelin mit dem Wesen und der Rolle der noetischen Interpretation. Voegelin beginnt zunächst mit einigen dogmatischen Voraussetzungen über den Ursprung politischer Ordnung. Dann entwickelt er am Beispiel des Aristoteles den Begriff der „noetischen Exegese“ der Realitätserfahrung und versucht die komplizierte Beziehung zwischen der noetischen Exegese und der vergleichsweise primitiveren mythischen Auslegung zu bestimmen. Darauf geht Voegelin auf die Schwächen der aristotelischen Philosophie ein und leitet zu seiner eigenen Fortführung der aristotelischen Exegese über, in deren Zentrum ein höchst eigentümlicher Begriff der „Realität“ steht. Schließlich geht Voegelin auf das Thema des „Realitätsverlustes“ und der seiner Ansicht nach daraus resultierenden politischen Unordnung ein.

1. Die „Spannung zum Grund“ als Ursprung der Ordnung

Politische Ordnung entspringt Voegelin zufolge in letzter Instanz einer inneren Erfahrung des Menschen, der Erfahrung, geordnet zu sein „durch die Spannung zum göttlichen Grund seiner Existenz“.6Voegelin, Anamnesis, S. 287. Von dieser Erfahrung „strahlen“ in einer nicht näher spezifizierten Weise „die Interpretationen gesellschaftlicher Ordnung aus“.7Voegelin, Anamnesis, S. 287. Da diese Erfahrung nicht gegenständlich ist (ähnlich, vermutlich, wie auch eine Stimmung oder das Lebensgefühl eines Menschen nicht gegenständlich sind), kann es „kein sogenanntes intersubjektives Wissen“8Voegelin, Anamnesis, S. 287. von der richtigen Ordnung geben, was Voegelin später jedoch nicht im Geringsten daran hindert, strikt auf der intersubjektiven Verbindlichkeit dieser Ordnung zu bestehen.9Vgl. beispielsweise Voegelin, Anamnesis, S. 348-350. Im Ringen um einen angemessenen Ausdruck für diese innere Erfahrung, welches Anlass für die verschiedensten Interpretationen der richtigen Ordnung gibt, erblickt Voegelin den Ursprung von „Spannungen in der politischen Realität“.10Voegelin, Anamnesis, S. 288. So vielfältig die Interpretationen der Ordnung auch sind, so ist ihnen doch gemeinsam, dass sie alle nur von einem Grund der Ordnung ausgehen, selbst dann, wenn, wie zur Zeit des Aristoteles, das Faktum einer Interpretationsvielfalt schon bekannt ist. Daraus schließt Voegelin, dass es auch tatsächlich nur einen Ordnungsgrund gibt. Dieser Schluss ist jedoch aus mehreren Gründen fragwürdig: Erstens lässt sich der Befund des Glaubens an einen einzigen (transzendenten) Grund schwer mit polytheistischen Religionen oder mit naturphilosophischen Elementelehren, die mehr als ein Element annehmen (z.B. die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft bei Empedokles), vereinbaren.11Es kann berechtigterweise in Zweifel gezogen werden, ob es bei den Elementelehren der Vorsokratiker um die Bestimmung eines Ordnungs-grundes geht. Aber im Zusammenhang der Voegelinschen Interpretation der Philosophiegeschichte wäre diese Annahme konsequent. Zweitens unterscheiden sich die Interpretationen, die einen einzigen Grund annehmen, zum Teil sehr stark voneinander hinsichtlich der Eigenschaften dieses Grundes. Es bleibt daher sehr fraglich, ob in den unterschiedlichen Interpretionen derselbe Grund gemeint ist. Drittens folgt daraus, dass es den Glauben an einen einzigen Grund gibt, weder dass dieser Grund existiert, noch dass es auch in Wirklichkeit nur ein einziger ist.

2. Die „noetische“ Exegese bei Aristoteles

Voegelin geht nun in einiger Ausführlichkeit auf die Metaphysik des Aristoteles ein. Aristoteles hat nach Voegelins Auf\/fassung als einer der ersten Philosophen eine umfassende „noetische Exegese“ des Bewusstseins geliefert. Die „noetische Exegese“ folgt historisch auf die rein mythische Deutung der Ordnung. Sie entsteht, wenn das Bewusstsein des Menschen entdeckt und infolge dessen der Grund der Ordnung in der inneren Erfahrung und nicht mehr im Kosmos gesucht wird. Die Auslegung der Bewusstseinserfahrung ist es, was Voegelin „noetische Exegese“ nennt.12Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 288. Wörtlich spricht Voegelin davon, dass die „noetische Exegese“ den „Logos“ des Bewusstseins auslegt. Woraus entspringt das Bedürfnis nach einer noetischen Exegese? Voegelins Aristoteles-Interpretation zufolge lebt der Mensch, der den Grund seiner Existenz nicht kennt, in einem Zustand der Angst.13Dass Aristoteles nicht eigentlich von „Angst“ spricht, erklärt Voegelin kurzerhand damit, dass es in der griechischen Sprache kein entsprechendes Wort gegeben habe. (Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 288.) An dieser Stelle lässt sich der Eindruck schwer vermeiden, dass Voegelin in anachronistischer Weise einen Schlüsselbegriff des modernen Existentialismus in die Deutung der klassischen Philosophie hineinträgt. Diese Angst ist zugleich eine metaphysisch sehr informative Angst, denn sie enthält „das Wissen des Menschen um seine Existenz aus einem Seinsgrund, der nicht der Mensch selbst ist.“14Voegelin, Anamnesis, S. 289. Nun möchte der Mensch diesen Seinsgrund verständlicherweise näher kennenlernen. Deshalb strebt er nach Wissen. Dieses Streben hat die Form eines suchenden Begehrens, es hat die Richtung auf den Seinsgrund hin, und es wird am anderen Ende vom Seinsgrund durch eine eigenständige Anziehungskraft – über die dieser gemäß Aristoteles verfügt – unterstützt. Die Richtung dieser Suche bezeichnet Voegelin als „Ratio“. Unter „rational“ versteht Voegelin daher völlig abweichend vom üblichen Wortgebrauch in etwa das, was Bergson (nach Voegelins Interpretation) mit der „Offenheit der Seele“ meint, also eine besonders ausgeprägte spirituelle Sensibilität.15 Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 289. – Vgl. auch Eric Voegelin: In Search of the Ground, in: Conversations with Eric Voegelin. (ed. R. Eric O’Connor), Montreal 1980, S. 1-20 (S. 4-5). – Hier führt Voegelin anhand von Aristoteles aus, dass von Rationalität nur die Rede sein kann, wenn nicht bloß das Mittel in Bezug auf den Zweck sondern auch der Zweck selbst rational ist, wozu die Zweck-Mittel-Ketten irgendwann einmal zum Nous (göttlicher Geist) als dem höchsten Zweck führen müssen. Dieses Argument liefert zwar eine Definition von Nous, beweist aber weder dessen Existenz noch die Identität des so definierten Nous mit dem transzendenten Seinsgrund, der sich (mutmaßlich) in mystischen Erfahrungen zeigt. – Auf das Grundproblem, welches die legitime Bedeutung umstrittener Ausdrücke wie z.B. „Ratio“ ist, kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Zwei Anmerkungen erscheinen mir jedoch angesichts der von Voegelin verfolgten semantischen Strategie notwendig: 1. Die legitime Wortbedeutung ist nicht notwendigerweise die historisch ursprünglichste Bedeutung dieses Wortes, da sich auch Wörter und Begriffe entwickeln können. Daher wäre es falsch zu sagen: Aristoteles hat als erster von „Ratio“ gesprochen, also müssen wir uns an das halten, was Aristoteles damit gemeint hat. 2. Wenn man ein Wort in einer anderen als der üblichen Bedeutung verwenden will, so muss man entweder darauf achten, die neue Bedeutung so zu wählen, dass das semantische Feld des Wortes erhalten bleibt (z.B. rational ist immer etwas, was jedermann durch Nachdenken einsichtig werden kann), oder man muss das gesamte semantische Feld abändern, was möglicherweise eine Lawine von Redefinitionen nach sich zieht. Bei beiden Punkten spielt es keine Rolle, wie fehlgeleitet der herrschende Sprachgebrauch ist. Im übrigen ist immer Abhilfe durch die Einführung neuer Begriffe möglich. Voegelin führt nun noch weiter aus, wie sich bei Aristoteles die Beziehung zwischen menschlichem Wissen und göttlichem Seinsgrund als eine Form von „Partizipation“, d.i. der Teilhabe des Menschen am göttlichen Seinsgrund, darstellt. Obwohl Voegelin den Begriff der Partizipation im folgenden für seine eigenen Überlegungen übernimmt, werden weder die genaue Bedeutung dieses Begriffes noch die Bedingungen der Möglichkeit eines derartigen Vorgangs von Voegelin näher bestimmt. Der Verzicht auf die Klärung dieses Begriffes ist um so verwunderlicher, als Voegelin feststellt, dass in Aristoteles’ Überlegungen an dieser Stelle noch sehr massiv mythische Denkweisen Eingang gefunden haben. Diese Feststellung führt Voegelin zu einem neuen Thema, nämlich der grundsätzlichen Frage nach der Beziehung von Mythos und noetischer Exegese. Voegelin zufolge beruht der Mythos auf einem eigenen Typ von Welterfahrung, den er im Gegensatz zur noetischen Erfahrung als „Primärerfahrung“ bezeichnet. Für gewöhnlich ersetzt bzw. „differenziert“ die noetische Erfahrung die Primärerfahrung. Aber es gibt eine Ausnahme, bei der dies, wie Voegelin meint, nicht möglich ist: Die Erfahrung der Wesensgleichheit aller Menschen. Diese Ausnahme berührt zugleich eines der Fundamentalprobleme der gesamten philosophischen Konzeption Voegelins, nämlich das Problem, wie die noetischen Erfahrungen, obwohl sie kein intersubjektives Wissen zulassen‚16Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 287. dennoch für alle Menschen gültig sein können. Nach Voegelins Ansicht geht die universelle Gültigkeit noetischer Erfahrung aus der Wesensgleichheit aller Menschen hervor, welche ihrerseits Gegenstand der mythischen Primärerfahrung ist. Offensichtlich ist die Ersetzung dieser Primärerfahrung durch eine noetische Erfahrung nicht möglich, denn dies würde zu einem Begründungszirkel führen. Voegelin übersieht, wenn er so argumentiert, jedoch mehrere Schwierigkeiten: Erstens würde das Problem der Universalität der noetischen Erfahrung nur auf das Problem der Universalität des Mythos verschoben werden, so dass sich auf einer anderen Ebene genau dasselbe Gültigkeitsproblem wieder stellt. Zweitens folgt aus der grundsätzlichen Wesensgleichheit aller Menschen nicht, dass die Menschen auch hinsichtlich ihrer religiösen Erfahrungen gleich sind, oder dass die religiöse Erfahrung eines Menschen verbindlich für einen anderen Menschen sein kann. Drittens lässt sich die Wesensgleichheit aller Menschen prinzipiell nicht mythisch begründen, denn Mythen können höchstens etwas veranschaulichen aber niemals begründen. Doch damit ist noch nicht alles über den komplizierten Zusammenhang von noetischer Exegese und Mythos gesagt. Wird versucht, die tieferen Beziehungen dieser beiden Auslegungsweisen zu einander und zur Wirklichkeit zu ergründen, so findet man sich Voegelin zufolge zunächst vor einer Reihe von Aporien wieder, die aufgelöst werden müssen: Die erste Aporie beruht darauf, dass sowohl die noetische Erfahrung als auch andere Auslegungsweisen, seien sie nun mythischer oder dichterischer oder philosophischer Art, Formen der Partizipation darstellen. Gleichzeitig wird das Wort „Partizipation“ aber auch als Selbstbezeichnung allein der noetischen Erfahrung verwendet. Voegelin übersieht, dass hier offenbar ein Wort in zweierlei Bedeutung gebraucht wird. Anstatt durch die Einführung eines neuen Wortes oder durch ein qualifizierendes Adjektiv Klarheit zu schaffen‚17Dazu ist es keineswegs notwendig, wie Voegelin unter (2) (Anamnesis, S. 292.) sagt, „das Partizipieren des Philosophen ... von den anderen Fällen zu dissoziieren und ihm kognitive Qualität zuzuschreiben“. Zum „Dissoziieren“ genügt es hinsichtlich des von Voegelin aufgeworfenen logischen Problems, dass die Fälle überhaupt unterschieden werden können, was offenbar gegeben ist, denn wenn zwischen noetischer und nicht-noetischer Auslegung unterschieden werden kann, dann kann auch zwischen noetischer Auslegung und der Klasse unterschieden werden, die die noetische und nicht-noetische Auslegung (und möglicherweise noch weitere Übergangsformen) enthält. zieht Voegelin die falsche Schlussfolgerung, dass die Partizipation als Spezies unter sich selbst als Genus fiele. Voegelin krönt seinen logischen Fehler durch die kategorische Feststellung, dass „die Logik der Gegenstände und ihrer Klassifikation“18Voegelin, Anamnesis, S. 293. nicht auf den Realitätsbereich des Partizipierens anwendbar sei. Übrigens glaubte Voegelin auch sonst recht häufig, vor einem tieferen Rätsel zu stehen, wenn er in Wirklichkeit bloß mehrdeutige Ausdrücke vor sich hatte. Als ein Opfer seiner anti-nominalistischen Vorurteile erkannte er in diesen Vieldeutigkeiten nicht eine sprachliche Ungenauigkeit, wie sie durch eine saubere begriffliche Unterscheidung leicht bereinigt werden kann, sondern er vermutete in derartigen Vieldeutigkeiten oftmals einen tieferen Sinn und damit ein schwieriges philosophisches Problem‚19An prominenter Stelle liefert dafür die Diskussion des Begriffes der Geschichte in „Order and History I“ ein Beispiel. (Vgl. Voegelin, Order and History I, S. 126-133.) Voegelin hätte sich einen Großteil seiner mühevollen Erörterungen sparen können, wenn er von vornherein klar zwischen Geschichte und Geschichtsbewusstsein bzw. zwischen Geschichte und religiöser Heilsgeschichte unterschieden hätte. Denn es ist durchaus nichts Absurdes daran zu sagen, dass die alten Ägypter, wie jedes Volk, eine Geschichte hatten aber keine Heilsgeschichte wie das Volk Israel, während es in der Tat falsch wäre zu behaupten, Israel habe eine Geschichte, Ägypten aber nicht. während es sich in Wirklichkeit bloß um den klassischen Fall eines philosophischen Scheinproblems handelt.

Trotz der völlig misslungenen Herleitung seines Gedankens lässt sich aus Voegelins Worten immerhin entnehmen, worauf er hinaus will. Im Folgenden versteht Voegelin das Wort „vergegenständlichen“ nicht mehr im Sinne von „klassifizieren“, sondern im Sinne von „zum Gegenstand einer Untersuchung machen“. Diese Form von Vergegenständlichung ist eine Voraussetzung wissenschaftlicher Erkenntnis, aber sie schneidet gleichzeitig die Möglichkeit eines existentiellen Verstehens ab.20Voegelin scheint hier einen Verstehensbegriff zu Grunde zu legen, wie er sich z.B. auch bei Karl Jaspers als Begriff der „existenziellen Kommunikation“ findet. Vgl. Jaspers, Philosophie II, S. 51, S. 58. – Vgl. auch Jeanne Hersch: Karl Jaspers. Eine Einführung in sein Werk, 4. Aufl., München 1990, S. 31-35. – Es gibt zahlreiche Berührungspunkte zwischen dem Denken Voegelins und der Philosophie Jaspers’, auf die hier jedoch nicht ausführlich eingegangen werden kann. Einige Bemerkungen über die nicht weniger gravierenden Unterschiede sind jedoch dringend angebracht: Bei Voegelin wird die Existenzphilosophie um eine politische Militanz verschärft, die geeignet ist, einige ihrer Botschaften geradezu ins Gegenteil zu verkehren. So glaubt Voegelin, die Öffnung zur Transzendenz ebenso einfordern zu können wie die existentielle Kommunikation, die zudem auf Basis von Bedingungen zu erfolgen hat, welche Voegelin vorschreibt (Anerkennung der Existenz des und einer liebenden Beziehung zum transzendenten Sein). Das Scheitern der existenziellen Kommunikation auf Basis der geöffneten Seele bedeutet für Voegelin nicht bloß ein existenzielles Misslingen von individueller Tragik, sondern es begründet – wenn man Voegelins Polemik ernst nimmt, wie es u.a. Poirier tut (Vgl. Poirier, a.a.O.) – den Vorwurf eines schuldhaften Vergehens, welches in letzter Instanz die politische Untragbarkeit des Scheiternden nach sich zieht. Hieraus ergibt sich für Voegelin, dass die noetische und die nicht-noetische Auslegung sich nicht gegenseitig „vergegenständlichen“ können, ohne dass etwas dabei verloren ginge, weil beide Formen des Partizipierens und damit derselben existentiellen Betroffenheit sind, die aus der Berührung mit der Transzendenz hervorgeht. Aus dem Blickwinkel der noetischen Auslegung darf also anderen Auslegungsformen der Rang der Partizipation nicht abgesprochen werden. Aber auch wenn der Mythos daher nicht gänzlich der Unwahrheit verfällt, so wird doch, wie Voegelin meint, aus der noetischen Exegese heraus ein Wahrheitsgefälle sichtbar. Die Entwicklung von niederer Wahrheit zu höherer Wahrheit nennt Voegelin das „Feld der Geschichte“. Diese Entwicklung findet zunächst im Bewusstsein einzelner Menschen statt, die eine vollkommenere Ausdrucksform für die Partizipation und damit eine höhere Wahrheit finden. Da diese neue Ausdrucksform jedoch zur Infragestellung nicht bloß der bisherigen persönlichen Überzeugungen des Denkers, sondern auch der gesellschaftlich tradierten Ausdrucksformen führt, erlangt sie gesellschaftliche Bedeutung.21Vgl. Voegelin, S. 294. Diesen komplexen Beziehungen zwischen noetischer Exegese und anderen Auslegungsformen versucht Voegelin nun bei Aristoteles nachzuspüren. Aristoteles nimmt in seiner Metaphysik auf zwei geistige Traditionen Bezug: Auf die Mythologie und auf die Philosophie von den Vorsokratikern bis Platon. Üblicherweise werden diese beiden Traditionen als zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Diskurstypen innerhalb der hellenischen Geisteskultur betrachtet, wobei die Philosophie der Vorsokratiker demselben nicht-mythischen Diskurstyp zugehört wie die der späteren Philosophen einschließlich Platon und Aristoteles. Diese Sichtweise entspricht ja auch der Selbstwahrnehmung der antiken griechischen Philosophen einschließlich des Aristoteles.22Vgl. Luc Brisson: Einführung in die Philosophie des Mythos. Antike, Mittelalter und Renaissance. Band I, Darmstadt 1996, S. 13-19 / S. 52-53. Und Voegelin leugnet keineswegs, dass Aristoteles sich mit den Vorsokratikern auf einer argumentativ-diskursiven Ebene auseinandersetzt. Aber Voegelin glaubt, Aristoteles in diesem Punkt besser als dieser sich selbst zu verstehen, und hält ihm daher für sein „ ‘Sich-Einlassen’ “23Voegelin, Anamnesis, S. 296. auf eine argumentative Auseinandersetzung mit den Vorsoktratikern einen Mangel an Exaktheit vor. Für Voegelin hat Aristoteles nämlich nicht gebührend berücksichtigt, dass er selbst sich bereits auf einer höheren Stufe der „Bewußtseinshelle“ befand, während die Vorsokratiker nur über ein „Partizipationswissen geringerer Deutlichkeit“24Ebd. verfügten. Im Grunde hätte Aristoteles es nämlich gar nicht nötig gehabt, den Ansichten der Vorsokratiker Argumente entgegenzusetzen, da er ja „weiß .., daß in seiner noetischen Erfahrung der Nous das adäquate Symbol für den Grund ist, und .. sich diese Wahrheit daher nicht durch ein Argument zu beweisen [braucht].“25Ebd.

Während für Voegelin also Aristoteles (und Platon) von den Vorsokratikern durch eine Erfahrungsstufe getrennt sind, scheint ihm der Unterschied zwischen Philosophie und Mythos andererseits weniger fundamental. Auf allen Stufen, vom Mythos über die Vorsokratiker bis zu Aristoteles, geht es Voegelin zufolge um eine Erfahrung der „Partizipation“ und um deren Artikulation in Symbolen. Was sich von Stufe zu Stufe (also zunächst von der Stufe des Mythos zu der der vorsokratischen Philosophie und dann von dieser zur Platonisch-Aristotelischen) ändert, ist die Erfahrung, die von Mal zu Mal „differenzierter“ wird. Durch diese Steigerung entsteht die Geschichte. Und zwar entsteht dabei nicht, wie man denken könnte, irgendeine bestimmte Geschichte, etwa die Geschichte der religiösen oder philosophischen „Erfahrungen“, sondern es entsteht die Geschichte schlechthin, denn Geschichte wird „durch das Bewußtsein konstituiert, so daß der Logos des Bewußtseins darüber entscheidet, was geschichtlich relevant ist, und was nicht.“26Voegelin, Anamnesis, S. 299. Voegelin fügt hinzu, dass die Zeit, in der sich die Geschichte abspielt, keineswegs „die der Außenwelt ist, ... sondern die dem Bewußtsein immanente Dimension des Begehrens und Suchens nach dem Grund.“27Ebd. Da ferner alle Menschen nach dem Grund suchen, ist die solcherart durch das Bewusstsein konstituierte Geschichte „universell-menschlich“28Ebd.. Es fällt schwer, diese Äußerungen über die Geschichte nachzuvollziehen. Denn entweder man versteht sie als Aussagen über das, was konventionellerweise als Geschichte bezeichnet wird, also etwa über die politische Geschichte. Dann sind Voegelins Aussagen schlicht falsch, denn die politische Geschichte spielt sich natürlich in der äußeren Zeit ab, und der „Logos des Bewußtseins“ kann so wenig über das entscheiden, was geschichtlich relevant ist, wie er über das entscheiden kann, was geschehen ist. Oder man versteht Voegelins Äußerungen als Definition von „Geschichte“. Dann bleibt die so definierte Geschichte jedoch für alle, die nicht Anhänger der Voegelinschen oder einer ähnlichen Philosophie sind, völlig irrelevant. „Universell-menschlich“ ist diese Geschichte höchstens ihrem eigenen Anspruch nach, ähnlich, wie auch manche Religionen sich selbst als „universell-menschlich“ verstehen, ohne es jedoch, da es ihrer eine Vielzahl gibt, jemals wirklich zu sein.

3. Der Begriff der politischen Realität

Voegelin leitet nun mit einer Kritik an Aristoteles über zu seiner eigenen noetischen Exegese. Die größte Schwäche von Aristoteles’ noetischer Exegese erblickt Voegelin darin, dass Aristoteles an zentraler Stelle immer wieder auf den sehr missverständlichen Ausdruck „Ousia“ zurückgreift. Voegelin zufolge ist dieser Ausdruck noch der mythischen Primärerfahrung verhaftet und bezieht sich auf die „fraglos, selbstverständlich und überzeugend uns entgegentretende Wirklichkeit der ‘Dinge’ “.29Voegelin, Anamnesis, S. 301. Dieser mythische Überhang, den Voegelin in diesem Falle offenbar nicht wie im Falle der mythisch begründeten Wesensgleichheit aller Menschen für sachlich notwendig hält, rächte sich historisch, indem spätere Philosophen, bei welchen die noetische Erfahrung so weit in den Vordergrund gerückt war, dass die mythische Primärerfahrung fast völlig verblassen musste, die aristotelische „Ousia“ als Gegenstandsbezeichnung missverstanden und begrifflich-philosophische Spekulationen daran knüpften. Das Missverständnis des Aristoteles ist Voegelin zufolge die Ursache für den theologischen und philosophischen Dogmenstreit über Fragen wie die der Unsterblichkeit der Seele, der Beweisbarkeit der Existenz Gottes oder der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt. Das historische Unheil vollendet sich für Voegelin mit der Aufklärung und dem Positivismus, die nicht nur, was noch zu rechtfertigen wäre, die dogmatischen Argumente der mittelalterlichen Philosophie angreifen, sondern die auch die höhere Realität des Partizipierens des Menschen am transzendenten Seinsgrund leugnen. Dies zieht nach Voegelins Überzeugung auf individueller Ebene die psychopathologische Erscheinung des „realitätslosen Existierens“ und auf gesellschaftlicher Ebene den Totalitarismus nach sich. Voegelin illustriert diese Zusammenhänge mit einzelnen Beispielen aus der schönen Literatur, worin Wirklichkeitsverlust und Sprachlosigkeit thematisiert werden.30Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 302-303.

Wenn die noetische Exegese des Aristoteles also in einigen Punkten noch unvollkommen oder wenigstens missverständlich ist, dann stellt sich natürlich die Frage, wie sie besser durchgeführt werden kann. Voegelin versucht dies, indem er statt der problematischen „Ousia“ des Aristoteles den Begriff der Realität in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. „Realität“ wird gewöhnlicherweise als der Inbegriff all dessen verstanden, was tatsächlich vorhanden ist, im Gegensatz zu dem, was bloß in der Vorstellung oder der Phantasie existiert. Voegelin gebraucht dieses Wort in einem anderen Sinne. Für ihn ist „Realität“ ein Inbegriff bestimmter metaphysischer Seinszusammenhänge, die er in dem Satz zusammenfasst: „Eine Realität, genannt Mensch, bezieht sich, innerhalb eines umgreifend Realen, durch die Realität des Partizipierens, genannt Bewusstsein, erfahrungs- und bildhaft auf die Termini des Partizipierens als Realitäten“.31Voegelin, Anamnesis, S. 304. Der wesentliche Teil dieser Aussage liegt in dem Wort „Partizipieren“ und darin, dass zu den „Termini des Partizipierens“ (denjenigen Dingen, die aneinander partizipieren) auch der „göttliche Grund“ gehört, dessen Existenz Voegelin, wie üblich, ohne weitere Begründung als vermeintliches Erfahrungsfaktum voraussetzt. Weiterhin spielt es für Voegelin eine große Rolle, dass der Vorgang der Partizipation und die partizipierenden Bestandteile („Termini des Partizipierens“) einen untrennbaren Gesamtzusammenhang bilden. Wollte man also beispielsweise nur von Gott bzw. dem göttlichen Grund reden, ohne auch auf die Beziehung des Menschen zu Gott einzugehen, so würde man sich aus Voegelins Perspektive wohl eines gedanklichen Fehlers oder wenigstens einer Ungenauigkeit schuldig machen. Voegelin ist um die Wahrung dieses Gesamtzusammenhangs so ängstlich besorgt, dass er es sogar für unumgänglich hält, das Wort „Realität“ vieldeutig zu gebrauchen, derart dass es zugleich sowohl den Gesamtzusammenhang als auch jeden einzelnen Bestandteil des Zusammenhanges und darüber hinaus auch noch die „Symbole“ bezeichnet, die zur Artikulation des Gesamtzusammenhanges oder seiner Bestandteile gebraucht werden.32Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 305, S. 307. – Dass Voegelin die Vieldeutigkeit des Wortes „Realität“ für notwendig erklärt, verwundert umso mehr, als er sie selber durch den Gebrauch unterschiedlicher und sich auf jeweils andere Aspekte beziehende Ausdrücke („Realität“, „Partizipation“, „Termini des Partizipierens“) zu umgehen weiß. (Vgl. auch: Voegelin, Order and History V, S.16-18. Hier tritt an die Stelle des vieldeutigen Realitätsbegriffs der Komplex von Bewusstsein-Realität-Sprache, dessen einzelne Elemente ebenfalls terminologisch eindeutig gekennzeichnet sind.) Vermutlich haben wir es hier wieder mit dem sprachlichen Problem der vieldeutigen Ausdrücke zu tun, welches Voegelin so viel unnötiges Kopfzerbrechen bereitete. Die „Realität“ des Partizipierens und seiner „Termini“ ist immer und in gleichbleibender Weise vorhanden, unabhängig davon, auf welchem Niveau (noetisch oder prä-noetisch) sie erlebt und artikuliert wird. Sie bleibt als Realität selbst dann noch gegenwärtig, wenn sie geleugnet wird. Etwas irritierend wirkt es auf den ersten Blick, dass Voegelin trotz dieser ausdrücklichen Erklärung wenige Zeilen weiter nicht mehr von der Konstanz der Realität ausgeht, sondern davon spricht, dass die „Realität“ zugleich konstant und veränderlich ist.33Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 306. Vielleicht muss man sich das Partizipieren ähnlich der Beziehung der Verwandtschaft zwischen verwandten Menschen vorstellen, die auch dann noch vorhanden ist, wenn die Verwandten kein Wort miteinander reden, die aber dadurch stark intensiviert werden kann, dass die Verwandten wieder anfangen, miteinander zu kommunizieren, indem sie beispielsweise Geburtstagsgrüße oder Weihnachtskarten austauschen. Auch die Partizipation kann intensiviert werden, wenn sich die Menschen ihrer bewusst werden und sie auf das Niveau „noetischer Erfahrung“ heben. Einen derartigen Zusammenhang scheint Voegelin im Auge zu haben, wenn er von der gleichzeitigen Konstanz und Veränderlichkeit der Partizipation spricht. Im ganzen repräsentiert der Begriff der Realität in Voegelins Gedankengebäude jedoch das Unveränderliche gegenüber den sich wandelnden Erfahrungen und ihren unterschiedlichen Artikulationen.34Vgl. auch Vgl. Eric Voegelin: Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte, in: Eric Voegelin, Ordnung, Bewußtsein, Geschichte, Späte Schriften (Hrsg. von Peter J. Opitz), Stuttgart 1988, S. 99-126 (S. 107-108 / S. 111-112.). Ein schwerwiegendes Missverständnis ist es Voegelin zufolge, wenn auf Grund einer plötzlichen und sehr intensiven Steigerung der Partizipationserfahrung irrtümlich geglaubt wird, der Mensch und die Welt selbst hätten sich nun in ihrem Wesen verwandelt. In diesem Missverständnis glaubt Voegelin die Ursache sowohl der aufklärerischen Fortschrittsidee als auch von apokalyptischen Visionen und Endzeithoffnungen entdecken zu können.35Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 307. Die Behauptung, dass eine plötzlich intensivierte Partizipationserfahrung die Ursache dieser Phänomene sei, verblüfft ein wenig, da Voegelin unmittelbar zuvor noch das politische Unheil aus der Leugnung der metaphysischen Seinsrealität abgeleitet hat.36Vgl. Anamnesis, S. 302/303. Besonders deutlich wird diese Unstimmigkeit bei Voegelins Deutung der aufklärerischen Fortschrittsidee: Wenn die Aufklärung die Leugnung der metaphysischen Realitätserfahrung par exellence verkörpert, wie kann dann die aufklärerische Fortschrittsidee zugleich Ausdruck des Überschießens dieser Realitätserfahrung sein? Der Überschwang durchbrechender neuer Realitätserfahrung kann weiterhin dazu führen, dass Bewusstsein und Realität, die nach Voegelins Auffassung im Verhältnis eines Teils zum Ganzen stehen, irrtümlich für vollidentisch gehalten werden. Diese Gefahr deutet sich schon bei Aristoteles an, wenn er, an Parmenides anknüpfend, Denken und Gedachtes miteinander identifiziert. Bei Hegel, der wiederum auf Aristoteles zurückgreift, wird dann der göttliche Grund in das Bewusstsein hineingezogen, womit für Voegelin der schwerwiegende Tatbestand gnostischer Spekulation erfüllt ist.37Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 307-309. Ausgehend von seiner Vorstellung davon, was Realität in Wahrheit ist, stellt Voegelin nun einige methodologische Grundsätze hinsichtlich der Interpretation von unterschiedlichen Deutungen der Realität („Realitätsbildern“) auf. Selbstredend scheint Voegelin auch hier wieder vorauszusetzen, dass Mythologie, Religion und Philosophie samt und sonders solche „Realitätsbilder“ verkörpern. Zunächst müssen daher die „Realitätsbilder“ als Ausdruck jener von Voegelin als wahr und gültig erkannten „Realitätsform des Partizipierens“38Voegelin, Anamnesis, S. 309. verstanden werden. Wenn alle „Realitätsbilder“ als Ausdruck jener einen „Realitätsform“ verstanden werden, so hat dies Voegelin zufolge den wissenschaftsökonomischen Vorteil, dass sich daraus unmittelbar eine Erklärung für die oft überraschende Übereinstimmung räumlich und zeitlich unabhängig voneinander entstandener „Realitätsbilder“ ergibt, ohne dass „okkasionelle Theorien“39Voegelin, Anamnesis, S. 310. zur Deutung solcher Übereinstimmungen gefunden werden müssen. Dies ist ein für Voegelins Verhältnisse überraschend einleuchtendes Argument. Voegelin unterschlägt dabei jedoch, dass jener wissenschaftsökonomische Vorteil dadurch wieder aufgehoben wird, dass nun „okkasionelle Theorien“ zur Erklärung von Abweichungen zwischen „Realitätsbildern“, die es ja auch gibt, erfunden werden müssen. Ein weiterer methodologischer Grundsatz, den Voegelin in diesem Zusammenhang aufstellt, besteht darin, dass „Realitätsentwürfe, die sich als Systeme geben“40Ebd. am Maßstab der Realität, mit welcher selbstredend die von Voegelin als wahr und richtig erkannte Realität des Partizipierens gemeint ist, untersucht werden müssen. Es genügt nicht, sie nur auf Grundlage ihrer eigenen Voraussetzungen zu verstehen. Voegelin vertritt also wenigstens in Bezug auf bestimmte „Realitätsentwürfe“ inzwischen genau den gegenteiligen Grundsatz zu der in seinem Brief über Husserl aufgestellten Forderung, die Selbstzeugnisse eines Denkers zur strikten Grundlage der Interpretation seiner Philosophie zu nehmen.41Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 32. – Siehe auch Seite in diesem Buch. Nachdem Voegelin noch einmal kurz das Thema des „Realitätsverlustes“ gestreift hat, kommt er auf auf die Möglichkeit der „periagogé“, der inneren Umkehr, zu sprechen, durch die sich jeder Mensch auch in realitätsverlassener Zeit von falschen „Ersatzrealitäten“ reinigen kann. Als Beispiel zieht Voegelin hier die Entwicklung von Albert Camus heran, in dessen intellektuellem Werdegang er vorbildhaft die inneren Kämpfe verkörpert sieht, die nach Voegelins Ansicht ein Mensch in der heutigen Zeit durchleben muss, „der im Widerstand gegen die Zeit seine Wirklichkeit als Mensch gewinnen will.“42Voegelin, Anamnesis, S. 313.

C. Kritik von Voegelins Realitätsbegriff

Wie überzeugend ist nun Voegelins Vorstellung von Realität, von der Notwendigkeit ihrer Anerkennung und von den Gefahren ihres Verlustes? Hier stellt sich erstens die Frage der metaphysischen Wahrheit von Voegelins Realitätsvorstellung: Gibt es wirklich ein transzendentes Sein, und beugt es sich tatsächlich gnädig zum liebend hingerissenen Menschen hinab? Zweitens stellt sich die Frage der Begründbarkeit von Voegelins Realitätsbild: Woher wissen wir, dass die Realität so beschaffen ist, wie Voegelin es sagt? Kann die Übereinstimmung mit der inneren Erfahrung auch dann noch ein hinreichendes Kriterium für die Wahrheit des Voegelinschen Realitätsbildes sein, wenn man wie Voegelin zugibt, dass es in Bezug auf diesen Gegenstand von einander abweichende innere Erfahrungen gibt? Drittens stellt sich die Frage, ob der Realitätsverlust, so wie ihn Voegelin versteht, in der Tat mit Notwendigkeit oder wenigstens Wahrscheinlichkeit politische Unordnung nach sich zieht, und ob umgekehrt die Anerkennung der Voegelinschen Seinsrealität für die Errichtung politischer Ordnung in irgendeiner Weise vorteilhaft ist. Es empfiehlt sich, die letzte dieser Fragen zuerst zu untersuchen, denn von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob den anderen Fragen nur eine theoretische Bedeutung oder auch eine praktisch-politische Dringlichkeit zukommt.

1. Die Verwechselung von gewöhnlichem und spirituellem Realitätsverlust

Auf die Unklarheiten, die sich durch die unterschiedlichen Formen von Realitätsverlust, von denen Voegelin spricht, ergeben, wurde bereits hingewiesen. An dieser Stelle ist daher vor allem die grundsätzliche Frage zu stellen, ob Realitätsverlust im Voegelinschen Sinne das politische Chaos nach sich zieht? Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man geneigt sein, diese Frage ohne jedes Zögern zu bejahen. Wenn die Bürger und insbesondere die Politiker das Gefühl für die Grenzen ihrer Möglichkeiten verlieren, vollkommen unrealistische Wünsche hegen oder gar utopisch-weltfremde Vorstellungen davon haben, was überhaupt möglich ist, dann steht allerdings zu befürchten, dass eine chaotische Politik dabei herauskommt. Nach genauerer Untersuchung von Voegelins Äußerungen stellt sich jedoch heraus, dass es gar nicht dies ist, was er mit Realitätsverlust meint. Unter Realitätsverlust versteht Voegelin vielmehr die Nicht-Anerkennung einer bestimmten metaphysischen Seinsrealität und insbesondere des „Partizipierens“ des Menschen am transzendenten göttlichen Seinsgrund. Zur besseren Unterscheidung kann das, was Voegelin unter Realitätsverlust versteht, als spiritueller Realitätsverlust bezeichnet werden. Wie vehält sich nun der spirituelle Realitätsverlust zum gewöhnlichen Realitätsverlust? Zieht ein spiritueller Realitätsverlust auch einen Realitätsverlust auf pragmatischer Ebene nach sich? Diese Annahme ist wenig einleuchtend. Warum sollte denn beispielsweise ein Mensch, der nicht an die Existenz eines transzendenten Seins glaubt, weniger als andere Menschen dazu in der Lage sein, die Grenzen des Möglichen zutreffend einzuschätzen? Interessanterweise findet sich in Voegelins gesamten Werk kein einziger stichhaltiger empirischer Beleg, der diese Annahme stützen könnte. Umgekehrt spricht ebensowenig dafür, dass jemand, der über ein hohes Maß an spirituellem Realitätssinn verfügt, bessere Voraussetzungen für das Verständnis oder die Gestaltung der politischen Wirklichkeit mitbringt. Voegelin leugnet auch keineswegs, dass die richtige Gesinnung und eine erfolgreiche pragmatische Politik nicht ein- und dasselbe sind. Wozu ist dann aber der richtige spirituelle Realitätssinn überhaupt wichtig? Wenn Voegelin im Zusammenhang mit dem Thema „Realitätsverlust“ immer wieder auf die totalitären Herrschaften anspielt, so liegt der Grund wohl darin, dass Voegelin sich von einer Verbreitung des Empfindens für die spirituelle Realität eine besondere immunisierende Wirkung gegen den Totalitarismus und totalitäre Demagogie erhoffte. Womöglich ging Voegelin davon aus, dass die in der „Spannung zum Grund“ lebenden Menschen schon deshalb nicht auf den Totalitarismus hereinfallen würden, weil die totalitäre Propaganda, der durch politische Bildung und Aufklärung auf der Sachebene so schwer beizukommen ist, dann ihrem innersten Lebensgefühl widersprechen würde. Eine oberflächliche Plausibilität kann man Voegelins Überlegung nicht absprechen. Nur vernachlässigt Voegelin völlig, dass auch andere Existenzweisen als nur die Existenz in der „Spannung zum Grund“ oder ihre kompakten Vorstufen dies leisten können. Hier wäre etwa an die Existenzweise eines Atheisten mit humanen moralischen Grundsätzen zu denken. Voegelins Menschenkenntnis und psychologisches Einfühlungsvermögen erweisen sich hier als außerordentlich engstirnig. Die Schwierigkeiten, die bei Voegelin entstehen, wenn er die Notwendigkeit und Geeignetheit spirituellen Wahrheitsbesitzes zur Bewältigung der pragmatisch-politischen Realität begründen will, können auch als ein theologisches Problem seines mystischen Gottesverständnisses gedeutet werden. Denn dass das Leben nach den Gesetzen Gottes auch das pragmatisch klügste bzw. richtigste ist, ergibt sich aus der konventionellen christlichen Gottesauffassung zwanglos dadurch, dass Gott als allmächtiges Wesen die Unterwerfung des Menschen honorieren kann, und dass er als gütiges und allwissendes Wesen von vornherein vom Menschen nur fordert, was gut für ihn ist. In Voegelins mystisch ausgedünntem Gottesverständnis bleibt von Gott jedoch nur ein transzendentes Sein übrig (welches zudem bloß uneigenständiger Pol einer Beziehung ist). Die Attribute der Allmacht und Allwissenheit sind dadurch keineswegs mehr selbstverständlich gegeben. Lediglich die Güte ist – der von Voegelin beschriebenen Erfahrung des Hingezogenseins nach zu urteilen – noch vorhanden (wenn sie sich auch als Sirenengesang erweisen kann, wie es die transzendente Variante der Gnosis vor Augen führt, die sich bei Voegelin nicht auf einen falschen Gott sondern auf das richtige transzendente Sein in der falschen Weise bezieht). Es fehlt bei diesem ohnmächtigen transzendenten Sein aber jede Gewähr, dass die spirituell richtige, nach der „Spannung zum Seinsgrund“ ausgerichtete Existenzweise auch in pragmatischer Hinsicht die richtige ist. Sie könnte ja auch genau das Gegenteil davon sein.

2. Die Zirkularität der Begründung von Voegelins Realitätsbegriff

Als nicht weniger problematisch als der Zusammenhang von spirituellem Realitätsverlust und politischem Chaos erweist sich die Begründungsproblematik von Voegelins Realitätsbegriff. Woher kann man wissen, dass das, was Voegelin über die metaphysische Seinsrealität sagt, wahr ist? Aus Voegelins Gedankengang heraus müsste darauf die Antwort gegeben werden, dass sich diese Wahrheit aus der Erfahrung ergibt, wobei unter Erfahrung nicht die Sinneserfahrung sondern entweder jenes innere Erleben der „noetischen“ Erfahrung oder die mythische „Primärerfahrung“ zu verstehen ist. Hier stellt sich jedoch ein unlösbares Problem: Indem Voegelin zugibt, dass es unterschiedliche Erfahrungen gibt, denen unterschiedliche Realitätsbilder entsprechen, wie kann dann die Erfahrung noch ein Kriterium für die Wahrheit (oder größere „Differenziertheit“) einer bestimmten Auf\/fassung der „Realität“ abgeben? Auf diese Frage gibt Voegelins Bewusstseinsphilosophie keine Antwort.

An anderer Stelle, in seinem Aufsatz „Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte“, behauptet Voegelin, dass sich seine Aussagen über das Wesen der Realität geschichtlich überprüfen lassen.43Eric Voegelin: Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte, in: Eric Voegelin, Ordnung, Bewußtsein, Geschichte, Späte Schriften (Hrsg. von Peter J. Optiz), Stuttgart 1988, S. 99-126 (S. 109). Die Aussagen dürfen nach Voegelins Ansicht dann als gültig angesehen werden, wenn sie sich auf die Geschichte beziehen, ohne „einen erheblichen Teil des geschichtlichen Feldes ignorieren oder im Dunkeln lassen“44Ebd. zu müssen, und wenn sie „erkennbar äquivalent mit den Symbolen [sind], die unsere Vorgänger in der Suche nach der Wahrheit der menschlichen Existenz geschaffen haben“.45Ebd. Dieses Prüfungskriterium ist offensichtlich zirkulär, weil bereits zuvor bekannt sein müsste, welche Symbole der „Vorgänger“ echte Erfahrungssymbole sind, welche allein in die Prüfung einbezogen werden dürfen.46Zur Zirkularität von Voegelins Begründung der Wahrheit bestimmter Symbolismen besonders deutlich: Vgl. Eugene Webb: Philosophers of Consciousness. Polanyi, Lonergan, Voegelin, Ricoeur, Girard, Kierkegaard, Seattle and London 1988, S. 126ff. Dieser Zirkelschluss lässt sich auch nicht zu einem hermeneutischen Verstehenszirkel erweitern, denn abgesehen davon, dass der hermeneutische Zirkel höchstens die innere Folgerichtigkeit der schrittweise verfeinerten Deutung gewährleistet, treten in Voegelins Geschichtsbild zwei Symboltraditionen auf (die Tradition der echten Symbole und die Tradition der Entgleisungen), die höchstwahrscheinlich beide die Grundlage eines hermeneutischen Zirkels mit jeweils symmetrischen Stärken und Schwächen bilden können. Darüber hinaus sind die Kriterien, die Voegelin anführt, nur dann ihrem Zweck angemessen, wenn bereits zuvor als metaphysisches Postulat vorausgesetzt wird, dass die Geschichte der Ausdruck des Prozesses der Realität des Partizipierens ist, und dass die Symbole Ausdruck der menschlichen Erfahrung des Partizipierens sind. Am Schluss des Aufsatzes über die „Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte“ gibt Voegelin dies auch ganz ungeniert zu.47Vgl. Eric Voegelin: Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte, a.a.O., S. 126. Damit kann aber von einer historischen Prüfbarkeit seiner Aussagen über die Realität keine Rede mehr sein.

Im Ergebnis stellt sich also heraus, dass es bereits innerhalb der Voegelinschen Theorie weder möglich ist, die Realitätsadäquatheit von Erfahrungen festzustellen, noch die Richtigkeit von Realitätsauf\/fassungen, einschließlich der Realitätsauf\/fassung, die Voegelin selbst vertritt, zu beurteilen.

3. Die Fragwürdigkeit von Voegelins Seinserfahrung

Es bleibt schließlich zu überlegen, ob Voegelins Vorstellung von Realität überhaupt der Wahrheit entspricht. Die richtige Art, diese Frage anzugehen, bestünde zweifellos darin, zunächst zu untersuchen, ob ein transzendentes Sein überhaupt existiert, und dann zu klären, ob es sich in der von Voegelin behaupteten Beziehung zum Menschen befindet. Dieses Vorgehen würde jedoch genau auf das hinauslaufen, was Voegelin als dogmatisches Missverständnis von Symbolen, die Erfahrungen beschreiben, kritisiert. Da nun aber, unabhängig von der Berechtigung eines solchen Vorwurfs, die Frage von Interesse ist, ob Voegelin wenigstens nach seinen eigenen Maßstäben Recht behält, so empfiehlt sich der Versuch, Voegelins Ansatz einmal naiv nachzuvollziehen, und über die Frage zu meditieren, ob die Realität tatsächlich so erfahren wird, wie Voegelin sie beschreibt. Auf diese Weise lässt sich außerdem klären, ob die recht kritische Sicht von Voegelins Philosophie nur der in diesem Buch verwendeten rationalistischen Methode zuzuschreiben ist, oder ob auch eine dem Ideal der immanenten Kritik verpflichtete Herangehensweise zu kritischen Resultaten kommen könnte. Im Folgenden erlaube ich mir daher das Protokoll einer philosophischen Meditation über eine der Schlüsselpassagen aus Voegelins Werk „Anamnesis“ wiederzugeben.

Voegelin beschreibt die Erfahrung der Realität an einer Stelle seines Vortrages „Ewiges Sein in der Zeit“ mit den folgenden Worten:

Wie immer es um den Menschen als das Subjekt der Erfahrung bestellt sein möge, so erfährt er seelisch eine Spannung zwischen zwei Seinspolen, deren einer, genannt der zeitliche, in ihm selbst liegt, während der andere außerhalb seiner selbst liegt, jedoch nicht als Gegenstand im zeitlichen Sein identifiziert werden kann, sondern als ein Sein jenseits alles zeitlichen Seins der Welt erfahren wird. Vom zeitlichen Pol her wird die Spannung als ein liebendes und hoffendes Drängen zur Ewigkeit des Göttlichen erfahren; vom Pol des ewigen Seins her als ein gnadenhaftes Anrufen und Eindringen. Im Verlauf der Erfahrung wird weder das ewige Sein als ein Objekt in der Zeit gegenständlich, noch wird die erfahrende Seele aus ihrem zeitlichen in ewiges Sein transfiguriert; vielmehr ist der Verlauf zu charakterisieren als ein Sich-Ordnen und Sich-Ordnen-Lassen der Seele durch ihr liebendes Sich-Öffnen für das Eindringen des ewigen Seins.48Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 265. – Vgl. Peter J. Opitz: Rückkehr zur Realität: Grundzüge der politischen Philosophie Eric Voegelins, in: Peter J. Opitz / Gregor Sebba (Hrsg.): The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics, Stuttgart 1981, S. 57/58.

Wird die Realität tatsächlich in dieser Weise erfahren? Auf diese Frage ist natürlich nur eine subjektive Antwort möglich, aber für meinen Teil kann ich diese Frage doch ziemlich klar verneinen: Die Realität wird nicht als ein Partizipieren erfahren, in dessen Verlauf ein sich gnädig herabbeugendes transzendentes Sein in die liebend sich entgegendrängende Seele des Menschen eindringt. Die Welt fühlt sich einfach nicht so an, wie Voegelin es beschreibt! Schon die Zusammenstellung von Lieben und „Sich-Ordnen-Lassen“ mutet, wie ich finde, grotesk an, und die Rede vom „Eindringen des ewigen Seins“ in die sich öffnende und liebend entgegendrängende Seele kommt mir persönlich etwas geschmacklos vor. Kurzum, auch bei den intensivsten Meditationsbemühungen komme ich nicht dazu vom Pol des ewigen Seins her ein gnadenhaftes Anrufen und Eindringen zu erfahren. Und ehrlich gesagt bin ich dem ewigen Sein, respektive Gott recht dankbar dafür, dass es mir die Peinlichkeit solcher Begegnungen erspart.

Bei der Lektüre von Voegelin drängt sich mir häufig eine Frage auf, über die ich jedesmal den Kopf schütteln muss: Wollte Voegelin allen Ernstes den Menschen, die derartige Empfindungen nicht teilen, eine geschlossene Seele und eine existentielle Deformation ihrer selbst vorwerfen? Sind Menschen, die diese spezielle Art von Religiosität nicht für sich bejahen können, die sie vielleicht auch bewusst und explizit ablehnen tatsächlich politisch gefährlich und eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung? Kaum zu fassen, dass Voegelin dergleichen ernsthaft als Wissenschaft verkaufen konnte! Und ebensowenig zu fassen, dass es Leute zu geben scheint, die ihm das abkaufen.49Darüber hinaus kann man die Frage aufwerfen, ob derartige mystische Ergüsse wirklich ein Zeichen besonderer seelischer Sensitivität sind, zu der nur Wenige in vollem Maße fähig sind, wie Voegelin wohl meinte (Vgl. Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S. 172-174), oder ob sie nicht eher eine gewisse Form intellektueller Einfalt zur Voraussetzung haben. Dem psychologischen Scharfblick Tolstojs ist die Einsicht zu verdanken, dass das mystische Denken nicht, wie man vielleicht voreilig vermuten möchte, eine besondere Tiefe und Empfänglichkeit des Geistes und der Vorstellungskraft voraussetzt, sondern im Gegenteil auch auf einer ausgeprägten Oberflächlichkeit derselben beruhen kann. So charakterisiert Tolstoj in „Anna Karenina“ die Hinwendung des betrogenen Alexej Karenin zu einer gerade in Mode gekommenen mystischen Richtung des Christentums mit folgenden Worten: „Es fehlte ihm, gleich Lydia Iwanowna und den anderen Leuten, die derselben neuen Auffassung huldigten, jegliche Tiefe der Vorstellungskraft, jener geistigen Fähigkeit, dank welcher die durch die Phantasie hervorgerufenen Bilder mit dem Vorstellungskomplex und zugleich mit der Wirklichkeit im Einklang bleiben. Er sah nichts unmögliches und Absurdes in dem Gedanken, daß der Tod, der nur für die Ungläubigen existierte, für ihn nicht vorhanden sei und daß, da er den vollkommenen Glauben besaß, dessen Maß er im übrigen selbst bestimmte, auch für die Sünde in seiner Seele kein Raum sei und er daher schon hier auf Erden des Heils teilhaftig werde.“ (Leo N. Tolstoi: Anna Karenina, München 1992, S. 511.) Besonderes der spätere Voegelin scheint mir eine ähnliche Entwicklung durchgemacht zu haben, wie Alexej Karenin in dem Roman (nur aus anderen Gründen, versteht sich). Natürlich geben die vorstehenden Bemerkungen nichts weiter als meine persönliche Einstellung zum Thema „Mystische Erfahrungen“ wieder. Der einzige Grund, aus dem ich sie hier anführe, besteht darin, dass für Voegelin im Zentrum der Philosophie immer eine persönliche Besinnung stehen sollte, bzw. wie Voegelin es selbst ausdrückte, dass die „Basis für die Behandlung der philosophischen Problematik .. selbstverständlich immer die Meditationspraxis sein“50Franz-Martin Schmölz (Hrsg.): Das Naturrecht in der politischen Theorie, Wien 1963, S. 137. – Der Band gibt die Vorträge und Diskussion einer Tagung zu dem Thema Naturrecht wieder. Die zitierte Äußerung Voegelins fällt in der Diskussion. müsse. Ich bin dieser Forderung Voegelins an dieser Stelle einmal gefolgt erstens, um mir nicht mangelnde hermeneutische Sensibilität vorwerfen lassen zu müssen und zweitens, um zu zeigen, dass selbst wenn man die „Meditationspraxis“ zur „Basis für die Behandlung der philosophischen Problematik“51Ebda. nimmt, man noch längst nicht zu denselben Ergebnissen kommen muss wie Eric Voegelin.

Voegelins intellektueller Kardinalfehler besteht darin, dass er nicht bereit ist, den rein religiösen Charakter seiner eigenen Vorstellung von der höchsten Realität einzugestehen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Er weigert sich zuzugeben, dass die Wahrheit seiner Auf\/fassung von der höchsten Realität wissenschaftlich nicht greifbar ist. Statt entsprechend behutsam damit umzugehen, setzt er die Wahrheit seiner Realitätsauf\/fassung absolut und zieht sie ohne Umstände als Verständnisgrundlage und als Bewertungsmaßstab aller anderen Weltanschauungen heran. Deutlich wird dies immer wieder an Urteilen wie diesem: „Unter den Erfahrungen des Partizipierens schließlich hat die noetische dadurch ihren besonderen Rang, daß sie die Spannung zum göttlichen Grund nicht nur als Sachstruktur des Bewußtseins, sondern als die Grundspannung aller Realität, die nicht selbst der göttliche Grund ist, zur Klarheit bringt.“52Voegelin, Anamnesis, S. 304. Sinnvoll ist ein solches Urteil nur, wenn als gegeben vorausgesetzt wird, dass „die Spannung zum göttlichen Grund“ in der Tat „die Grundspannung aller Realität“ ist, was aber, gerade weil es unterschiedlich erlebt wird, niemand mit Sicherheit behaupten kann. Unter der Hand gerät Voegelin daher auch seine eigene Philosophie zu einem jener geschlossenen Dogmensysteme, die sich mit Hilfe intellektueller Tricks gegen jede Kritik abschirmen. Zwar beschreibt Voegelin die Realität als offen, aber seine Beschreibung der Realität ist ihrerseits ganz und gar nicht offen. Zu den intellektuellen Tricks, mit denen Voegelin seine Philosophie zu einem geschlossenen System abriegelt, gehört unter anderem die im folgenden zu beschreibende Theorie der sprachlichen Indizes, mit der er seinen, wie schon festgestellt wurde, sehr eigenwilligen Sprachgebrauch rechtfertigt.

D. Die Theorie der sprachlichen Indizes

Die Theorie der sprachlichen Indizes beschreibt die sprachlichen Eigentümlichkeiten der verbalen Wiedergabe noetischer Erfahrungen. Es geht dabei um das Problem, die Besonderheit noetischer Beschreibungen zu erfassen, denn rein äußerlich unterscheidet sich die sprachliche Wiedergabe echter noetischer Erfahrungen durch nichts von der Sprache dogmatischer Metaphysik. Außerdem versucht Voegelin, mit seiner Theorie der sprachlichen Indizes seinen eigenen philosophischen Sprachgebrauch zu rechtfertigen und insbesondere das Definitionsrecht bestimmter Begriffe (Welt, Mensch, Geschichte etc.) für sich zu reklamieren.

Voegelin beginnt zunächst mit einer knappen Zusammenfassung der wichtigsten Züge seines Realitätsbegriffs. Daran anknüpfend stellt er seine Theorie der sprachlichen Indizes als eines Ausdruckes der (noetischen) Erfahrungen dieser Realität vor. Schließlich zieht Voegelin aus dieser Theorie eine Reihe von Schlussfolgerungen in Bezug auf die Politikwissenschaft, die menschliche Natur und die Deutung der Geschichte.

Realität ist für Voegelin eine komplexe Beziehung von Mensch, Dingen und Seinsgrund. Diese Beziehung wird vom Menschen nicht beobachtet, sondern „ ‘von innen’ “53Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 316. erfahren. Ungeachtet dessen bleiben der Mensch und sein Leben jedoch in äußere Zusammenhänge eingeordnet. Der Seinsgrund ragt durch das Bewusstsein des Menschen in die Welt hinein, aber der Mensch kann sich nicht durch das bewusste Partizipieren am Seinsgrund über die Welt hinausheben. (Voegelin baut hier dem „gnostischen“ Missverständnis der Möglichkeit einer Erlösung durch Wissen vor.) In der Erfahrung des Partizipierens gewinnen wir, Voegelin zufolge, gültige „Einsichten“ nicht nur in das Partizipieren selbst, sondern auch in die Termini des Partizipierens, also beispielsweise in das Wesen des Menschen und den Seinsgrund. Noetisches Wissen ist der unmittelbar den „Bewegungen“ des Partizipierens entspringende Ausdruck dieser Einsichten.54Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 315-316.

An diesem Punkt führt Voegelin seine Theorie der sprachlichen Indizes ein. Voegelin greift für diese Theorie eine Denkfigur auf, die er bereits in seinem Aufsatz über die Struktur des Bewusstseins herangezogen hat, in welchem er die These vertritt, dass das Bewusstsein nicht zeitlich, sondern durch Erhellungsdimensionen strukturiert sei, die dann als „Zukunft“ und „Vergangenheit“ sprachlich gekennzeichnet oder, wie Voegelin nun sagen würde, indiziert werden.55Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 44. – Auf die philosophiehistorischen Zusammenhänge von Voegelins Ausführungen gehe ich, da ich eine systematische Kritik von Voegelins Bewusstseinsphilosophie beabsichtige, in diesem Buch meist nicht weiter ein. Trotzdem sei an dieser Stelle eine Vermutung geäußert: Voegelins Index-Theorie scheint dem Modell der Husserlschen Phänomenologie nachgebildet zu sein. Nur will Voegelin dann gewissermaßen den phänomenologischen Charakter als exklusives Merkmal der Beschreibung noetischer Erfahrungen verstanden wissen, statt, wie in der Phänomenologie als einen besonderen Beschreibungsmodus aller Erfahrungen. Durch diesen eklektischen Rückgriff auf eine Denkfigur aus einer durchgearbeiteten philosophischen Theorie handelt sich Voegelin dann jede Menge Inkonsequenzen und Widersprüche ein. Siehe dazu meine Kritik von Voegelins Theorie der sprachlichen Indizes in Abschnitt weiter unten. Die Theorie der Indizes besagt, dass die sprachlichen Ausdrücke, mit denen die noetischen Erfahrungen artikuliert werden, nicht gegenständlich als Aussagen über etwas sondern als Kennzeichnung von inneren Erfahrungen bzw. Erlebnissen verstanden werden müssen. Dies gilt, obwohl diese sprachlichen Ausdrücke ihrer äußeren Form nach gegenstandsförmlich sind. So wäre also etwa der Satz: „In der noetischen Erfahrung dringt der transzendente Seinsgrund in das Bewußtsein ein“ nicht als Aussage über das transzendente Sein und das menschliche Bewusstsein zu verstehen, sondern als Kennzeichnung einer inneren Erfahrung des Eindringens, die offenbar von solcher Intensität und Eigenart ist, dass zu ihrem angemessenen Ausdruck vom „Eindringen des transzendenten Seins“ gesprochen werden muss. Warum aber müssen die noetischen Erfahrungen überhaupt gegenständlich ausgedrückt werden, wenn dies doch so missverständlich ist? Voegelin glaubt, dass es zum gegenständlichen Ausdruck keine Alternative gibt, „weil das Bewußtsein gegenstandsförmlich ist“.56Voegelin, Anamnesis, S. 316. Unter der Gegenstandsförmlichkeit des Bewusstseins versteht Voegelin dabei, dass „Bewußtsein [..] immer Bewußtsein-von-Etwas ist“57Voegelin, Anamnesis, S. 307.

Schwere Fehler und Missverständnisse ergeben sich nach Voegelins Ansicht, wenn Ausdrücke, die Indizes von Bewusstseinserfahrungen sind, unabhängig von diesen Erfahrungen als Begriffe für etwas eigenständig Seiendes verwendet werden. Voegelin illustriert dies an einer Reihe von Beispielen. So gibt es für Voegelin „weder eine immanente Welt noch ein transzendentes Sein als Entitäten“‚58Voegelin, Anamnesis, S. 316. vielmehr sind die Ausdrücke „immanent und „transzendent“ Indizes, welche Bereichen der Erfahrung zugeteilt werden. Nach Voegelins Überzeugung ist es daher unsinnig, über die Existenz von transzendentem oder immanentem Sein zu streiten. Weiterhin ist Voegelin der Ansicht, dass der Ausdruck Mensch wenigstens in bestimmter Hinsicht einen Index der Erfahrung darstellt, denn unter „Mensch“ ist auch „der immanente Pol der existenziellen Spannung zum Grund zu verstehen“.59Voegelin, Anamnesis, S. 317. Da außerdem nach Voegelins Ansicht auch der Ausdruck „Philosophie“ ein Index der Erfahrung ist, so glaubt Voegelin folgern zu können, dass es unmöglich ist, den Menschen im Rahmen einer philosophischen Anthropologie ausschließlich als welt-immanentes Wesen zu verstehen. In der Vernachlässigung dieses Grundsatzes in der Anthropologie erblickt Voegelin nicht bloß einen philosophischen Irrtum, wie er beim Nachdenken schon einmal unterlaufen könnte, sondern eine Form von Realitätsverlust.60Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 316-317.

Aus der Theorie der sprachlichen Indizes folgt für Voegelin eine Reihe von Konsequenzen, die überwiegend bereits gewonnene Einsichten bekräftigen und vertiefen. Die erste Konsequenz ergibt sich hinsichtlich des Begriffes der Wissenschaft. „Wissenschaft“ ist für Voegelin ebenfalls ein Index. Sie entdeckt „sich selbst als das Strukturwissen von Realität, wenn die Selbsterhellung des Bewußtseins und seiner Ratio sich historisch ereignet“‚61Voegelin, Anamnesis, S. 318. – Dass Wissenschaft ebenfalls ein Index sein soll, verblüfft auf den ersten Blick, denn Wissenschaft ist primär eine menschliche Tätigkeit und nicht etwas, das erfahren wird, so dass man an dieser Stelle einen Kategorienfehler Voegelins vermuten muss. Es sei denn, Voegelin wollte die recht abwegige Ansicht vertreten, dass Wissenschaft in erster Linie aus der Selbsterfahrung des wissenschaftlichen Denkens entsteht. wobei in Erinnerung zu rufen ist, dass Voegelin unter „Ratio“ die zum Seinsgrund hin geöffnete Seele versteht und nicht etwa Vernunft oder Verstand im gewöhnlichen Sinne. Dieses historische Ereignis hat, Voegelin zufolge, bei Platon und Aristoteles stattgefunden, deren Noese „die Indizes Wissenschaft (episteme) und Theorie (theoria) entwickelt hat.“62Voegelin, Anamnesis, S. 318. Selbst die moderne Naturwissenschaft verdankt nach Voegelins Ansicht ihren Wissenschaftscharakter weniger dem Erfolg ihrer Methoden als vielmehr der Tatsache, dass ihre Methoden mit der „Ratio der Noese verträglich sind.“63Voegelin, Anamnesis, S. 318. Erst die Noese legt nämlich die „Welt“, welche wiederum ein sprachlicher Index des Bewusstseins ist, als ein von mythischen und anderen Glaubenselementen gereinigtes Feld für die Bearbeitung durch die Naturwissenschaft frei.64Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 318.

Um über Partizipationserfahrungen angemessen reden zu können, genügen allerdings nicht allein die sprachlichen Indizes, welche diese Erfahrungen selbst ausdrücken. Es ist darüber hinaus eine Art von Begriffen notwendig, mit denen über diese Erfahrungen gesprochen werden kann. Diese Begriffe bezeichnet Voegelin als Typenbegriffe. Als historische Beispiele für Typenbegriffe führt Voegelin die Ausdrücke „philodoxos“ und „sophistes“ von Platon und die Ausdrücke „philosophos“ und „philomythos“ von Aristoteles an. Unter seinen eigenen Begriffen rechnet Voegelin unter anderem die Begriffe der „kompakten und differenzierten Erfahrungen“ und der „noetischen und revelatorischen Transzendenzerfahrungen“ zu den Typenbegriffen.65Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 319. Die Erforderlichkeit von Typenbegriffen wird besonders dann akut, wenn infolge geistesgeschichtlicher Differenzierungsprozesse die kompakteren Partizipationserfahrungen in eine Rolle relativer Unwahrheit gedrängt werden, so dass ihr symbolischer Selbstausdruck nicht mehr zählt und Begriffe gefunden werden müssen, um die kompakten Erfahrungen angemessen bezeichnen zu können.

Im Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung von Partizipationserfahrungen kommt Voegelin auf das Problem der Beziehung des überindividuellen Prozesses der Geschichte zum individuellen Bewusstsein zu sprechen, welches nach Voegelins Auffassung durch seine Transzendenzerfahrungen der Träger dieses Prozesses ist. Für Voegelin gibt es Bewusstsein ausschließlich in der Form des konkreten Bewusstseins einzelner Individuen. Es ist „diskret real“.66Voegelin, Anamnesis, S.320. Wie können aber die individuellen Transzendenzerfahrungen der vielen diskret realen Bewusstseine innerhalb eines sinnhaften historischen Prozesses oder Feldes der Geschichte verortet werden, von dessen Existenz Voegelin nach wie vor überzeugt ist?67Auch nachdem Voegelin die Auffassung einer linearen Geschichtsentwicklung aufgegeben hat (Vgl. Eric Voegelin: Historiogenesis, in: Voegelin, Anamnesis, S. 79-116.), hält er dennoch daran fest, dass das „Feld der Geschichte“ prozesshaft geordnet ist. (Vgl. Eric Voegelin: Ewiges Sein in der Zeit, in: Voegelin, Anamnesis, S. 254-280.) Voegelin beantwortet diese Frage damit, dass in den Transzendenzerfahrungen der vielen Bewusstseine stets ein und derselbe transzendente Seinsgrund erfahren wird: „Geschichte wird zu einem strukturell verstehbaren Feld der Realität durch die Präsenz des einen Grundes, an dem alle Menschen partizipieren...“.68Voegelin, Anamnesis, S. 320. Keinesfalls kann dagegen die Geschichte (wie etwa bei Hegel) als die Entfaltung eines kollektiv-überindividuellen oder gar absoluten Bewusstseins verstanden werden, da hierbei vollkommen ignoriert wird, dass Bewusstsein nur als das Bewusstsein einzelner Menschen vorkommt.69Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 320-321.

Schließlich weist Voegelin noch auf die problematischen Folgen hin, die aus dem unsachgemäßen Gebrauch von Typenbegriffen entstehen. Typenbegriffe dürfen, so scheint es Voegelin aufzufassen, legitimerweise nur dann eingesetzt werden, wenn ihr Gebrauch durch eine eigene noetische Erfahrung gedeckt ist, durch welche allein die weniger differenzierten Erfahrungen richtigerweise als Typen von relativ geringerem Wahrheitsgrad erkannt werden können. Dazu muss außerdem hinter jedem Typus die je eigene Erfahrungsgrundlage dieses Typus erkannt werden. (Voegelin greift hier auf das bereits in der „Neuen Wissenschaft der Politik“ entwickelte Prinzip zurück, dass die Erfahrungen und nicht die Ideen „die Substanz der Geschichte“ bilden.) Die Vernachlässigung dieser Prinzipien führt nach Voegelins Ansicht zu unersprießlichen Dogmenstreitereien zwischen sich gegenseitig typisierend einordnenden Meinungen, die bis zum allgemeinen Ideologieverdacht ausarten können, ohne dass jemals die entscheidende Ebene der Transzendenzerfahrungen auch nur in den Blick gerät.70Vgl. Voegelin, S. 321-323. Voegelin gesteht sich nicht ein, dass seine Theorie auch nur eine weitere Position in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung der Theorien darstellt (was auch dann der Fall wäre, wenn sie tatsächlich und als einzige von allen Theorien wahr wäre), und dass er durch seine polemischen Ausfälle selbst nicht wenig zum allgemeinen Ideologieverdacht beiträgt.

E. Kritik von Voegelins Sprachtheorie

Die Theorie der sprachlichen Indizes erweist sich in vielerlei Hinsicht als höchst unglaubwürdig und zweifelhaft. Dies beginnt schon mit den Voraussetzungen der Theorie: Voegelins Theorie der sprachlichen Indizes stellt eine Theorie über die Bedeutung bestimmter sprachlicher Ausdrücke dar. Sie besagt, dass bestimmte sprachliche Äußerungen, obwohl sie von ihrer Form her Aussagen über Gegenstände sind, dennoch eine andere Bedeutung haben, die Bedeutung eines reinen Ausdruckes von inneren Bewusstseinserfahrungen. Warum wird aber der Ausdruck von inneren Erlebnissen in die Form gegenständlicher Aussagen gepresst? Voegelins Antwort lautet: Das Bewusstsein ist gegenständlich, und weil das Bewusstsein gegenstandsförmlich ist, können Bewusstseinserfahrungen nicht anders als in der uneigentlichen Form gegenständlicher Aussagen artikuliert werden. Gegen diese Antwort liegen die Einwände jedoch auf der Hand: Ungeachtet der Gegenstandsförmlichlichkeit oder Nicht-Gegenstandsförmlichkeit des Bewusstseins ist es ohne Weiteres möglich, den Ausdruck von Erfahrungen als solchen sprachlich kenntlich zu machen und von Aussagen über Dinge zu unterscheiden, indem man z.B. Sätze von der Form „Ich hatte die Erfahrung, dass...“ oder „Ich hatte ein Gefühl, als ob...“ bildet. Voegelin macht es ja selber vor, wenn er in der weiter oben bereits zitierten Passage71Siehe Seite schreibt: „Vom zeitlichen Pol her wird die Spannung als ein liebendes und hoffendes Drängen zur Ewigkeit des Göttlichen erfahren“.72Voegelin, Anamnesis, S. 265. Niemand wird das als eine gegenständliche Aussage missverstehen. Wie dieses Beispiel gleichfalls vor Augen führt, wird die Möglichkeit, Erfahrungen als Erfahrungen sprachlich zu artikulieren, auch nicht durch die „gegenständliche“ Subjekt-Prädikats-Form eingeschränkt, welche die Grammatik den Sätzen unserer Sprache vorschreibt.73Derartiges deutet Voegelin in seinem Aufsatz „Ewiges Sein in der Zeit“ an, worin die Theorie der sprachlichen Indizes ebenfalls angesprochen wird. Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 266. Abgesehen von diesen Einwänden kann es gar nicht ohne Weiteres als ausgemacht gelten, dass das Bewusstsein in jeder Hinsicht als gegenstandsförmlich aufzufassen ist. Zwar haben die meisten Bewusstseinsvorgänge (z.B. Wahrnehmen, Denken, Fühlen) die Form intentionaler Akte, indem sich in ihnen ein Subjekt durch einen Bewusstseinsakt auf einen Gegenstand des Bewusstseins bezieht. Aber wie verhält es sich beispielsweise mit Stimmungen? Zudem wäre es auch gar nicht ausdenklich, wie ein rein gegenstandsförmliches Bewusstsein Transzendenzerfahrungen haben könnte, sofern diese Erfahrungen ungegenständlich sind.

Doch Voegelin geht nicht nur von falschen Voraussetzungen aus. Seine Theorie wirkt auch deshalb unglaubwürdig, weil er sich selbst nicht an die von ihm gezogenen Grenzen hält. So bestreitet Voegelin zwar entschieden, dass eine Diskussion über die Existenz von immanenter Welt und transzendentem Sein als Entitäten sinnvoll ist, aber wenn das transzendente Sein als reiner Index des Bewusstseins verstanden werden müsste, dann wäre Voegelins Realitätsbegriff in der zuvor von ihm beschriebenen Form kaum noch haltbar. Voegelin behauptet ja gerade, dass die Realität des Partizipierens (am transzendenten Seinsgrund) auch dann noch bestehen bleibt, wenn die Erfahrung des Partizipierens verlorengegangen ist oder geleugnet wird. Wenn aber der Seinsgrund nur Index des Bewusstseins wäre, dann würde es auch kein Partizipieren ohne die Bewusstseinserfahrung des Partizipierens geben können.

Schon von vornherein ließe sich gegen die Theorie der sprachlichen Indizes eben jener ontologische Vorbehalt geltend machen, den Voegelin am Ende seines Aufsatzes „Zur Struktur des Bewußtseins“ gegenüber der reinen Bewusstseinsphilosophie vertritt, dass es in erster Linie auf das Sein und nicht auf das Bewusstsein ankommt.74Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 56. Wie leicht sich Voegelins Theorie der sprachlichen Indizes aushebeln lässt, wenn man die Indizes als Kennzeichnung reiner Erfahrungsbereiche auf\/fasst, kann an Voegelins Behauptung demonstriert werden, dass man den Menschen innerhalb einer philosophischen Anthropologie nicht angemessen als welt-immanentes Wesen verstehen könne. Diese Behauptung stellt sich bei genauerem Hinsehen als weit anspruchsloser heraus, als sie auf den ersten Blick erscheint. Denn da „welt-immanent“ für Voegelin lediglich ein Index der Erfahrung ist, so beinhaltet diese Behauptung nur, dass nicht geleugnet werden darf, dass es Menschen gibt, die innere Erlebnisse haben, zu deren Ausdruck sie sich genötigt fühlen, Worte wie „immanent“ und „transzendent“ zu verwenden.75Für den Fall, dass Voegelin so interpretiert werden müsste, dass nach seiner Theorie alle Menschen Transzendenzerlebnisse hätten, kann statt „daß es Menschen gibt, die innere Erlebnisse haben‚...“ genausogut „daß alle Menschen innere Erlebnisse haben‚...“ eingesetzt werden. Das nachfolgende Argument bleibt dann immer noch gültig. Allerdings hätte dann auch der Materialist, der das transzendente Sein leugnet Transzendenzerlebnisse, was ihn jedoch nicht hindern muss ihre Wirklichkeit zu leugnen. Dies nicht zu leugnen dürfte allerdings auch dem hartgesottensten Materialisten keinerlei Sorgen bereiten, da er dadurch ja noch längst nicht genötigt ist zuzugeben, dass es ein transzendentes Sein tatsächlich gibt. Ja er könnte unter Berufung auf Voegelins Theorie der sprachlichen Indizes sogar ausdrücklich darauf verweisen, dass es illegitim sei, von einer inneren Erfahrung, die als Erfahrung von Transzendenz sprachlich indiziert wird, auf die Existenz eines transzendenten Seins zu schließen. Voegelins Theorie gleicht daher – um ein Bild von Schopenhauer zu entlehnen – einer Grenzfeste, die zwar uneinnehmbar ist, deren Besatzung aber auch nicht in der Lage ist auszubrechen, so dass man sie getrost im Hinterland zurücklassen kann.

Wenn die sprachlichen Indizes überhaupt irgendeinem Zweck dienen sollen, so sind wir also gezwungen, hinter ihnen die Existenz von Entitäten anzunehmen, auf welche sie verweisen. Voegelins Theorie der sprachlichen Indizes hätte dann immer noch dadurch ihren guten Sinn, dass sie es verbietet, sich bei der Diskussion über die Indizes von den Erfahrungen zu lösen, in denen diese Entitäten mutmaßlich zum Vorschein kommen. Zur erkenntnistheoretischen Rechtfertigung von Aussagen über die Transzendenz taugt die Theorie der sprachlichen Indizes dann allerdings nicht mehr.

Kaum noch rechtfertigen lässt sich Voegelins Theorie der sprachlichen Indizes jedoch dort, wo seine Indizes mit herkömmlichen Begriffen konkurrieren, wie dies bei dem Begriff der Wissenschaft der Fall ist. Zwar ist es erfreulich zu hören, dass die Methoden der modernen Naturwissenschaft „mit der Ratio der Noese verträglich sind“.76Voegelin, Anamnesis, S. 318. Aber da das Gelingen der Naturwissenschaft selbstverständlich in keiner Weise davon abhängt, ob ihre Methoden mit der bewusst gewordenen existentiellen Spannung zum Grund vereinbar sind, so ist es – jedenfalls soweit es um die Naturwissenschaften geht – wenig sinnvoll, die Definition des Begriffes Wissenschaft an die „Platonisch-Aristotelische Noese“ zu knüpfen, zumal sich die experimentelle Naturwissenschaft von der platonischen und aristotelischen episteme sehr erheblich unterscheidet. Nicht ganz unzweifelhaft erscheint auch die These, dass die Beseitigung „mythische[r], revelatorische[r] oder ideologische[r] Wahrheitshypotheken“77Voegelin, Anamnesis, S. 318. durch die Noese eine historische Ermöglichungsbedingung der Naturwissenschaft darstellt. Die Anfänge der Naturwissenschaft fallen bereits in prä-noetische Zeit. So wurde die Entwicklung der Astronomie durch das kosmologische Weltbild nicht etwa behindert, sondern eher noch gefördert. Und bereits am Beispiel des Thales lässt sich – stellvertretend für die Vorsokratiker insgesamt – veranschaulichen, dass die Entgöttlichung der Welt, anders als dies gelegentlich zu hören ist‚78Vgl. Eric Voegelin: Die geistige und politische Zukunft der westlichen Welt (Hrsg. von Peter J. Opitz und Dietmar Herz), München 1996, S. 26/27. keine notwendige Voraussetzung für die Entfaltung unbefangenen naturwissenschaftlichen Forschergeistes darstellt, denn Thales hinderte die Überzeugung, dass alles von Göttern erfüllt sei, nicht daran, dieser Deutung die materialistische Erklärung hinzuzufügen, dass alles auf und aus Wasser sei. Monotheismus oder Atheismus ist entgegen der Entgöttlichungsthese keinesfalls eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Wissenschaft.

Aber auch wenn man sich nicht auf die Naturwissenschaften beschränkt, so kann Voegelins Definitionsversuch, nach welchem Wissenschaft dasjenige ist, was sich als „das Strukturwissen von Realität“ infolge der sich historisch ereignenden „Selbsterhellung des Bewußtseins“ selbst entdeckt‚79Voegelin, Anamnesis, S. 318. nicht ohne Weiteres überzeugen. Ob irgendeine menschliche Erkenntnisaktitivität als Wissenschaft eingestuft werden kann oder nicht, hängt weder von dem Selbstverständnis derjenigen ab, die diese Aktivität ausüben (auch Alchemisten, Astrologen und Naturheiler hielten und halten sich schließlich für Wissenschaftler), noch hängt es von den historischen Rahmenbedingungen ab, unter denen diese Erkenntnisaktivität entstanden ist. Entscheidend ist einzig und allein die Frage, ob bei dieser Erkenntnisaktivität eine Welterkenntnis von objektiver und nachprüfbarer Gültigkeit herauskommt. Eine Vorentscheidung über ein bestimmtes, etwa mathematisch-naturwissenschaftliches Wissenschaftsmodell ist mit diesem Kriterium noch nicht getroffen, so dass Voegelins Vorbehalten gegenüber einer zu engen Wissenschaftsauf\/fassung Rechnung getragen werden kann. Nur wenn die historische episteme des Aristoteles nicht schon per definitionem mit Wissenschaft gleichgesetzt wird, lässt sich außerdem die wichtige wissenschaftshistorische Frage aufwerfen, ob und in welchem Maße die aristotelische episteme tatsächlich Wissenschaft ist.

Auf die Fragwürdigkeit der noetischen Definition von Voegelins Begriff der Geschichte wurde bereits im vorhergehenden Abschnitt hingewiesen. Voegelins Vorwurf gegen die hegelianischen Geschichtskonstruktionen, dass sie fälschlicherweise ein reales Kollektivbewusstseins zu Grunde legen würden, während Bewusstsein in Wirklichkeit nur „diskret real“ vorkomme, ist dagegen vollkommen berechtigt. Nur stellt sich die Frage, ob Voegelin nicht seinerseits auf einer anderen Ebene den hegelianischen Geschichtskonstruktionen nahekommt, wenn er darauf besteht, dass „Geschichte .. zu einem strukturell verstehbaren Feld der Realität durch die Präsenz des einen Grundes“80Voegelin, Anamnesis, S.320. – Vgl. auch Voegelin, Order and History IV, S.305. wird, welches sich nicht in Einzelvorstellungen auflösen ließe. Hier ist anzumerken, dass erstens nach wie vor jeder Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Annahme fehlt, dass es einen transzendenten Seinsgrund gibt, und dass dieser ein einziger ist. Zweitens operiert Voegelin mit der falschen Alternative, dass entweder ein gemeinsamer Grund existieren müsse, oder nur „jeder ein privates – im klassischen Sinne von ‘idiotisches’ – Bewußtsein für sich selbst“81Voegelin, Anamnesis, S.320. hätte. Auch wenn es keinen gemeinsamen transzendenten Seinsgrund gibt, so können doch die diskret realen „Bewusstseine“ durch Miteinander-Reden, durch Einfühlung, Mitleid und teilnehmende Freude, durch gemeinsame Erlebnisse und gemeinsames Handeln auf das Schönste zu einander in Kontakt treten. Und drittens bleibt hinsichtlich der Bedeutung der Geschichte für den Menschen und die Menschheit anzumerken, dass, solange in der Geschichte nicht irgendeine Form religiöser Erbauung gesucht wird‚82Vgl. dazu Poppers an den Theologen Karl Barth anknüpfende Kritik der theogonischen Geschichtsdeutung, in: Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feine. Band II. Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen, 7.Aufl., Tübingen 1992, S. 316-328. niemandem etwas entgeht, wenn sich herausstellt, dass Geschichte kein „Feld der Realität [ist] ..., an dem alle Menschen partizipieren“.83Voegelin, Anamnesis, S. 320.

Im Ganzen stellt Voegelins Theorie der Indizes ein sehr fragwürdiges Unterfangen dar. Sie geht nicht nur von falschen Voraussetzungen bezüglich der Natur des menschlichen Bewusstseins und der Sprache aus, sondern sie führt als ein Verfahren der Begriffsklärung oft zu recht willkürlichen Definitionen zentraler Begriffe wie z.B. Wissenschaft, Geschichte, Rationalität, Realität. Es fällt nicht leicht, sich hierbei des Eindrucks zu erwehren, dass Voegelin versucht, höchst strittige Sachfragen (wie z.B. ob Rationalität in der Spannung zum Grund besteht, ob Realität in erster Linie spirituelle Realität ist, ob Geschichte sich nicht in der Zeit sondern in der Bewusstseinsdimension des Begehrens und der Suche nach dem Grund abspielt etc.) durch Definitionen vorzuentscheiden und ihre Diskussion dadurch zu verhindern, dass er von vornherein alle zentralen Begriffe für sich reklamiert, so dass die Formulierung von Kritik erheblich erschwert wird.


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